Befreiung von Şengal: „Wir dürfen niemals vergessen“

Die TAJÊ-Aktivistin Kinê Xidir erklärt sieben Jahre nach der Befreiung Şengals von der IS-Herrschaft, dass die ezidische Gemeinschaft nie vergessen wird, wer ihr bei dem damaligen Massaker zur Seite gestanden hat.

Vor sieben Jahren, am 12. November 2015, begann eine großangelegte Offensive gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) in Şengal im Nordirak. An der Operation waren neben den Widerstandseinheiten Şengals (Yekîneyên Berxwedana Şengalê, YBŞ) auch Kämpfer:innen der Guerillaarmeen HPG und YJA Star der YPG und YPJ aus Rojava sowie die Peschmerga beteiligt. Einen Tag später wurde die Befreiung der Region von der IS-Herrschaft verkündet. Die Kämpfe zur restlosen Beseitigung der Islamisten aus der Region dauerten bis 2017 an.

Aus Anlass des Jahrestages hat Kinê Xidir, Aktivistin der ezidischen Frauenbewegung TAJÊ, gegenüber ANF geschildert, wie sie die damalige Zeit erlebte. Sie sagt, dass die Befreiung von Şengal nach der Besetzung durch den IS am 3. August 2014 der Voraussicht Abdullah Öcalans und der PKK-Guerilla zu verdanken ist.

„Ich möchte Rêber Apo [Abdullah Öcalan], der Guerilla und der ezidischen Gemeinschaft zur Befreiung von Şengal gratulieren“, erklärt Kinê Xidir einleitend. Vor dem Überfall durch den IS sei ständig davor gewarnt worden, dass dem ezidischen Volk ein weiteres Massaker drohe, ein Ferman. „Diese Voraussicht bestätigte sich am 3. August 2014. Kleine Kinder starben in den Armen ihrer vor dem Massaker flüchtenden Mütter und mussten in der Wüste begraben werden“, erinnert sich Kinê Xidir und spricht den Verrat der vom Barzanî-Clan dominierten PDK an: „Beispielsweise sind drei junge Menschen im Dorf Zorava von der PDK ermordet worden, als sie Waffen von den abziehenden Peschmerga einforderten. Die PDK hat nicht nur die Eziden verraten, sondern das gesamte kurdische Volk.“

Şengal sei damals nur von der Guerilla verteidigt worden: „Nur die Guerilla war während des Ferman bei uns. Die Kämpferinnen und Kämpfer kamen zu unserer Verteidigung, aber sie haben auch ihr Brot und Wasser mit uns geteilt“, erzählt Kinê Xidir und berichtet von ihrer ersten Begegnung mit der Guerilla: „Ich sah zwei Guerillakämpferinnen, sie hießen Bihar und Netewî. Als erstes fragte ich, ob sie zur PDK gehören. Sie sagten: Nein, wir sind die Guerilla und gekommen, um euch zu retten. Die Kämpferin, die Netewî hieß, machte uns den Vorschlag, entweder nach Rojava zu gehen oder Şengal zusammen mit der Guerilla zu befreien. Als wir das hörten, fühlten wir uns wie neu geboren. Wir blieben und beteiligten uns am Widerstand.“

Kinê Xidir betont ein weiteres Mal, dass den Ezid:innen außer der Guerilla und den Verteidigungseinheiten aus Rojava niemand zur Hilfe gekommen ist. „Die Befreiung von Şengal war unser größter Traum und wir haben damals eine große Feier veranstaltet, denn dieser Erfolg war Balsam für unsere Wunden“, sagt die Aktivistin und appelliert, das damalige Geschehen niemals zu vergessen: „Als ezidische Gemeinschaft und als ezidische Frauen werden wir den Ferman, den Verrat und den Widerstand niemals vergessen. Wir werden uns vor allem immer an den Einsatz der Guerilla erinnern. Damit kein weiterer Ferman stattfindet, dürfen die Ezidinnen und Eziden das damalige Geschehen nicht vergessen. An dieser Stelle möchte ich Rêber Apo, den Freundinnen und Freunden im Gefängnis und der Guerilla meine Grüße ausrichten.“