Vorstellung von Öcalan-Werk in Nürnberg
In Nürnberg ist der in deutscher Übersetzung neu erschienene zweite Band von Abdullah Öcalans „Manifest der demokratischen Zivilisation“ vorgestellt worden.
In Nürnberg ist der in deutscher Übersetzung neu erschienene zweite Band von Abdullah Öcalans „Manifest der demokratischen Zivilisation“ vorgestellt worden.
Das Nürnberger Bündnis für Frieden in Kurdistan hat zusammen mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung den Übersetzer vieler Öcalan-Werke und Sprecher der „Internationalen Initiative: Freiheit für Öcalan – Frieden in Kurdistan“ Reimar Heider eingeladen zur Buchvorstellung des neu in deutscher Übersetzung im Unrast-Verlag erschienenen 2. Bands vom „Manifest der demokratischen Zivilisation“ des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan.
Viele Zuhörer*innen im gut besetzten Saal des Stadtteilzentrums DESI verbinden mit dem Namen Öcalan vor allem die PKK und den Kampf der kurdischen Freiheitsbewegung um Selbstbestimmung. „Apos Gesicht mit dem Schnauzbart haben alle vor Augen, auch weil es in Deutschland auf Weisung des Innenministeriums öffentlich nicht gezeigt werden darf. Dass das Gründungsmitglied der Arbeiterpartei Kurdistans seit 20 Jahren vom türkischen Staat als politische Geisel auf einer Gefängnisinsel isoliert ist und dass derzeit Tausende im Hungerstreik sind für ein Ende dieser Isolation, ist dem kurdisch-deutschen Publikum ebenfalls nicht neu“, sagte eine der Zuhörer*innen.
Weniger bekannt aber ist Abdullah Öcalan als Vordenker und Autor zahlreicher Schriften, die wesentlich den Diskurs nicht nur in der kurdischen Freiheitsbewegung prägen. Das zwischen 2007 und 2009 in der Haft verfasste „Manifest der demokratischen Zivilisation“ gilt als ‚Opus Magnum‘ und gelang auf nicht ganz einfachen Wegen in die Öffentlichkeit.
Reimar Heider führte das Publikum ein in die Welt des Philosophen und Theoretikers Abdullah Öcalan. Ausgehend von einer umfassenden Analyse der Geschichte der Zivilisation beschreibt Öcalan den Dauerkonflikt zwischen der „demokratischen und der staatlichen Zivilisation“ und entführt die Zuhörer*innen erst mal ins Neolithikum. Immer wieder offenbart sich der Widerspruch zwischen Staaten und Klassen, die auf Herrschaft, Ausbeutung und Unterdrückung bauen, und oppositionellen Kräften aus dem Volk, die dagegen aufbegehren.
Im zweiten Band „Die kapitalistische Moderne – Unmaskierte Götter und nackte Könige“ stellt Öcalan die Kritik an Herrschaft, Staat, Kapitalismus und Patriarchat in den Mittelpunkt. Beeinflusst von Hegel, Marx, Adorno, Braudel, Gramsci, Foucault u.a. beschreibt er die „kapitalistische Moderne“ als „Dreiecksbeziehung von Kapitalismus, Industrialismus und Nationalstaat“, die Menschen und die gesamte Gesellschaft zerstört. Öcalans Vorschlag: Weniger Staat, mehr (radikale Basis-) Demokratie. Sein Konzept des „demokratischen Konföderalismus“, das von der Freiheitsbewegung in Nordkurdistan und in Rojava umgesetzt wird, könnte die Antwort sein auf Elend und Krisen im 21. Jahrhundert.
In der anschließenden Diskussion stellte sich unter anderem die Frage, wie sich Öcalans „Theorie der kämpfenden Bewegung“, die nicht als Selbstzweck, sondern für die Praxis geschrieben wurde, auf die urbanen Zentren der kapitalistischen Moderne übertragen lässt. Wie gelingt in den „Herzen der Bestie“ die Organisierung einer demokratischen, widerständigen Zivilisation?
Dass die Vorschläge Öcalans eine Gefahr darstellen, zeigt sich auch an der staatlicherseits bisher erfolgreich verhinderten Rezeption der Werke. Das Verbot des Mezopotamien Verlags, der unter anderem auch Öcalans Bücher vertrieb, ist nicht nur eine Gefälligkeit Richtung Erdoğan-Regime, sondern auch der revolutionären Sprengkraft einer Freiheitsbewegung geschuldet.
Am Ende der Veranstaltung waren noch der gegenwärtige Hungerstreik und die Bedeutung der Person Abdullah Öcalan für die Freiheitsbewegung Thema. Dabei gehe es eben nicht nur um eine einzelne Person. Öcalan sei vielmehr ein wichtiger politischer Akteur und unverzichtbar für einen neuen Friedensprozess. Die Isolation ihres Repräsentanten und die Nicht-Anerkennung ihrer Identität wird begriffen als gemeinsame Isolation aller Kurd*innen. Diese gilt es endlich zu überwinden und das könne nur mit dem Vordenker Öcalan gelingen. Notwendig dafür sei organisierter und entschlossener Widerstand.