Betroffene Kämpfer:innen berichten über Chemiewaffenangriffe

Die Guerillakämpfer:innen Şahin Armanc und Rojda Zagros haben monatelang in den Kriegstunneln am Girê Ortê Widerstand gegen die türkischen Angriffe geleistet. Nun sprechen sie über ihre Erfahrungen mit den türkischen Chemiewaffeneinsätzen.

Kriegsverbrechen der Türkei in Kurdistan

Der türkische Staat setzt alles daran, die Medya-Verteidigungsgebiete zu erobern. Dabei schreckt er auch nicht vor dem Einsatz unkonventioneller Waffen wie thermobarischer Bomben und verbotener Waffen wie Giftgas zurück. Die Guerilla hält sich jedoch in den Kriegstunneln und schlägt mit mobilen Einheiten immer wieder zu. Eines dieser Widerstandsgebiete ist Girê Ortê in Metîna. Seit April 2022 versucht die zweitgrößte NATO-Armee, Metîna zu erobern, seitdem leisten die Guerillakämpfer:innen in den Tunneln und im Gelände Widerstand. Durch den Einsatz von Chemiewaffen und unkonventionellen Bomben sind im Gebiet Girê Ortê vier Kämpfer:innen gefallen. Şahin Armanc und Rojda Zagros sind zwei Kämpfer:innen, die monatelang in diesem gnadenlosen Umfeld Widerstand geleistet haben und aus erster Hand vom Einsatz von Chemiewaffen und den Gegenstrategien berichten können.


Verschiedene Gase wurden eingesetzt

Rojda Zagros berichtete: „In den Kriegstunneln im Widerstandsgebiet Girê Ortê gab es Freundinnen und Freunde aus verschiedenen Bereichen. Einige von ihnen waren erfahren, andere waren unerfahren, manche hatten noch nie an Operationen teilgenommen. Der Feind konnte sich den Tunneln eine Zeit lang nicht nähern. Er griff zunächst mit Sprengstoff rund um die Tunneleingänge an. Dann folgten Angriffe mit Tränengas und geruchlosen Erstickungsgasen. Wir wussten, dass der Feind Chemiewaffen einsetzte, farbige und geruchlose Gase, die einen fertig machten und drei bis vier Tage lang Kopfschmerzen bereiteten. Es wurde auch eine Chemikalie, die wie weißes Pulver aussah, eingesetzt. Dadurch wurden unsere Füße taub und wir fühlten uns schwach, sobald wir uns bewegten.

Kämpfer:innen schützten sich mit einfachen Mitteln

Wir trafen Vorkehrungen gegen das Giftgas. Wir trugen Masken, befeuchteten ein Handtuch oder einen Lappen und legten ihn auf die Maske und machten die Erfahrung, dass das half. Einige der verwendeten Gase rochen nach Bleichmittel, andere nach Äpfeln, und wieder andere hatten einen schwereren Geruch. Uns brannten die Augen und die Nase, wir hatten Atembeschwerden, und es wurde uns übel. Obwohl der Feind so massiv angriff und so viele chemische Waffen einsetzte, konnte er keine Wirkung erzielen. Das musste er ebenfalls selbst feststellen. Deshalb versuchte der Feind Tag für Tag, sich dem Eingang des Tunnels zu nähern und ihn zu kontrollieren. Das fand zu bestimmten Zeiten statt. Etwa zwei Monate lang wurde der Tunneleingang zwischen 11.30 bis 16.30 Uhr mit Sprengstoff angegriffen. Viele Male rief man uns zu: ‚Gebt auf, wir geben euch warmes Essen, kommt raus.‘ Die Freunde antworteten auf jede Aufforderung des Feindes, sich zu ergeben, mit Bomben. Der Kommandant der Soldaten drohte mit den Worten: ‚Wenn ihr euch nicht ergebt, werden wir Nuklearwaffen einsetzen.‘ Er dachte, dass er der Guerilla auf diese Weise Angst einjagen könnte.

Der Feind betrieb eine Spezialkriegspolitik, aber das hatte bei uns keine Wirkung. Niemand schenkte der Rhetorik des Feindes Beachtung. Dann setzte er Nuklearwaffen ein. Schließlich, am 18. Dezember, unternahm er einen Großangriff und setzte erneut chemische Waffen ein. Etwa fünf Minuten nach dem Angriff erfüllte Rauch den Raum. Es war ein cremefarbener Rauch. Er war geruchlos. Zu diesem Zeitpunkt wurde ich ohnmächtig. Nach sieben Stunden kam ich wieder zu mir. Ich war durch das chemische Gas gelähmt. Ich konnte nur meine Augen bewegen, konnte aber meine Freunde nicht erkennen. Als ich aufzustehen versuchte, wurde mir übel und ich musste mich übergeben. Ich war erneut 10 bis 15 Minuten lang bewusstlos und hatte starke Schmerzen. Nach dem Angriff rief der Feind wieder: ‚Ergebt euch, ihr könnt nirgendwo hin.‘ Obwohl die Freunde erschöpft waren, reagierten sie auf diesen Ruf erneut mit Bomben. Bevor unsere Freunde fielen, hatten sie Minen am Eingang des Tunnels gelegt, und als der Feind angriff, ließen wir die Minen explodieren. Zwei eindringende Soldaten wurden von der Explosion getroffen.

Mein Ziel und mein Anspruch ist es, auf der Spur meiner gefallenen Genoss:innen zu kämpfen und auf diesem Weg kein Hindernis zu akzeptieren. Wir werden kein anderes Leben als den Kampf und die Rache akzeptieren.“

Türkische Armee konnte sich monatelang nicht dem Tunneleingang nähern


Şahin Armanc war ebenfalls in den Tunneln am Girê Ortê: „Im Juli 2023 startete der Feind einen Angriff auf das Widerstandsgebiet Girê Ortê in der Region Metîna. Als der Feind das erste Mal vorrückte, musste er mehrere schwere Verluste einstecken. Da wir vorbereitet waren, konnten wir wirksame Aktionen durchführen. Es war Juli, es war heiß, Aufklärungsflugzeuge flogen herum. Wenn der Feind einen Angriff startete, führten wir Aktionen mit schweren Waffen durch. Auch dabei erlitt der Feind Verluste. Unsere Moral und Motivation waren gut. Der Feind konnte sich aus Angst zwei bis drei Monate lang nicht dem Tunneleingang nähern. Das lag an unseren Sabotageaktionen.

Nachdem der Feind unseren Tunneleingang entdeckt hatte, setzte er chemische Waffen ein. Der Feind setzte ein rotes Gas ein, das Verätzungen in den Augen und Atemwegen verursachte. Wir konnten unsere Augen nicht öffnen. Wir hatten Masken, und nur damit konnten wir uns schützen. Der Feind setzte auch ein schwarzes Gas ein; es verbrannte die Kehle, wir hatten Schwierigkeiten beim Atmen.

Ein anderes chemisches Gas, das vom Feind eingesetzt wurde, schien den Menschen zunächst nichts auszumachen, aber später kam das Gefühl zu ersticken. Das war eine sehr schwere chemische Waffe. Sobald man sich bewegte, wurde man bewusstlos. War man zwei bis drei Stunden diesem Gas ausgesetzt, so drohte der Tod.“