„Ellen war Internationalistin, Freundin, Revolutionärin“

Im Rahmen des Hamburger Cafés der feministischen Organisierung „Gemeinsam kämpfen!“ wurde das Buch „Verändern wollte ich eine Menge“ über die Internationalistin Ellen Stêrk vorgestellt.

Im Rahmen des monatlichen Cafés der feministischen Organisierung „Gemeinsam kämpfen!“ wurde gestern das Buch „Verändern wollte ich eine Menge“ über die Internationalistin Ellen Stêrk vorgestellt und das Erscheinen gefeiert. Neben einem Buffet wurde auch ein Büchertisch aufgebaut, auf dem das frisch erschienene Werk des Herausgeber:innenkollektivs „Gemeinsam kämpfen“ ausgestellt wurde. An der Veranstaltung nahmen etwa 25 Menschen teil, die zusammen der Geschichte von Ellen folgten und sich gemeinsam an sie erinnerten.

Bereits die Einleitung hatte einen persönlichen Charakter: „Ellen war eine Internationalistin, Freundin, Revolutionärin, die am 2. September 2016 in Hamburg an Krebs verstorben ist. Ellen hat in ihrem kurzen Leben tausende Spuren hinterlassen, die in dem Buch festgehalten wurden.“ Die Referentinnen und Autorinnen des Buches kannten Ellen selbst sehr gut und sind enge Freundinnen von ihr. Nach Ellens Tod haben sie viele Freund:innen, Bekannte und Menschen aus Ellens Leben kontaktiert, Interviews geführt und Material gesammelt, das sich in dem Buch wiederfindet. Über 50 Freund:innen von Ellen kommen in dem Buch zu Wort ebenso wie auch Ellen selbst – durch Briefe, die sie etwa in Amed (Nordkurdistan) oder in den Bergen bei der Guerilla verfasst hat sowie durch ein mit ihr zu Lebzeiten geführtes Interview, das in Ausschnitten in dem Buch veröffentlicht wurde.

Zu ihrer Kindheit und Jugend erzählten die Referentinnen: „Ellen ist in Buxtehude bei Hamburg aufgewachsen und wurde gemeinsam mit ihrem Bruder von ihrer Mutter großgezogen. Sie war ein sehr lebhaftes Kind. Schon damals waren alle durch ihr Lachen und ihre Offenheit, mit der sie auf Menschen zugegangen ist, fasziniert.


Zum Studieren ist sie nach Berlin gegangen und hat dort angefangen, sich zu politisieren und zu organisieren. Die Anti-Atombewegung war wichtig für sie. Sie hat an den Protesten gegen Castor-Transporte teilgenommen. Und es war ihr wichtig, Widerstand möglichst mit betroffenen Menschen zu organisieren. Insbesondere mit dieser Herangehensweise hat sie auch an den Anti-Hartz IV-Protesten mitgewirkt. Sie war auf der Suche nach dem richtigen Weg zu kämpfen und zu leben. Bei einer Reise nach Lateinamerika ist sie mit internationalen Kämpfen in Kontakt gekommen.“

Ellen habe im Jahr 2003/04 aktiv an der Karawane „Boundaries to bridges“ teilgenommen, einer Tour, die von Südspanien aus nach Senegal eine der wichtigsten Migrationsrouten nach Europa rückwärts unterwegs war. Durch kreative Protestformen sei versucht worden, auf das Thema aufmerksam zu machen und in diesem halben Jahr habe Ellen über vielfältige Diskriminierungslinien gelernt und reflektiert, besonders über Eurozentrismus.

2007 sei Ellen dann nach Istanbul gegangen, um dort ein halbes Jahr zu arbeiten. Sie habe zu diesem Zeitpunkt vieles in Deutschland vermisst und sei gleichzeitig Willens gewesen, in Istanbul Türkisch zu lernen. Eine der Referentinnen leitete ein: „Dort hat sie ein halbes Jahr in einer Jugendeinrichtung gearbeitet, die mit kurdischen Jugendlichen Kunstprojekte gemacht hat. Anschließend ist sie für ein halbes Jahr nach Amed gegangen, um dort die Frauenbewegung sowie die Situation in Nordkurdistan kennen zu lernen. In einem Brief, den sie geschrieben hat, als sie in Amed war, schrieb sie: „Viele hier fragen mich, was ich hier eigentlich mache. Ich sag‘ dann immer so ‚ne Art Studie für mich selber. Zum einen, dass ich Türkisch lernen will […]. Zum anderen will ich was vom Kurd:innenkonflikt mitbekommen, also verstehen, was zum Konflikt geführt hat und wie die bewaffnete Auseinandersetzung angefangen hat. Und dann interessiert mich noch, wie die Leute hier im Südosten, also hauptsächlich Kurd:innen, und insbesondere Frauen leben.“

Nachdem Ellen aus Amed zurückgekommen ist, habe sie im Frauen-Lesben-Hinterhaus eines Hausprojekts in Berlin gelebt. Dies sei für sie eine Verbindung zwischen politischem und kollektivem Leben gewesen. Ellen habe ihre Erfahrungen, Diskussionen und Fragen mit in die Hausgemeinschaft eingebracht. In Amed habe sie das erste Mal eine kämpfende Bewegung kennen gelernt, die in der Bevölkerung verankert sei. Diese Eindrücke habe sie mit anderen Menschen teilen wollen, was neben anderem zur Entstehung der Idee eines Camps in Amed geführt habe, an dessen Vorbereitung und Umsetzung im Jahr 2009 sie intensiv mitgearbeitet habe.

Die Referentinnen führten fort: „Aus dem Camp und den Erfahrungen, Diskussionen und auch Kritiken, die im Rahmen des Camps aufgekommen waren, ist 2010 die Kampagne „Tatort Kurdistan“ entstanden. Ellen war maßgeblich an der Gründung von Tatort Kurdistan beteiligt und hat hierbei auch viele verschiedene Menschen zusammengebracht.

Parallel zu der Kampagne ist in Ellen die Idee gewachsen, die kurdische Frauenbewegung besser kennen zu lernen. 2010 ist sie mit anderen Frauen nach Südkurdistan und in die Berge zur Guerilla gefahren. Die Gruppe hat dort viele Interviews geführt, aus denen das Buch „Widerstand und gelebte Utopien“ entstanden ist. Ellen war treibende Kraft im Entstehungsprozess des Buches.“

Einer Einladung der Frauenguerilla folgend, sei Ellen 2012 erneut in die Berge Kurdistans gereist und für eineinhalb Jahre geblieben, um zu lernen, zu lesen, sich weiterzubilden und zu studieren. In Briefen, die das Buch enthält, beschreibt Ellen ihre Zeit an der Sprachschule, ihr Ankommen und das kollektive Leben.

2014 sei Ellen nach Europa zurückgekehrt, habe beim kurdischen Frauenbüro für Frieden Cenî mitgearbeitet und ihren Fokus auf die Organisierung von Frauen gelegt. Sie habe stets das Ziel verfolgt, Diskussionen anzustoßen und neue Gedanken und Schritte zu entwickeln. Immer sei sie auf der Suche nach Lösungen gewesen und habe eine Klarheit und Entschlossenheit ausgestrahlt, die viele motiviert habe, sich einzubringen.

Nach einem Umzug nach Hamburg 2015 habe Ellen auch dort feministische Organisierungsprozesse unterstützt. Wenige Monate später habe sie von ihrer Krebserkrankung erfahren. Die Referent:innen beschrieben, dass sie trotz Arztbesuchen, Operationen und Chemotherapie wann immer es ging, weiterhin an Aktionen teilgenommen und auch im Krankenbett politische Diskussionen geführt habe. In der letzten verlesenen Passage heißt es: „Und sie hat sich entschieden im Garten der Frauen [Anm.: Der Garten der Frauen ist ein Ort der Erinnerung mit historischen Grabsteinen von Gräbern bedeutender Frauen und eine letzte Ruhestätte für Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg] beerdigt zu werden, damit weiter sichtbar bleibt, wer sie war und wofür sie gekämpft hat. Zum Glück konnten wir ihr diesen Wunsch erfüllen.“

Im Anschluss an die Buchvorstellungen haben Besucher:innen des Cafés den Autorinnen für ihre Arbeit gedankt und auch eigene Erinnerungen an Ellen geteilt: „Ellen hat Menschen begeistert und mitgerissen, zusammengebracht und immer wieder Berge versetzt.“

Über Anfragen für Lesungen freut sich das Herausgeber:innenkollektiv, sie können hierfür unter [email protected] kontaktiert werden.