Die ägyptische Feministin und Menschenrechtsaktivistin Mozn Hassan und der inhaftierte Kulturmäzen und Bürgerrechtler Osman Kavala haben den diesjährigen Hrant-Dink-Preis für Zivilcourage und Menschenrechte erhalten. Der Preis wird jedes Jahr am 15. September, dem Geburtstag des armenischen Journalisten vergeben. Hrant Dink, der Herausgeber der armenisch-türkischen Zeitung Agos, wurde am 19. Januar 2007 in Istanbul vor dem Redaktionsgebäude der Agos von einem jungen türkischen Nationalisten erschossen. Zeit seines Lebens setzte er sich für die Versöhnung zwischen den türkischen und armenischen Gesellschaften ein und wurde jahrelang von nationalistischen Kräften verfolgt. Dreizehn Jahre nach seinem gewaltsamen Tod ist immer noch nicht aufgeklärt, wie der Mord organisiert wurde und wer die Verantwortlichen sind.
Die Verleihung des diesjährigen Hrant-Dink-Preises in der Gedenkstätte „23,5 April“, die sich in den ehemaligen Redaktionsräumen der Agos befindet, wurde coronabedingt ins Web verlegt. Das musikalische Bühnenprogramm gestalteten die Künstler*innen Arto Tunçboyacıyan, Kudsi Erguner, Can Bonomo, Dialog Project, Kalben und O.F.F. Im Anschluss an die Performance wurde ein Film über die weltweiten Kämpfe für Menschenrechte gezeigt.
Wer ist Mozn Hassan?
Als unermüdliche Kämpferin für die Rechte von Frauen in ihrer Heimat Ägypten und darüber hinaus hat Mozn Hassan 2007 ihre Organisation Nazra for Feminist Studies gegründet, die die Rechte und die Sichtbarkeit von Frauen fördert, Überlebende sexualisierter Gewalt unterstützt und gegen sexuelle Gewalt gegen Frauen vorgeht. Während der ägyptischen Revolution 2011 stand sie nicht nur für Demokratie und Freiheit gegen eine Diktatur auf, sondern auch gegen sexuelle Übergriffe auf Frauen im Rahmen der Proteste. Nazra wurde zur wichtigen Anlaufstelle, wo Frauen medizinische, rechtliche und psychologische Hilfe bekommen konnten. Gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen erreichte sie, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter in die ägyptische Verfassung aufgenommen wurde. 2016 wurde ihr und ihrer Organisation für ihren Einsatz der Right Livelihood Award, besser bekannt als Alternativer Nobelpreis, verliehen.
In ihrer Dankesrede betonte Mozn Hassan, dass Hrant Dinks friedlicher Widerstand eine Quelle der Inspiration und Kraft für sie sei, doch Kämpfe für den Frieden immer ihre Opfer verlangten. Die 1979 in Saudi-Arabien geborene Feministin machte auch auf die Bedeutung des Kampfes gegen patriarchalische Strukturen, Sexismus und sexualisierte Gewalt aufmerksam und erklärte, dass der Widerstand der Rechtsanwältin Ebru Timtik, die im August nach einem „Todesfasten“ für ein gerechtes Verfahren in Istanbul gestorben ist, sie sehr beeinflusst habe.
Kavala: Fühle mich Hrant näher
Osman Kavala hatte eine schriftliche Botschaft für die Preisverleihung übersandt: „Mit dieser Auszeichnung werde ich mich Hrant näher fühlen. Ich glaube, dass Vorurteile zwischen verschiedenen Teilen der Gesellschaft überwunden werden können, indem man den Verstand benutzt, miteinander spricht und sich gegenseitig zuhört.“ In dem Brief schilderte Kavala auch die Ungerechtigkeiten gegenüber Persönlichkeiten wie dem ehemaligen HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş, dem abgesetzten Oberbürgermeister von Amed (türk. Diyarbakir) Adnan Selçuk Mızraklı, dem Journalisten Ahmet Altan sowie weiteren inhaftierten politischen Gefangenen.
Wer ist Osman Kavala?
Osman Kavala ist Gründer der Kulturstiftung Anadolu Kültür, mit der insbesondere Projekte von ethnischen und religiösen Minderheiten gefördert werden, oftmals mit internationaler Ausrichtung. Zu seinen Anliegen gehören unter anderem die Aussöhnung zwischen der türkischen und der armenischen Bevölkerung und eine friedliche Lösung der kurdischen Frage. Die Stiftung arbeitet auch mit mehreren deutschen Institutionen zusammen.
Im Oktober 2017 wurde Kavala in Istanbul festgenommen, nachdem er von einem Treffen mit Mitarbeiter*innen des Goethe-Instituts aus der Provinz Dîlok (Antep) zurückkehrte. Ein Jahr lang verbrachte er in Untersuchungshaft, bis die Staatsanwaltschaft ihre 657 Seiten umfassende Anklageschrift vorlegte. Kavala wurde beschuldigt, die regierungskritischen Gezi-Proteste vom Sommer 2013 gefördert zu haben. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnete Kavala als „Terrorfinanzierer” und „türkischen Soros“ – in Anspielung auf den US-amerikanischen Kulturstifter George Soros. Beim „Gezi-Prozess“ im vergangenen Februar wurden Kavala und 15 Mitangeklagte schließlich freigesprochen. Daraufhin erließen die türkischen Behörden kurzerhand einen Haftbefehl wegen Spionagevorwürfen und Beteiligung am sogenannten Putschversuch vom 15. Juli 2016 gegen den Kulturförderer.
Bereits im Dezember 2019 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschieden, dass die Anklage politisch motiviert sei und Kavala zu Unrecht in Untersuchungshaft sitze. Das Straßburger Gericht ordnete seine Freilassung an. Einen Einspruch der Türkei lehnte der EGMR ab, das Urteil ist seit Mai rechtskräftig. Aber die Türkei ignoriert den Richterspruch – obwohl sie als Mitglied des Europarates an die Urteile des Gerichtshofes gebunden ist.