Von den zwanzig Personen aus dem südkurdischen Geflüchtetenlager Mexmûr, die vor Wochen am Stadteingang von Hewlêr (Erbil) von Sicherheitskräften des Geheimdienstes der Regierungspartei PDK festgenommen worden waren, befinden sich vier wieder auf freiem Fuß. Dennoch sind die Hintergründe der Verhaftungen noch immer völlig unklar. Derweil wurde bekannt, dass zumindest ein Teil der männlichen Betroffenen in einer Zelle mit inhaftierten Dschihadisten der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) untergebracht worden ist. Das äußerten zwei freigelassene Camp-Bewohner, mit denen wir sprechen konnten. Mahîr Spêrtî und Eşref Korhan berichteten zudem von Nacktdurchsuchungen und Misshandlungen.
„Es war der 25. September, als wir zum Arbeiten nach Hewlêr aufgebrochen sind. [Am Stadteingang] wurden wir von Nachrichtendienstlern angehalten. Man nahm uns die Ausweise ab und brachte uns zuerst in das Polizeipräsidium in Hewlêr. Dort blieben wir dann für mehr als drei Wochen. Man hat uns sehr schlecht behandelt, uns unter Druck gesetzt und beschimpft“, so Spêrtî.
Mit etwa 55 Insassen sei die Zelle, in der die Camp-Bewohner mit Islamisten und wegen Drogendelikten und anderer Straftaten inhaftierten Gefangenen festgehalten wurden, massiv überbelegt gewesen. Mehrfach seien er selbst und andere Flüchtlinge aus Mexmûr in kleine Isolationszellen verlegt worden, wo sie über mehrere Stunden mit gefesselten Händen und Füßen aufrecht stehen mussten. „Wenn wir zum Verhör abgeführt wurden, bemühten sich die Beamten darum, äußerst grob mit uns umzugehen“, führt Spêrtî weiter aus.
Gegen Kaution frei
Vom Polizeipräsidium Hewlêr seien die vier Mexmûr-Bewohner in das örtliche Gefängnis verlegt worden. Nach rund zwei Wochen wurden sie an die Polizei in Koye überstellt – nach einer Kautionszahlung in Höhe von 200 US-Dollar. Der Bezirk Koye im Osten von Hewlêr wird von der Patriotischen Union Kurdistans (YNK) kontrolliert. „Die Aktion war genauso undurchschaubar wie die Verhaftungen selbst”, sagt Spêrtî. Es reibe nervlich auf, wenn man die Hintergründe der Maßnahme nicht kenne und der Kontakt zu Angehörigen und der restlichen Außenwelt willkürlich unterbunden werde. „Wir durften noch nicht einmal telefonieren. Nach einer weiteren Woche in Haft, diesmal bei der YNK, durften wir gehen. Aber nur unter der Bedingung, bei der Gerichtsverhandlung gegen uns zu erscheinen. Man hat ein Verfahren angestrengt und uns verhaftet, wir wissen aber nicht, weshalb.“
Repression wie in der Türkei
Eşref Korhan erinnert die Maßnahme an Zustände, wie er sie aus der Türkei kennt. Die Verfolgungswelle, die seit geraumer Zeit gegen Camp Mexmûr rolle, sei politisch motiviert. „Nach der Festnahme wurde ich einer Nacktdurchsuchung unterzogen. Schon davor, aber auch währenddessen wurde ich auf das Übelste beschimpft und beleidigt. Die Zelle, in die wir gesteckt wurden, war furchtbar eng. Es gab keine Schlafplätze und die Dschihadisten hörten ständig ihre Propagandalieder.“
Korhan erzählt, das erste Mal vor eineinhalb Jahren zum Arbeiten nach Hewlêr gegangen zu sein. „Wir sind Zivilisten und versuchen nur, unseren Lebensunterhalt zu bestreiten“, sagt er. An die PDK gerichtet appelliert Korhan: „Sie sollen endlich aufhören, sich wie der türkische Staat zu verhalten und uns wie Feinde zu behandeln.“
Noch sechzehn Person, darunter auch Frauen, in Haft
Hintergrund: Am 11. Oktober sind nahe der Hauptstadt der südkurdischen Autonomieregion Hewlêr mehr als ein Dutzend Bewohnerinnen und Bewohner ohne Angabe von Gründen von Sicherheitskräften der Regierungspartei PDK festgenommen worden. Weitere Flüchtlinge wurden bereits Ende September festgenommen, wie erst später bekannt wurde. Anstrengungen von Angehörigen, Auskunft über die Begründung der Festnahmen zu erhalten, wurden systematisch abgewehrt.
Gegen das offiziell unter dem Schutz und der Kontrolle des UNHCR stehende Lager wurde im Juli 2019 auf Druck der Türkei ein Embargo verhängt. Die seitens der Regionalregierung ausgesprochene Blockade wurde als Reaktion auf die Tötung eines Agenten des türkischen Geheimdienst MIT am 17. Juli 2019 in einem Restaurant in Hewlêr begründet, die Aufrechterhaltung wird durch die PDK-Sicherheit gewährleistet. Die Bewohnerinnen und Bewohner waren bereits in der Vergangenheit Opfer von willkürlichen Maßnahmen. Der Justizapparat der südkurdischen Regierung agiert ähnlich willkürlich wie die Behörden in der Türkei.
Nach Angaben des Außenkomitees von Camp Mexmûr waren die Festnahmen der zwanzig Bewohner*innen, von denen fünfzehn Studierende und die restlichen fünf Arbeiter*innen sind, an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) herangetragen worden. Da die „Angelegenheit“ aber nicht in den Zuständigkeitsbereich der Organisation falle, wurde nicht interveniert.