Bericht aus dem Tunnelkrieg: Widerstand auf allen Ebenen

Der Guerillakämpfer Felat Engîn aus dem Kriegstunnelsystem im südkurdischen Sîda-Gebiet berichtet über Entschlossenheit und kreative Methoden im Widerstand gegen die Übermacht der türkischen Armee.

Auch wenn die Guerilla angesichts des verheerenden Erdbebens in Kurdistan, der Türkei und Syrien eine Waffenruhe ausgerufen hat, gehen die türkischen Angriffe auf die Medya-Verteidigungsgebiete weiter. Seit dem 15. April 2022 versucht die türkische Armee, mit aller Macht die von der Guerilla geschützten Gebiete in Südkurdistan zu erobern. Dabei wurden bereits unzählige Male chemische Waffen und unkonventionelle Bomben eingesetzt. Dennoch konnte die türkische Armee ihr Besatzungsziel nicht erreichen und musste sich angesichts des Guerillawiderstands sogar aus Teilen der Zap-Region zurückziehen. Das Rückgrat dieses erfolgreichen Guerillawiderstands sind die Tunnelanlagen, in denen Kämpfer:innen allen Schwierigkeiten trotzen und den Angriffen widerstehen. Eines dieser Tunnelsysteme befindet sich in der Nähe des Dorfes Sîda bei der südkurdischen Kleinstadt Amêdî.

Widerstand gegen Luftangriffe und zehnfache Überzahl an Bodentruppen

Felat Engîn ist einer der Kämpfer, die in diesem Tunnelsystem ausharren. Er berichtet, dass die Angriffe der türkischen Armee insbesondere nach dem 2. September 2022 zugenommen hätten: „In dieser Nacht zog der Feind am Şehîd-Fedakar-Camp bei Sîda Soldaten zusammen. Es schien, als ob sie an diesem Abend eine Operation gegen Zap starten würden. In nur einer Nacht setzte der Feind 35 Mal Truppen ab und führte Luftangriffe auf das Şehîd-Fedakar-Gebiet durch. Dieses sehr begrenzte Gebiet besteht aus einem Gipfel und seiner nächsten Umgebung. Jeden Tag fanden Luftangriffe auf diesen sehr kleinen Bereich statt. Anschließend versuchte die türkische Armee, das Gebiet Sîda am Boden zu erreichen. Die ganze Zap-Region war Teil dieser Operation. Unter schwersten Bedingungen und Luftangriffen befanden sich 15 Freund:innen im Gelände und führten ihre Aufgaben durch. Die Freund:innen leisteten Organisierungsarbeit und bereiteten ihre Kräfte auf die Operation vor. Die Propaganda des Feindes entspricht nicht der Realität. Der türkische Staat konnte mit seinen Angriffen nicht die erwünschten Ergebnisse erzielen.

Als sich die feindlichen Truppen am Boden in Richtung der Kriegstunnel im Sîda-Gebiet bewegten, begannen wir gegen sie vorzugehen. Der Feind hatte bereits verkündet, dass er angreifen würde. Wir waren vorbereitet und warteten auf die feindlichen Truppen. Es fanden viele Aktionen gegen den Feind statt, und er konnte sich nicht frei bewegen. Es ist wahr, der Feind hatte seine Angriffe und seine Bewegungen ausgeweitet, aber die Truppen waren psychisch am Ende. Selbst wenn eine Freundin nur von weitem das Feuer auf die Soldaten eröffnete, brachen diese in Panik aus. Der Feind behauptet, er habe die Tunnel angegriffen und vernichtet, aber er weiß selbst ganz genau, dass dies eine Lüge ist.“

Der Feind kann unsere Gebiete nicht einfach so besetzen“

Engîn beschreibt den Kampf um die Kriegstunnel in Sîda: „Wenn der Feind angreift, spielt es keine Rolle, in welcher Position wir uns befinden. Selbst wenn es sich um eine kleine Stellung handelt, ist es wichtig, dass wir so gut wie möglich kämpfen, den Feind besiegen und ihn am Durchkommen hindern können. Für uns war das Entscheidende, deutlich zu machen, dass der Feind nicht einfach kommen und unser Land besetzen kann. Wir hatten uns dafür entschieden, Widerstand zu leisten und zu kämpfen. In diesem Sinne machten wir unsere letzten Vorbereitungen. Am 16. September kam der Feind in der Nähe unseres Lagers an. Wir beobachteten ihn genau und führten dann eine Aktion durch. Wir waren entschlossen, den Widerstand bis zum letzten auszuweiten. Wir konnten es dem Feind nicht erlauben, unsere Gebiete zu besetzen. Wir haben so viel Kraft investiert, deswegen kämpften wir gegen den Feind.

Der Feind bemerkte den Eingang des Tunnels nicht“

Der Charakter der Kriegsführung hat sich verändert. Manchmal geschehen ganz merkwürdige Dinge und es gibt seltsame Momente. Der Feind befand sich auf dem Gipfel über der Höhle und kam auf den Eingang zu. Aber er hatte diesen Eingang nicht entdeckt. Er sah ihn nicht. Wir hatten darauf gewartet, dass er käme, und waren bereit, gegen ihn vorzugehen. Die Soldaten unterhielten sich. Wir hörten ihnen über Mikrofone zu. Der Name eines Soldaten war Eren. Er sprach mit seinem Kommandanten und sagte: ‚Mein Kommandant, hier ist ein Kabel, es geht in den Tunnel.‘ Er hatte also den Tunnel jetzt bemerkt. Der Soldat wollte in den Tunnel gehen, aber der Kommandant erlaubte es ihm nicht und sagte, er solle den Koordinaten nach weiter vorgehen. Manche Eingänge und Öffnungen in unser Lager (das Tunnelsystem) waren offen und wir wussten, dass der Feind von dort angreifen würde.

Der Tunnelkrieg beginnt

Der Kommandant übernahm nicht die Verantwortung, Soldaten hineinzuschicken. Erst nach einem Funkspruch gingen zwei Soldaten hinein und wir intervenierten sofort. Nach kurzer Zeit brach ein Gefecht aus. Die Soldaten schrien ‚lauft, lauft!‘. Wir konnten nicht feststellen, wie viele Tote sie zu verzeichnen hatten. Nun begann der Tunnelkrieg in unserem Camp. Wir wussten, dass der Feind chemische Waffen einsetzen würde, und wir hatten entsprechende Vorkehrungen getroffen. Der Feind griff hauptsächlich mit Sprengstoff und chemischen Waffen an. Vor allem nachts wurden jede Stunde zwei Bomben auf den Eingang geworfen.“

In der Tunnelanlage habe sich nur eine geringe Zahl von Kämpfer:innen befunden, sagt Felat Engîn und erzählt weiter: „Als wir sahen, dass sich der Feind nicht auf den Eingang des Tunnels zubewegte, versuchten wir, ihn dorthin zu lenken. Ein anderer Eingang war bereits schwer von den Flugzeugen getroffen worden und eingestürzt. Es war nur noch ein kleines Loch übrig, durch das Licht eindrang. Die Soldaten kamen alle zwei oder drei Tage, um den Ort zu kontrollieren. Sie ließen ihren Müll dort liegen, um zu kontrollieren, ob wir dorthin kämen. Aber es gab eine Sache, mit der der Feind nicht gerechnet hatten. Es gab ein Loch im Tunnel, das nach draußen führte. Wir hatten das Loch etwas vergrößert und wollten von dort aus eine Aktion gegen den Feind durchführen. Bisher hatte sich die Gelegenheit dazu nicht ergeben.

Schlag gegen Militär mit kreativer Guerillataktik

Wir tarnten uns mit militärischer Kleidung, legten Minen und brachten Mikrofone an, um alles zu hören. Das war in der Nähe des Eingangs. Dieser Ort wurde täglich kontrolliert. Schließlich näherte sich ein Soldat diesem Loch und bemerkte, dass da etwas war. Ein Kommandant und ein paar Soldaten kamen. Wir konnten ihre Stimmen hören. Der Kommandant befragte die Soldaten, ob der Stofffetzen dort schon zuvor gewesen sei und die Soldaten antworteten ihm, dass er neu sei. Es war klar, dass dieser Soldat bereits an der Operation beteiligt war oder eine Ausbildung erhalten hatte. Er erzählte seinem Kommandanten, dass so ein Loch auch in anderen Tunneln für die Luftzufuhr verwendet wurde.

Das akzeptierte der Kommandant nicht und forderte die Soldaten auf, das Stoffstück herauszuholen. Aber die Soldaten hatten Angst und wollten es nicht anfassen. Es kam zum Streit unter ihnen. Ein Soldat wollte darauf schießen, aber der Kommandant erlaubte es nicht. Dann informierte er seinen Vorgesetzten, und ein anderer Kommandant kam hinzu. So wie er sprach, klang er wie ein hochrangiger Befehlshaber. Der Kommandant ging selbst, den Stofffetzen holen. Er war so nah, dass wir seinen Atem hören konnten. Alle Soldaten waren nah herangekommen. Wir nutzten diese Gelegenheit für einen Angriff. Wir hörten die Stimmen von sieben Soldaten klar. Mit Hilfe unserer Freund:innen, die uns draußen unterstützten, konnten wir feststellen, das vier Soldaten, unter ihnen ein hochrangiger Militär, getötet wurden. Nach der Aktion haben wir den Feind noch ein paar Mal angegriffen.

Kapitulationsaufruf blieb dem Feind im Hals stecken“

Eines Tages griff der Feind früh am Morgen den Eingang an. Die Freund:innen hörten die Geräusche der Soldaten und informierten uns, dass der Feind im Anmarsch war. Die Soldaten hatten Megaphone und wollten uns wohl zur Kapitulation aufrufen. Als sie herankamen, zündeten wir eine Bombe. Ihr Aufruf blieb ihnen so im Halse stecken. Als die Soldaten versuchten, in die Tunnel einzudringen, gingen wir direkt gegen sie vor. Da die Tunnel eng sind, trauten sie sich nicht anzugreifen. Schließlich mussten sie den Eingang selbst verschließen. Sie setzten chemische Waffen ein und machten den Eingang zu, um uns zu ersticken. Sie versuchten dann ein paar Mal, die anderen Eingänge anzugreifen, aber es gelang ihnen nicht. Wir haben die Eingänge geöffnet und sie haben sie geschlossen. Sie merkten, dass es nicht funktionierte, und brachten Überwachungskameras an den Eingängen an.“

Der Feind musste sich aus den besetzten Gebieten zurückziehen“

Schließlich versuchte die Armee, mit Kameras das Innere der Tunnel zu erkunden. Engîn berichtet: „Sie befestigten die Kamera an einer Vorrichtung und führten sie in die Tunnel hinein. Sie konnten nicht in die Tunnel eindringen, also entwickelten sie diese Methode. Wir zündeten dort Bomben und vernichteten zwei Soldaten zusammen mit ihren Kameras. Da wir den Feind zu den Tunneleingängen locken wollten, bewegten wir uns insbesondere nachts vor den Überwachungskameras. Wir nahmen den Antrieb aus einer ferngesteuerten Kamera heraus und verbanden ihn mit dem Abzug eines BKC-Maschinengewehrs. So konnten wir das Maschinengewehr fernsteuern. Wir konnten hören, wie sich der Feind näherte. Wir hatten das Maschinengewehr dort aufgebaut, wo wir erwarteten, dass der Feind kommen würde. Auf diese Weise konnten wir Dutzende Male Sprengungen verhindern und jederzeit den Feind aus der Ferne angreifen.

Zusammenarbeit mit mobilen Einheiten

Immer wieder haben uns die Freund:innen von draußen geholfen und den Feind angegriffen. Eines Nachts kamen die Freund:innen aus dem Tunnel und zündeten ein Feuerwerk. Die Idee war, den Feind zu provozieren. Als die Leuchtraketen losgingen, beschoss der Feind den gesamten Ort. Wir waren zahlenmäßig unterlegen, aber wir führten auf diesem Gipfel eine Aktion gegen die mindestens 150 dort stationierten Soldaten durch. Wir hatten nur Maschinengewehre und Raketenwerfer. Der Feind setzte alle seine Mittel ein, um uns zu vernichten. Doch bei der Aktion wurde niemand von uns nur leicht verletzt.

Massive Chemiewaffeneinsätze

Egal wie sehr der Feind behauptet, dass er keine chemischen Waffen einsetze, kann er die Wahrheit nicht verbergen. Wir haben persönlich gesehen, wie sie eingesetzt werden. Der Feind selbst weiß das, aber er will alle täuschen. Manchmal gab der Feind zu, dass er Pfeffergas verwendet, aber er setzt nicht nur das, sondern alle Arten von Chemiewaffen ein. Einige seiner chemischen Waffen hatten eine gelbe Farbe. Sie erzeugte einen Staub, der an den Wänden klebte. Wenn dieser Staub den Boden oder das Wasser berührte, färbte sich alles gelb. Wir können nicht sagen, dass die chemischen Waffen keine Wirkung auf uns hatten, aber es war nicht genug, um uns zu töten. Denn wir trafen Vorsichtsmaßnahmen und nutzten unsere Erfahrungen der vergangenen Jahre.

Den Feind auf engstem Raum besiegt“

Die Kurd:innen sind nicht mehr die Kurd:innen von einst. Wir werden nicht zulassen, dass der Feind wie damals beim Dersim-Genozid sagen kann: ‚Wir haben sie wie Ratten in Höhlen getötet.‘ Da wir Vorkehrungen getroffen hatten, wurden wir nicht so sehr in Mitleidenschaft gezogen. Nicht einmal eine unserer Freund:innen ist durch chemische Waffen gefallen. Anhand der Sprengstoffe wird deutlich, dass der Feind über zahlreiche Waffen und Spezialsprengstoffe verfügt. Er verwendet einige der Spezialwaffen der NATO. Wir hatten beschlossen, bis zum Ende Widerstand zu leisten, egal wie sehr der Feind uns angreift. Wir hatten an alles gedacht und alles vorbereitet. Wir kämpften und widerstanden dem Feind. Wir haben den Feind auf engstem Raum und unter schwerem Beschuss besiegt. Wir haben auf sehr kurze Distanz gekämpft. Sechs Soldaten wurden dort getötet. Auch jetzt geht der Widerstand unter all den Schwierigkeiten weiter, und der Feind setzt immer noch chemische Waffen ein. Der Widerstand unserer Genoss:innen gegen die Invasion geht in den Kriegstunneln von Çemço, Şehîd Botan, Şehîd Doxan und Şehîd Felat weiter. Der Feind ist nicht, wie er seinen Medien behauptet, erfolgreich. Im Gegenteil, er ist gezwungen, sich aus den von ihm besetzten Gebieten zurückzuziehen.“