Der Existenzkampf kurdischer Literatur

In der Türkei werden jährlich über zweihundert kurdische Bücher herausgegeben. Das ist unter den gegebenen Umständen nicht wenig, meint der Schriftsteller Mehmet Çakmak. Solange die Gesellschaft um ihre Existenz kämpft, wird es auch Literatur geben.

Trotz Verbot und Unterdrückung der kurdischen Sprache erlebt die kurdische Literatur eine rasante Entwicklung. Der Schriftsteller Mehmet Çakmak hat sich in Amed (tr. Diyarbakir) im ANF-Interview zur Gegenwart und Zukunft der kurdischen Sprache und Literatur geäußert.

Können Sie sich kurz vorstellen? Woher kommt Ihr Interesse an der kurdischen Literatur und wann haben Sie selbst angefangen zu schreiben?

Ich bin 1980 in einem Dorf in Amed geboren. Als ich ein kleines Kind war, bin ich mit meiner Familie nach Mêrdîn umgezogen. Eine Zeitlang habe ich Großstädten in der Türkei gelebt. Und dann war da noch meine Zeit im Gefängnis. Nach meiner Entlassung habe ich mich in Amed niedergelassen und ich habe nicht die Absicht, wieder wegzuziehen.

Für Literatur habe ich mich bereits als Kind interessiert, mit dem Schreiben habe ich im Gefängnis begonnen. Dabei ist mir schnell klar geworden, dass ich auf Kurdisch schreiben muss. Das sagte mir eine innere Stimme. Seit 2002 schreibe ich nur noch Kurdisch, außer für Übersetzungen schreibe ich kaum etwas auf Türkisch.

Bisher sind drei Geschichten und zwei von mir übersetzte Bücher erschienen. Neben dem Schreiben habe ich verschiedene Arbeiten gemacht, vor allem redigiere ich Texte. Dadurch entwickele ich mich weiter. Ich habe mit mehreren Verlagen gearbeitet, unter anderem für den Aram-Verlag. Das hat mir viel gebracht. Vor etwa zwei Jahren habe ich mit einem Freund einen eigenen Verlag gegründet. Als Payiz-Verlag haben wir bisher 25 Bücher veröffentlicht.

Wie schätzen Sie die Lage der kurdischen Literatur und des Verlagswesens in der Türkei ein?

Die Antwort auf die Frage ist eigentlich klar. Die kurdische Literatur und die Verlage sind in derselben Situation wie die kurdische Sprache in der Türkei. Wir befinden uns als Gesellschaft in einer Zeit, die nichts Neues für uns ist. Trotzdem darf der Punkt, den die kurdische Literatur unter den Bedingungen der heutigen Türkei erreicht hat, nicht unterschätzt werden. Es hat eine rasante Entwicklung stattgefunden und die kurdische Literatur ist längst über den bloßen Existenzkampf hinaus. Vor gar nicht allzu langer Zeit wurde diskutiert, ob es kurdische Literatur überhaupt gibt. Das ist meiner Meinung nach vorbei. Inzwischen wird nur noch über die Qualität diskutiert.

Die veröffentlichten Werke haben sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht ein gewisses Niveau erreicht. Auch das kurdische Verlagswesen ist vorangekommen. Allein in der Türkei werden jährlich über zweihundert kurdische Bücher veröffentlicht. Das ist unter den gegebenen Umständen nicht wenig. Über die Qualität kann man sich streiten, aber meiner Meinung nach ist auch die Anzahl wichtig. Inzwischen werden auch in den Gefängnissen oft und gute Bücher geschrieben. Leider können sie meistens jahrelang nicht veröffentlicht werden.

Welche Schwierigkeiten erleben Sie als kurdischer Autor beim Schreiben, Redigieren und Veröffentlichen?

Schreiben muss eine kontinuierliche Aktivität sein, andernfalls kommt nichts Gutes dabei heraus. Es muss eine Routine im Leben darstellen. Diese Routine einzuhalten ist aufgrund unserer Lebensbedingungen schwierig und mühsam. Wenn du auf Kurdisch schreibst, sind die Bedingungen noch härter. Du musst mit vielen Schwierigkeiten umgehen können. Diese Schwierigkeiten nimmst du im Vorfeld in Kauf. Es ist also eine bewusste und gewollte Tätigkeit.

Die Aktion des Schreibens unterliegt verschiedenen Umständen. Damit das Geschriebene auch gedruckt wird, muss es redigiert und herausgegeben werden. Das ist ein langer Prozess. Und dann muss das Buch auch noch die Leserinnen und Leser erreichen. Das ist sogar noch schwieriger. Es gibt nur wenige Menschen in der Türkei, die Kurdisch lesen. Das liegt vor allem daran, dass es keinen Kurdischunterricht in der Türkei gibt. Ohne Bildung kommt die Entwicklung einer Sprache zum Stillstand. Es gibt immer weniger junge Menschen, die Kurdisch können.

Und wie sehen Sie die Zukunft der kurdischen Literatur?

Eigentlich bin ich nicht sehr pessimistisch. Die kurdische Literatur ist trotz aller Schwierigkeiten sehr weit vorangekommen. Ich mache mir dennoch Sorgen über ihre Zukunft und ihre Entwicklung. Die Entwicklung verläuft parallel zur kurdischen Sprache.

Welchen Einfluss haben die Verbote von Büchern und die Repression? Bedrohen die Verbote die Existenz der kurdischen Kultur?

In einer von Verboten und Unterdrückung geprägten Atmosphäre kann keine natürliche Entwicklung stattfinden. In der Zeit, in der die Rathäuser dem Volk gehörten, ist an der Entwicklung der kurdischen Sprache gearbeitet worden. An allen kommunalen Gebäuden gab es kurdische Schilder. Als die Zwangsverwalter gekommen sind, haben sie als ersten Schritt die kurdischen Schilder abgenommen. Dabei ging es meiner Meinung nach nicht nur um die Beseitigung der Schilder, es kennzeichnete einen ideologischen Umgang. Damit wurde gesagt: Ich erkenne dich nicht an, du zählst für mich nicht.

Der Staat beschränkt sich natürlich nicht nur auf Routine. Soweit ich weiß, sind innerhalb der vergangenen zehn Jahre über zweihundert kurdische Bücher verboten worden. Irgendwo anders auf der Welt würde die Hölle losbrechen, aber in der Türkei wird das als normal aufgefasst. Viele Autorinnen und Autoren sowie Journalisten sind ins Gefängnis gesteckt und verurteilt worden. In den letzten Jahren waren außerdem viele schreibende Menschen gezwungen, die Heimat zu verlassen. Zusätzlich zu den erwähnten Schwierigkeiten haben die Verbote und die Unterdrückung natürlich eine entwicklungshemmende Wirkung auf die kurdische Literatur.

Mit Sicherheit wird die kurdische Literatur jedoch nicht verschwinden. Solange es die kurdische Gesellschaft und ihren Existenzkampf gibt, mache ich mir keine Sorgen darüber. Die kurdische Literatur wird nicht aussterben und die kurdische Sprache wird weiter existieren.

Welche Maßnahmen treffen kurdische Autorinnen und Autoren gegen Verbote und Repression?

Es gibt einige Gruppen, in denen sich kurdische Autorinnen und Autoren organisieren. In der zurückliegenden Zeit sind mehrere Einrichtungen per Dekret geschlossen worden. Im Moment gibt es Institutionen wie Pena Kurd und den Kurdischen Literaturverein. Natürlich wird versucht, sich gegen Verbote und Unterdrückung zu wappnen. Es finden auch Aktivitäten zur Solidarität mit einzelnen Mitgliedern statt. Das reicht natürlich nicht aus, aber allein die Existenz solcher Einrichtungen gibt uns als Schriftsteller und Verleger unter den bestehenden Umständen Kraft und Motivation.

Steht das kurdische Volk hinter der eigenen Literatur? Besteht ausreichend Interesse daran?

Als kurdisches Volk sind wir inzwischen eine politisierte Gesellschaft. Wir haben eine politische Identität und zeigen gesellschaftliche Reflexe. Die gleiche Haltung wird leider nicht für die kurdische Sprache gezeigt. Wenn heute selbst in den Dörfern kaum noch Kurdisch gesprochen wird, sind wir als Gesellschaft in großer Gefahr. Der Gebrauch der kurdischen Sprache ist auffällig gesunken. Die Entwicklung der kurdischen Literatur folgt einem parallelen Verlauf. Kurdisch zu sprechen und zu lesen, muss endlich eine politische Grundhaltung werden. Sich für die eigene Sprache einzusetzen, sie zu sprechen und zu lesen, ist ein grundlegender Wertmaßstab für die Liebe zum eigenen Land. Wir müssen vor allem in unsere Kinder investieren.