Am Grab von Vedat Aydın: „Hoffen auf hellere Zeiten“

Am Grab des vor 33 Jahren vom türkischen Staat ermordeten Politikers Vedat Aydın in Amed haben Angehörige und kurdische Politiker:innen zum Opferfest den Wunsch nach Frieden und einem Ende des Blutvergießens geäußert.

Friedhofsbesuch zum Opferfest

Kurdinnen und Kurden besuchen am muslimischen Opferfest die Gräber ihrer Toten. Auf dem Friedhof am Merdîn-Tor der Stadtmauer von Amed (tr. Diyarbakir) haben Angehörige, Politiker:innen und Vertreter:innen des Vereins MEBYA-DER des vor 33 Jahren im staatlichen Auftrag ermordeten Politikers Vedat Aydın gedacht. An dem Gedenken nahmen auch die DEM-Abgeordneten Adalet Kaya und Meral Danış Beştaş sowie die ehemalige Oberbürgermeisterin Gültan Kışanak teil, die vor wenigen Wochen nach fast acht Jahren Haft freigelassen wurde.

„Vedat Aydın wurde in einer finsteren Zeit ermordet. Wir alle hoffen auf hellere Zeiten“, sagte Gültan Kışanak, als sie Nelken auf dem Grab niederlegte. Veysi Aydın, der Bruder des Ermordeten, sprach zum Opferfest den Wunsch nach Frieden aus und erklärte: „Der Kampf des kurdischen Volkes befindet sich an einem wichtigen Punkt. Möge das Blutvergießen enden und endlich ein würdevoller Frieden einkehren.“

Wer war Vedat Aydın?

Vedat Aydın ist 1953 in Bismîl geboren und hat in Amed Literatur studiert. 1990 wurde er dort zum Leiter der Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD gewählt. Zum Zeitpunkt seiner Ermordung war er zudem der Provinzverbandsvorsitzende der „Arbeitspartei des Volkes“ (HEP), die ihren Schwerpunkt auf die Lösung der kurdischen Frage legte. Die HEP war ein Jahr zuvor von Politikern gegründet worden, die für die sozialdemokratische SHP im Parlament saßen und aufgrund ihrer Teilnahme an einer Konferenz des Kurdischen Instituts in Paris zu Menschenrechten und Identität der Kurdinnen und Kurden aus der Partei verstoßen wurden. Es dauerte nicht lange, bis sich die HEP zu einem bedeutenden politischen Faktor in den kurdischen Gebieten entwickelte – und Anschläge auf ihre Einrichtungen verübt wurden.

Dreizehn Kugeln, zertrümmerter Schädel, gebrochene Beine

Am 5. Juli 1991 wurde Vedat Aydın von drei Polizisten in Zivil in seiner Wohnung in Amed festgenommen. Zwei Tage später wurde seine verstümmelte Leiche im 80 Kilometer von Amed entfernten Maden in der Provinz Xarpêt (Elazığ) an einer Landstraße gefunden. Vedat Aydın war von dreizehn Kugeln getroffen worden, acht steckten noch in seinem Körper. Sein Schädel war zertrümmert, ebenso sein linkes Bein. Seine Familienangehörigen konnten ihn gerade noch identifizieren, aber als Parteifreunde das Begräbnis organisieren wollten, war seine Leiche verschwunden. Wenig später stellte sich heraus, dass die Stadtverwaltung von Maden den charismatischen Politiker bereits begraben hatte. Es wurde eine umgehende Exhumierung erwirkt.

Blutbad bei Begräbnis

Das Begräbnis von Vedat Aydın am 10. Juli 1991 in Amed entwickelte sich zu einer Massendemonstration. Über 50.000 Menschen aus allen Regionen des Landes waren gekommen, um den Politiker zu verabschieden und gegen seine Ermordung zu protestieren. Doch auch hier sollte sich der türkische Staatsterrorismus in all seinen brutalen Facetten zeigen: Maskierte Todesschwadronen schossen mit scharfer Munition in die Menge und zerstörten mehrere Stockwerke eines Gebäudes, in dem sich unter anderem das IHD-Büro befand, bevor sie gegen die Menschen anstürmten. Hunderte Trauernde stürzten bei den Hevsel-Gärten am Mêrdîn-Tor in einen zehn Meter tiefen Abgrund, andere sprangen freiwillig, um sich zu retten. Wieder hunderte wurden festgenommen und zur Polizei oder Jandarma verschleppt, dort folterte man sie mit Schläuchen und Ketten. Währenddessen mussten sie die türkische Nationalhymne singen und rufen: „Glücklich derjenige, der sich Türke nennen darf”. Auch aus Ankara angereiste Parlamentsabgeordnete wurden beinahe zu Tode geprügelt. Nur die wenigsten Verletzten trauten sich in ein Krankenhaus.

23 Tote, über 2.000 Verletzte

Offiziellen Angaben zufolge wurden im Verlauf der Beerdigung von Vedat Aydın acht Menschen getötet. Der IHD und andere Menschenrechtsorganisationen hingegen sprechen von 23 Todesopfern und mehr als 2.000 Verletzten. Das Blutbad markierte einen neuen Höhepunkt in der jahrelangen Unterdrückung der kurdischen Gesellschaft, niemand wurde dafür zur Verantwortung gezogen. Auch der Mord an Vedat Aydın ist ungesühnt. Obwohl die Namen der Polizisten, die ihn am 5. Juli 1991 festnahmen, bekannt sind – Ali Ozansoy, Fethi Çetin und Aytekin Özen – wurde keiner von ihnen verurteilt. Nach türkischem Recht beträgt die Verjährungsfrist dreißig Jahre. Die Praxis der Straflosigkeit für staatliche Morde an Kurdinnen und Kurden hat in der Türkei Tradition.