Şirnex: Staatliche Neubauten sind wie Gefängnisse

Ein großer Teil der Stadt Şirnex (Şırnak) wurde durch den türkischen Staat in der Zeit des Widerstands für Selbstverwaltung 2015 und 2016 zerstört. Die Bevölkerung der Stadt lehnt die staatlichen Neubauten ab.

Mit den Angriffen des türkischen Staates auf den Widerstand für Selbstverwaltung in Şirnex, Cizîr (Cizre) und Hezex (Idil) wurden in den Jahren 2015 und 2016 die Häuser und Arbeitsstätten Tausender Familien dem Erdboden gleichgemacht. Die Baubehörde (TOKI) hatte im März 2016 die Grundsteine für 6.500 neue Wohnungen und tausend Arbeitsplätze gelegt, konnte diese jedoch auch im dritten Jahr nicht fertigstellen.

Die Mehrheit der Wohnungen hat einen Grundriss von ca. 90 Quadratmetern. Allerdings ist bisher noch nicht klar, wer in den bisher fertiggestellten 2000 Wohnungen angesiedelt werden soll. Die Familien aus Şirnex werden nach Cizîr verwiesen. Die Familien, die größere Wohnungen als ihre zerstörten Häuser erhielten, sollen die Preisdifferenz bezahlen. Nachdem sich in den letzten Jahren die ökonomische Lage in der Region dramatisch verschlechtert hat, ist die Bevölkerung von Şirnex nicht in der Lage, diese Preisdifferenz zu bezahlen.

Dort zu leben entspricht uns nicht“

Der siebzigjährige Ahmet Karaman, ein seit 48 Jahren sesshafter Nomade, lebte mit seiner zwanzigköpfigen Familie seit vierzig Jahren im gleichen Haus. Karaman berichtet von ihrem zweistöckigen Haus mit Doppelzimmern und weiten Innenhöfen. „Jetzt wollen sie uns drei kleine Neubauwohnungen geben, aber da ist viel zu wenig Platz. Das Leben dort entspricht uns nicht“, erklärt er.

Karaman baute auf dem Land, auf dem sich sein zerstörtes Haus befand, ein neues auf: „Es war nicht leicht für mich, in diesem Alter so eine Last auf mich zu nehmen. Ich habe mir bei vielen Menschen Geld geliehen. Aber jetzt haben wir ein Haus, das so schön ist wie das frühere. Ich plane die Neubauwohnung, die sie mir geben, zu verkaufen und damit meine Schulden zu tilgen. In diesem Alter kann ich auch nicht mehr in den neunten Stock hinauf steigen, dafür reicht meine Kraft nicht mehr aus.“

Sein Haus wurde viermal zerstört – dennoch zieht er in keinen Neubau

Das Haus von Mehyadin Duymak (54) wurde zum ersten mal 1993 vom türkischen Staat zerstört. Er berichtet, wie seine Familie sich zuvor nach der Zerstörung seines Dorfes in Cizîr niedergelassen hatte. „Die letzte Zerstörung war die schlimmste. Sie haben unser Haus dem Erdboden gleichgemacht. Bei der ersten Ausgangssperre hatte unser Haus Schaden genommen, aber wir konnten darin noch leben. Zwei Wochen nach Beginn der zweiten Ausgangssperre mussten wir ausziehen. Als wir zurückkamen existierten weder unser Haus, noch unsere Besitztümer, noch unser Garten mehr“, berichtet er.

Für die zerstörten Wohnungen sollte Duymak eine Neubauwohnung erhalten. Duymak erklärt, dass sie mit der Familie seines Bruders zusammenlebten und auch ein Neffe mit Behinderung bei ihnen wohnte: „Mein Bruder hat die Neubauwohnung angenommen, aber ich konnte das nicht machen. Ich bin mit meiner Partnerin und meiner Mutter, ohne Hilfe bei der Miete zu erhalten, in ein anderes Haus umgezogen. Das Haus, in dem wir wohnen, hatte auch schwere Schäden erlitten, aber es wurde nicht abgerissen. Nach einer Investition von etwa 5.000 TL ist es nun in einem bewohnbaren Zustand. Alleine der Garten des Hauses ist es wert. Es gibt in meinen Augen keinen Unterschied zwischen den Neubauten und einem offenen Gefängnis.“