Hamburg: Veranstaltung „Feminismus und Krieg“
In Hamburg fand gestern das feministische Café von Gemeinsam Kämpfen statt. Drei Referentinnen sprachen über Selbstverteidigung, die YPJ und über die Rolle von Frauen im Krieg.
In Hamburg fand gestern das feministische Café von Gemeinsam Kämpfen statt. Drei Referentinnen sprachen über Selbstverteidigung, die YPJ und über die Rolle von Frauen im Krieg.
Am 18. April fand, wie jeden dritten Montag im Monat, das feministische Café von Gemeinsam Kämpfen Hamburg statt. Dieses Mal war das Thema „Feminismus und Krieg“. Zu Beginn sprach Anja Flach über Frauen im Krieg und die Strategie der Selbstverteidigung der kurdischen Frauenbefreiungsbewegung. Anschließend schalteten sich zwei Mitglieder der YPJ International live aus Rojava dazu. Sie berichteten von ihren Erfahrungen in der Selbstverteidigung der YPJ.
Zu Beginn machten die Rednerinnen darauf aufmerksam, dass der türkische Staat eine weitere Militäroperation in Südkurdistan gestartet habe. Seit wenigen Stunden würden die Gebiete Zap, Metîna und Avaşîn massiv aus der Luft und mit Bodenraketen bombardiert.
Darauf Bezug nehmend, zeigte Anja Flach auf, dass durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine der im Mittleren Osten stattfindende globale Verteilungskrieg auch wieder in Europa angekommen sei. Dieser werde im Mittleren Osten schon lange als Dritter Weltkrieg bezeichnet. Alle internationalen Großmächte seien am Krieg im Mittleren Osten beteiligt, u.a. um Zugriff auf die dort vorhandenen Ressourcen zu bekommen.
„Das Patriarchat braucht Krieg“, so Anja Flach. „In der patriarchalen Logik ist es akzeptiert, Schwächere mit Gewalt zu unterwerfen. Die Unterwerfung unabhängiger Völker unter Missachtung aller international geltenden Regeln ist Teil dieser Realität – ebenso die Anwendung von Leid und Zerstörung als Instrumente patriarchaler Machtausübung.“ Auf die Erschütterung der binären und hierarchischen Geschlechterordnung durch die feministischen Bewegungen und den ökonomischen Strukturwandel in den letzten Jahrzehnten reagierten Männer auf der ganzen Welt mit höchster Aggressivität, führte sie aus.
Frauen werden in die Opferrolle gedrängt
„Frauen sind meist die Opfer von Krieg und Gewalt. Im Ersten Weltkrieg waren fünf Prozent der Opfer Zivilist:innen. Im Zweiten Weltkrieg waren schon 50 Prozent und Mitte der 1990er Jahre waren 80 Prozent der Opfer Zivilist:innen, zumeist Frauen und Kinder. Auch die Mehrzahl der Geflüchteten und der 100 Millionen heimatloser Menschen sind Frauen und Kinder und weitere unterdrückte Geschlechter“, erklärte Anja Flach.
Traditionell gelte der Mann als „Beschützer“ und „Verteidiger“, als aktiv, stark und mutig. Der Frau würden Passivität und Schwäche zugeschrieben werden. Daher werde Frauen in kriegerischen Auseinandersetzungen meist die Rolle der Hinterfront bzw. des Opfers aufgezwungen, was aber oft nicht den Tatsachen entspreche. Allein auf russischer Seite kämpften gegen den Hitlerfaschismus im Zweiten Weltkrieg mehr als eine Millionen Frauen. Rund 32.000 Frauen dienten derzeit als Soldatinnen beim ukrainischen Militär, etwa 16.000 von ihnen hätten an den Kampfhandlungen teilgenommen.
Vergewaltigung in Kriegen
„Kriege, unabhängig von Ursache und Verlauf, werden immer von Vergewaltigungen begleitet. Frauen werden hier zu Opfern nicht nur als Menschen, die in den jeweiligen Kriegsgebieten leben, sondern vor allem in ihrer Eigenschaft als Frauen“, führte Anja Flach aus.
Bei der Diskussion um Frauen in Armeen gingen die einen davon aus, dass das Militär, der Kriegsdienst und letztlich der Kampfeinsatz Männern vorbehalten sein solle, weil Frauen psychisch und physisch für das Militär ungeeignet seien. Die anderen forderten die Gleichberechtigung von Mann und Frau auch im Krieg.
„Unserer Ansicht nach kann es nicht darum gehen, ein Recht einzufordern, in patriarchalen Armeen und damit für die herrschende Klasse kämpfen zu dürfen, sondern es geht darum, das Recht zu haben, sich selbst zu verteidigen“, so Anja Flach über die Position von Gemeinsam Kämpfen.
Bewaffnete Frauen
Kämpferinnen würden das Tabu brechen, dass Frauen nicht zur Waffe greifen. Eine Frau, die eine Waffe – das Herrschaftssymbol der Männer – in die Hand nehme, werde als besonders gefährlich angesehen. Frauen, die die Waffe in die Hand genommen und z.B. als Partisanenkämpferinnen im Zweiten Weltkrieg auf hohe männliche Offiziere gerichtet hätten, rütteln „an den Grundfesten des patriarchalen Rollenverständnisses.”
In allen fortschrittlichen Guerillaarmeen sei der Frauenanteil besonders hoch, denn Frauen und andere unterdrückte Geschlechter hätten das größte Interesse daran, die patriarchal-kapitalistische Moderne zu bekämpfen, fuhr die Referentin fort. Selbstbestimmung von Frauen und anderen unterdrückten Geschlechtern könne es nur geben, wenn es keinen Hunger, keine Armut, keine Benachteiligung im Bildungs- und Erwerbsbereich gäbe.
Selbstverteidigung übersteige bei weitem den militärischen Bereich. Sie sei ein wichtiger Teil der Ideologie und Praxis der kurdischen Bewegung.
Das Selbstverständnis von Selbstverteidigung beinhalte auch, sich gegen den Einfluss von Herrschaftsideologien wehren zu können, daher spielten Bewusstseinsbildung, Persönlichkeitsentwicklung und die Bildungsarbeit eine wichtige Rolle, um den eigenen Willen gegen die Einflüsse, die das System auf die Gedanken des Menschen habe, verteidigen zu können. Insofern werde die Aufgabe der Verteidigung auch als eine Ideologisch-Politische verstanden, d.h. Menschen politisch zu bilden, um die Idee der Demokratischen Autonomie zu verstehen und weiterzuverbreiten, schloss die Referentin.
Die Praxis der YPJ International
Die beiden Internationalistinnen der YPJ bestätigten das zuvor Gesagte. Sie betonten noch einmal, dass Selbstverteidigung nicht nur militärisch, sondern vorwiegend ideologisch verstanden werden müsse. So sei die Grundausbildung bei den YPJ zu 70 Prozent ideologisch und nur zu 30 Prozent militärisch, erklärte eine der beiden. Die Ideologie werde u.a. in Form von Bildungsprogrammen vermittelt. Sie beinhalte Geschichte, Ethik und Politik, aber auch ganz philosophische Fragen wie „Was ist Freiheit?“, „Wie möchte ich leben?“. Ziel sei eine demokratische Frauenpersönlichkeit zu entwickeln. Grundlage dafür sei es, die eigene Persönlichkeit zu kennen. Eine der Methoden ist die Persönlichkeitsanalyse. Dies sei die Basis dafür, sich vom patriarchalen System zu befreien.
Die Frage aus dem Publikum, was es bedeute, als Frauen zu kämpfen, beantwortete die Vertreterin der YPJ International, es sei zunächst die Grundlage, Selbstzweifel und Unsicherheit zu überwinden, Selbstvertrauen zu gewinnen, um die eigenen Kräfte freizulegen, sich von der eigenen Sozialisation zu befreien.
Nicht die YPJ braucht uns, wir brauchen die YPJ
Die YPJ-Kämpferinnen berichteten vom Umgang mit Gefallenen bei den YPJ. Diese würden als größter Wert betrachtet werden. Die Lebenden machten es sich zur Aufgabe, die Ziele und Träume der Gefallenen zu verwirklichen. Bei den YPJ International kämpfen Frauen aus der ganzen Welt. Die YPJ sei auf die Internationalistinnen nicht angewiesen, erklärte die Genossin, vielmehr bräuchten die Internationalistinnen die Unterstützung der YPJ, um von der Frauenfreiheitsbewegung zu lernen und diese Kraft in der ganzen Welt zu verbreiten. Die YPJ International sehe sich als Brücke zwischen der Revolution und der ganzen Welt.
Die Frauenverteidigungseinheiten der YPJ kämpften für die Bevölkerung, nicht für einen Staat, führte sie aus. Menschen dazu auszubilden, sich selbst zu verteidigen, sei das Fundament. Das Wissen und die Veränderung umfasse sehr viele Ebenen – von der Gerechtigkeit, bis zum sozialen Leben, als auch zum Beispiel die Gesundheitsversorgung. Auf die Frage, wie das alltägliche Leben in der YPJ verlaufe, erklärte die zweite YPJ-Kämpferin, dass das Leben in der Gemeinschaft verbracht werde und die Frauen sich in kleinen Gruppen, die sie Kommunen nennen, organisierten.
Als weitere Lektüre wurde das Buch „Wir wissen was wir wollen – und was wir tun" empfohlen. Das nächstes Café von Gemeinsam Kämpfen Hamburg wird am 16. Mai 2022 in der GWA St Pauli stattfinden. Dort wird das Buch „Verändern wollte ich eine Menge – aus dem Leben der Internationalistin Ellen Stêrk“ vorgestellt.