Deutlich mehr Fälle von sexuellem Missbrauch in Cizîr

Eine der Folgen der Ausgangssperren in Cizîr ist das beunruhigende Anwachsen von Fällen sexuellen Missbrauchs und Prostitution, erklärt Mehmet Yılmaz von der Lehrer*innengewerkschaft Eğitim-Sen.

Nach der Aufhebung der Ausgangssperren in Cizîr (Cizre) sind die Zahlen von Prostitution und sexuellem Missbrauch in der Stadt sprunghaft angewachsen. Mehmet Yılmaz von der  Zweigstelle der Lehrer*innengewerkschaft Eğitim-Sen in Cizîr glaubt hier an keinen Zufall. Denn mit den Ausgangssperren wurden die zivilgesellschaftlichen Organisationen der Stadt mit einem Betätigungsverbot belegt. Dabei waren es gerade diese Organisationen, die den Jugendlichen der Stadt ein vielfältiges Beschäftigungs- und Bildungsangebot lieferten. Mit dem Verbot der Zivilgesellschaft stiegen dann zunächst die Fälle von Drogenmissbrauch unter den Jugendlichen an. Darauf  folgte auch ein Anwachsen der Prostitution in der Stadt.

Zudem häufen sich in Cizîr Fälle von sexuellem Missbrauch. Allein innerhalb eines Jahres wurden drei solcher Fälle an Gymnasien in der Stadt bekannt. Auch in Grundschulen soll es zu sexuellen Übergriffen gekommen sein. Die Lehrer*innengewerkschaft Eğitim-Sen verfolgt diese Fälle und unterstützt die Opfer. Wir haben mit Mehmet Yılmaz von der Zweigstelle von Eğitim-Sen in Cizîr über dieses Thema gesprochen.

Mehmet Yılmaz, Lehrer und Gewerkschafter in Cizîr

Yılmaz macht unmissverständlich klar, worauf die Anhäufung der Fälle von Drogenmissbrauch, Prostitution und sexuellem Missbrauch in der Stadt zurückzuführen sind. „Allein beim sexuellen Missbrauch sind die Zahlen in der Zeit nach den Ausgangssperren um 73% gestiegen. Es gab diese Fälle leider auch schon vorher. Doch wir verzeichnen eine beunruhigende Steigerung. Und das ist kein Zufall. Hier in die Region wurden sehr viele Soldaten und Polizisten verlegt. Gleichzeitig ist der Anteil an Minderjährigen in der Stadt äußerst hoch. Oft werden diese von den Tätern als ‚leichte‘ Opfer betrachtet. Hinzu kommt, dass die Jugendlichen hier Schreckliches durchgemacht haben und deswegen in einem ständigen Angstzustand leben. In ihren Augen kann der Täter als ‚mächtig‘ erscheinen, der zudem unter dem Schutz von bestimmten Stellen steht. Die Folge dessen ist leider oftmals, dass die Opfer dieser Taten es vorziehen, sich in Schweigen zu hüllen“, erklärt Yılmaz.

Sexueller Missbrauch an Schulen

Ein aktuelles Beispiel ereignete sich im Merkez-Anadolu-Gymnasium von Cizîr. Der stellvertretende Direktor B.E. hat mehrere Schülerinnen belästigt, indem er ihnen Textnachrichten mit sexuellem Inhalt zugesandt hat. Auch Vergewaltigungsvorwürfe gegen B.E. stehen im Raum. Yilmaz erklärt, dass auch in diesem Fall der Täter sich durch das Schweigen der Opfer in seinem Handeln ermutigt gefühlt habe. So seien immer weitere Minderjährige B.E.  zum Opfer gefallen. Der ganze Vorfall habe sich über vier Jahre gezogen. Die Schülerinnen seien in dieser Zeit durch Drohungen der Lehrkräfte zum Schweigen gebracht worden.

„Nachdem eins, zwei Lehrkräfte die Ereignisse bemerkten und dagegen vorgehen wollten, versuchten der Direktor und andere Lehrer*innen das ganze Thema unter den Teppich zu kehren. Das führte schließlich dazu, dass die Schülerinnen auch den anderen Lehrkräften in ihrer Schule misstrauten", berichtet Yılmaz. Er appelliert an die Opfer von Vorfällen wie diesen, ihre Geschichten inner- und außerhalb der Schulen publik zu machen. „Gesetzlich müssen diese Vorwürfe immer untersucht werden. Wir wissen aber auch, dass gerade die Nichtanwendung der Gesetze in diesem Land zu solchen schrecklichen Situation führen. Als Eğitim-Sen werden wir jedenfalls alles unternehmen, um unsere Kinder in den Schulen und draußen in der Öffentlichkeit zu schützen", so Yılmaz abschließend.