Rojava-Solidaritätsfestival in Greifswald

In Greifswald fand im Rahmen eines Rojava-Solidaritätsfestivals eine Informationsveranstaltung mit Anja Flach über die Frauenrevolution in Rojava statt.

Unter dem Motto „Berxwedan jiyan e! Widerstand heißt Leben!” findet diese Woche das Rojava-Solidaritätsfestival in Greifswald statt. Gestern gab es in diesem Rahmen eine Informationsveranstaltung im Internationalen Kultur- und Wohnprojekt (IkuWo e.v.) über die Frauenrevolution in Rojava, zu der die Ethnologin und Autorin Anja Flach geladen war. In dem Vortrag ging es um Rojava als eine frauenzentrierte Alternative zum Patriarchat im Mittleren Osten.

Wie gelingt es den Frauen- und Volksräten, Funktionen zu übernehmen, um den Staat überflüssig zu machen? Anja Flach, die selbst seit den 1990er Jahren immer wieder in Kurdistan war, erzählte von persönlichen Erfahrungen, dem aktuellen Krieg und der Organisierung nach der Revolution 2012 in Rojava/Nordsyrien.

Am Donnerstagabend war der Veranstaltungssaal im IkuWo gut gefüllt. Etwa 55 Personen kamen zusammen, um an der fünften Veranstaltung des Rojava-Solidaritätsfestivals teilzunehmen. Der ganze Saal thematisiert das Thema, so sind die Wände mit Tafeln der Ausstellung „ROJAVA - Frühling der Frauen“ geschmückt, welche einen Einblick in den Aufbau der demokratischen Autonomie und der Arbeit der Frauenstrukturen vor Ort gibt. Hinter Anja Flach hing ein orangefarbenes Transparent mit einer YPJ-Kämpferin.

Ihren circa 90-minütigen Vortrag begann Anja Flach mit der Schilderung der momentanen Kriegssituation und baute regelmäßig historische und gesellschaftliche Hintergründe ein. So stellte sie mit mehreren Karten dar, wo sich die kurdischen Gebiete befinden und welche Regionen momentan wieder besetzt sind. Die kurdischen Gebiete, so Anja Flach, seien sehr vielfältig. So lebten hier Menschen unterschiedlichster Völker: Aramäer, Araber, Kurden, usw. Es sei nicht selten, dass in Dörfern fünf verschiedene Sprachen gesprochen würden. Die Grenzziehung nach dem Ersten Weltkrieg sei vollkommen willkürlich gewesen und habe Gemeinschaften auseinander gerissen.

Der aktuelle Krieg des türkischen Regimes gegen die Kurden ist die Eskalation einer Entwicklung, die vor Jahrzehnten begann. So hatten sich mit dem Adana-Abkommen schon 1998 das syrische und türkische Regime auf die Arabisierung der kurdischen Gebiete geeinigt. Momentan gebe es verschiedene Truppen aus mehreren Ländern, die an den Kämpfen beteiligt seien: Das türkische Militär bekomme Unterstützung von Russland und das syrische Militär rücke von Süden heran. Eine besondere Rolle spielten auch dschihadistische Söldnertruppen, so Anja Flach. Diese seien von der Türkei bezahlt und mit Daesh (IS) verbunden. Haben dschihadistische Truppen ein Gebiet eingenommen, so litten hauptsächlich Frauen darunter – als Strategie. Häufig werde ein Verschleierungszwang und Zwangsheirat eingeführt und es käme zu Verschleppungen, Vergewaltigungen und Morden. Die Anwesenden hörten von Hevrîn Xalef [Havrin Khalaf], einer bekannten kurdischen Politikerin der Syrischen Zukunftspartei, die am 12. Oktober 2019 öffentlich gefoltert und hingerichtet wurde. Öffentliche Hinrichtungen gebe es seit Jahren und seien als eine Drohung an die kurdische Community zu verstehen.

Nach den Schilderungen der aktuellen Situation berichtete Anja Flach von ihren Reisen in den letzten Jahren und ging dabei vor allem auf die Frauenrevolution ein. Die „Frage der Frauen“ sei in dieser Revolution immer wichtig gewesen. So gebe es keinen Haupt- und Nebenwiderspruch; Klassenkampf und die Befreiung der Frau müssten gleichzeitig gedacht und praktisch umgesetzt werden. Konkret ging Anja Flach auf die Organisierung der Frauen ein. Es gebe in allen Regionen eine Organisierung in Komitees – einer Art Arbeitsgruppen in den Kommunen. Diese Kommunen seien in den Stadtteilen oder Dörfern, welche sich in Komitees zu verschiedenen Themen organisierten und Delegierte zu den monatlich stattfindenden Stadtteilratsversammlungen schickten. Komitees gebe es zu allen Themen, die für die Bevölkerung wichtig sind: Wirtschaft, Kultur, Presse und Selbstverteidigung. Die Hauptorganisation der Frauenorganisierung nennt sich Kongreya Star. Eine weitere wichtige Struktur seien die Frauenhäuser, in welchen Bildungskurse stattfinden, diskutiert und sich organisiert wird und Zuflucht gegeben wird. Einmal wöchentlich gebe es öffentliche Versammlungen, in welchen beispielsweise die aktuelle politische Lage diskutiert werde. Besonders wichtig erschienen in Anja Flachs Schilderung auch die Frauenverteidigungskräfte der Kommunen. Diese Gruppe kenne alle Familien in der Kommune und wisse, was wo passiere. Gewalt an Frauen sei, wie überall, häufig und so ein wichtiges Thema der Frauenverteidigungskräfte. Komme es ihnen zu Ohren, dass eine Frau zu Hause Gewalt erfahre, so nehmen sich die Frauenverteidigungskräfte sich dem an, in dem sie den Mann in das Frauenhaus bestellten und ihn mit der Situation konfrontierten, um dann nach Lösungen zu suchen. Außerdem werde die Gewaltausübung des Mannes in der nächsten öffentlichen Versammlung der Kommune vor allen Anwesenden thematisiert. Die häusliche Gewalt an Frauen sei in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Weitere beeindruckende Frauenprojekte in Rojava seien Jinwar, ein ökologisches Frauendorf und JinTV, ein Organ der Frauenpresse.

Ihren Vortrag schloss Anja Flach mit dem Aufruf, gegen den Krieg in Kurdistan aktiv zu werden und die Revolution zu unterstützen.