Altun: „Die südkurdischen Parteien haben große Fehler gemacht“
Rıza Altun (KCK) analysiert die verhängnisvolle Politik der südkurdischen Parteien, die anstelle nach nationaler Einheit weiter nach Hegemonie streben.
Rıza Altun (KCK) analysiert die verhängnisvolle Politik der südkurdischen Parteien, die anstelle nach nationaler Einheit weiter nach Hegemonie streben.
Im kurdischen Fernsehsender Medya TV hat sich Rıza Altun als Exekutivratsmitglied der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) zur verfahrenen Situation in Syrien und insbesondere zu den drohenden Angriffen gegen die Demokratische Föderation Nordsyrien geäußert. Im vierten Teil geht Altun auf die verhängnisvolle Politik der Parteien in Südkurdistan ein. Die nationale Einheit der Kurdinnen und Kurden sei das dringendste Ziel, erklärt das KCK-Exekutivratsmitglied.
Große Niederlagen der Kurdinnen und Kurden in Südkurdistan
„Während die Widersprüche im Mittleren Osten aus Sicht der Kurdinnen und Kurden eigentlich eine große Gelegenheit darstellen, haben sie sich zu einem taktischen Spielball der internationalen Mächte machen lassen. Dadurch haben sie große Niederlagen erlitten. Sie haben schlichtweg eine falsche Politik betrieben. Das müssen wir einsehen. All das ist das Ergebnis einer Haltung, mit der die eigene Unabhängigkeit und Freiheit von den internationalen und regionalen Mächten abhängig gemacht wird. Man fußt die eigene Politik nicht auf dem Aufbau eigener Stärke. Stattdessen erwartet man stets von anderen Mächten, dass sie den Kurdinnen und Kurden Freiheit und Unabhängigkeit garantieren. Dieser Weg führt aber zu keinerlei Erfolg. Nur das globale System profitiert davon. Es wirft dir ein paar Krümel hin, mit denen du dich abzufinden hast. Die südkurdischen Kräfte schaffen es nicht, sich aus den Fängen der internationalen Mächte zu befreien. Die Türkei, der Iran, die USA und Russland – alle spielen mit den Kurdinnen und Kurden. Sobald die südkurdischen Kräfte versuchen ein eigenes Projekt anzustoßen, und dies einigen internationalen Akteuren missfällt, ist es zum Scheitern verurteilt. Die Beziehungen zu den internationalen und regionalen Mächten sind von Grund auf falsch beschaffen.“
Oben Machtkampf, unten Plünderung
„Die Politik der südkurdischen Kräfte im Kontext der Krise im Mittleren Osten war von zahlreichen Fehlern geprägt. Im Rahmen dieser Krise hätte Südkurdistan zu einem Ort der Prosperität und Freiheit werden können. Die Position der Kurdinnen und Kurden in allen vier Teilen Kurdistans und derer, die einen Freiheitskampf führen, ist ausschlaggebend für das große Ganze. Hätten die Kurdinnen und Kurden es geschafft, eine gemeinsame Linie zu finden, wären sie zu einer unbezwingbaren Kraft geworden. Diese Kraft wäre eine wichtige Unterstützung für das föderale Südkurdistan gewesen, auch im militärischen Sinne. Südkurdistan stellte einen Freiheitsraum im krisenhaften Mittleren Osten dar, den auch verschiedene internationale Akteure nutzten, um Konsulate oder anderweitige Vertretungen zu eröffnen. Auch das internationale Kapital nutzte diese Gelegenheit. Das Potential Südkurdistans war groß. Doch den südkurdischen Kräfte ist es weder gelungen die politische Lage zu nutzen, um für sich selbst mehr Legitimität zu gewinnen, noch um die Präsenz der internationalen Mächte für sich zu nutzen. Was ist stattdessen passiert? Der Machtkampf in den herrschenden Kreisen Südkurdistans führte zu einer politischen Krise, während die Plünderung der ökonomischen Reichtümer eine Wirtschaftskrise hervorbrachte. Die Region stand sogar kurz davor vom Islamischen Staat (IS) überrannt zu werden. Dem entging sie nur knapp. Hätten unsere Kräfte nicht eingegriffen, gäbe es den Föderalstaat in Südkurdistan heute nicht mehr. Aufgrund unserer Intervention für den Schutz der Kurdinnen und Kurden wurde der IS gestoppt.“
Kein Erfolg beim Aufbau eines föderalen Staates
„Ununterbrochen machen die südkurdischen Kräfte falsche Offensiven an völlig unerwarteten Stellen, die nur zu neuen Katastrophen führen. Dadurch vertiefen sich die bestehenden Probleme immer weiter. Dafür sind die politischen Akteure Südkurdistans maßgeblich verantwortlich. Es hätte auch ganz anders kommen können. Man hätte die Probleme richtig angehen müssen. Die PDK, die YNK und die anderen Parteien haben alle ihre eigene Macht ausgebaut. Doch sie schaffen es nicht, diese Kräfte zu bündeln und in einem föderalen Staat zusammen zu führen. Warum? Weil jede einzelne Partei auf die Hegemonie besteht und nicht bereit ist, sie der nationalen Existenz zu opfern. Alle die bestehenden Probleme bleiben ungelöst, weshalb auch die Existenzfrage der Kurdinnen und Kurden nicht nachhaltig gelöst wird. Weil die PDK auf ihre eigene hegemoniale Stellung besteht und nicht bereit ist, die anderen Parteien an der Macht zu beteiligen, kommt es zur derzeitig bestehenden verfahrenen Situation. Alle politischen Parteien beanspruchen die Alleinherrschaft jeweils für sich allein.“
Nationale Einheit dringendstes Ziel für Kurdinnen und Kurden
„Die Beziehungen der PDK mit der Türkei bringen den Kurdinnen und Kurden keinerlei Vorteile. Erdoğan verfolgt ganz offen eine anti-kurdische Politik. Würde eine Person wie Erdoğan, die Kurdinnen und Kurden überall ermorden lässt, der PDK auch nur ein einziges Freiheitsrecht zugestehen? Die PDK geht strategische Beziehungen mit Erdoğan ein, der die Krise im Mittleren Osten dafür nutzt, die Kurdinnen und Kurden zu verfolgen und zu vernichten. Ist es denn im Interesse der Türkei, dass Südkurdistan zu einem föderalen, prosperierenden Staat wird? Natürlich nicht. Daher lässt sich sehr wohl darüber streiten, ob die südkurdischen politischen Kräfte ihre eigene Politik verfolgen oder nicht vielmehr zu Handlangern der Türkei geworden sind.“
„Wir haben bereits Dutzende Male die Frage der nationalen Einheit auf die Agenda gesetzt. Sie ist der Garant für die Existenz der Kurdinnen und Kurden. Niemand außer der PKK scheint heute anzuerkennen, dass die nationale Einheit der Kurdinnen und Kurden aufgrund des Chaos, der Krise und all der Kriege im Mittleren Osten überlebenswichtig ist.“
„Warum werden die Probleme in Südkurdistan nicht gelöst? Niemand scheint sich für eine Lösung der Probleme einzusetzen. Stattdessen scheinen die Probleme bewusst verschärft zu werden. Das grundlegende Problem der Kurdinnen und Kurden ist die Frage der nationalen Einheit. Solange es ihnen nicht gelingt die nationale Einheit zu erreichen, wird es nicht möglich sein, auch nur in einem einzigen Teil Kurdistans die Freiheit wirklich zu sichern. Die nationale Einheit ist daher von allergrößter Bedeutung. Wenn die nationale Einheit gewährleistet ist, werden die Kurdinnen und Kurden zu einem Akteur im Kontext des internationalen und regionalen Gleichgewichts werden. Doch solange die nationale Einheit nicht besteht, werden die einzelnen Teile und Gruppen zu Spielbällen der anderen Akteure. Die Kurdinnen und Kurden müssen die Position des Objekts verlassen, mit dem im Mittleren Osten alle spielen können.“
Zwei politische Linien der Kurdinnen und Kurden
„Wir können zwei politische Linien klar voneinander unterscheiden. Da wären zum einen die Entwicklungen in Rojava. Zum anderen gibt es die Situation in Südkurdistan. Es lohnt sich diese beiden Modelle miteinander zu vergleichen. Ich sage nicht, dass in Rojava alles einwandfrei und problemlos läuft. Keineswegs, aber wir können trotzdem sagen, dass der dort eingeschlagene Weg entlang eines klaren Paradigmas zu einer gewissen Stabilität geführt hat und dort zahlreiche Freiheitsrechte erkämpft wurden. Daher hat sich dort ein großes Selbstbewusstsein entwickelt, auf dessen Grundlage der Krieg geführt und Diplomatie und Politik betrieben werden. In Südkurdistan hingegen wird eher ein Krieg um die Hegemonie geführt. Dort wird versucht, die sozialen Fragen auszuklammern und auf Grundlage einer ethnischen Hegemonie einen Nationalstaat zu errichten, der über die Gesellschaft herrschen soll. Wenn wir Rojava und Südkurdistan als zwei grundverschiedene Modelle miteinander vergleichen, können wir ganz klar erkennen, welches der beiden wirklich für Freiheitsrechte, die kurdische Identität und eine Lösung der regionalen Krise steht.“
Übersetzung: Civaka Azad