Mit dem Betätigungsverbot für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und ihr nahestehender Organisationen hat der damalige CDU-Bundesinnenminister Manfred Kanther vor 28 Jahren einer gesamten Volksgruppe das Recht auf politische und kulturelle Betätigung in Deutschland faktisch genommen. Tausende wurden seitdem zu Geld- oder Haftstrafen verurteilt, hunderte nach Behördenmeinung der PKK nahestehende Institutionen, Vereine und Veranstaltungen verboten. Gerichtsurteile in anderen europäischen Ländern, wonach die PKK zu Unrecht auf der EU-Terrorliste geführt wurde oder nicht als terroristische Vereinigung eingestuft werden könne, weil sie eine Partei in einem bewaffneten Konflikt sei, führen hierzulande dennoch nicht zu einer Neubewertung. Alle, die sich für die Rechte der Kurdinnen und Kurden einsetzen, sind weiterhin von Kriminalisierung und staatlicher Repression bedroht, wenn sie sich nicht ausdrücklich von der PKK distanzieren.
Die Initiative „PKK-Verbot aufheben!“ sieht in der Aufhebung des PKK-Verbots sowie der Streichung von der Terrorliste der EU wichtige Schritte auf dem Weg zu Dialog und Konfliktlösung. Für diese Forderungen und für eine Demokratisierung der Türkei und dem Mittleren Osten mobilisiert die Initiative seit Wochen zu der Demonstration „PKK-Verbot aufheben, Krieg beenden, politische Lösung fördern!“, die an diesem Sonnabend in Berlin stattfindet. Los geht es um 13 Uhr am Hermannplatz. Rewşan Deniz hat im Vorfeld der Veranstaltung mit Ulrich Weber gesprochen, dem Sprecher der Initiative.
Wann und aus welchem Anlass hat sich die Initiative „PKK-Verbot aufheben!“ gegründet?
Die Initiative „PKK-Verbot Aufheben!“ hat sich in diesem Frühjahr gegründet. Wie bereits in unserem Aufruf ausführlich geschildert ist, wurde die PKK am 26. November 1993 durch den damaligen Innenminister der Bundesrepublik verboten. Ich selbst kenne nur Erzählungen aus dieser Zeit und kann nur bedingt nachvollziehen, welche Ohnmacht dieses Verbot für die kurdische Gesellschaft hier und auf der ganzen Welt damals und heute bedeuten muss. Auch wenn seitdem 28 Jahre vergangen sind, hat sich an der Verfolgung und Kriminalisierung von politisch aktiven Kurdinnen und Kurden in all der Zeit nichts verändert. Was sich aber verändert hat, war der gesellschaftliche Dialog über die PKK. Das ging vor allem mit dem Kampf gegen den Islamischen Staat einher. Viele junge Menschen aus Deutschland guckten damals gebannt nach Nord- und Ostsyrien und nach Şengal und sahen die mutigen Menschen, die sich im Namen von Menschlichkeit und Freiheit diesen Menschenfeinden in den Weg stellten. Kein Tag verging, an dem es keine Pressemeldungen über dieses Thema gab und auch im Bundestag wurde lange für die Aufhebung des Verbotes argumentiert und sogar die Belieferung der PKK mit Waffen diskutiert. Auch wenn hier viele Menschen vergessen haben, wer in diesen labilen Nationalstaaten eine politische Perspektive bietet, die sich durch Frauenbefreiung, radikale Demokratie und soziale Ökologie auszeichnet, haben dies viele junge Menschen in Deutschland nicht vergessen. Wir reden hier nämlich über die Utopie einer Gesellschaft, die der Westen immer für sich beansprucht, aber in der Realität nur sehr schmalspurig verwirklicht.
PKK hat Perspektiven für die realen Probleme
Die Lösungsperspektiven, welche die PKK auf die realen Probleme im Nahen Osten und weltweit vorschlägt, sind für uns alle relevant, vor allem wenn wir auf die Klimakrise gucken und die steigende Anzahl von Katastrophen und Kriegen weltweit. Auch für den türkischen Staat kann ein echter Friedensprozess die reelle Chance einer Demokratisierung bieten. Von dem jetzigen Staatssystem profitieren nämlich nur die Wenigsten und viele von ihnen sitzen in den westlichen Ländern und reiben sich die Hände, wenn sie weiter Waffen und „Verteidigungssysteme“ verkaufen können und ihr in der Türkei gelagertes Kapital als sicher wägen. Doch wie gesagt, trotz der gesellschaftlichen Debatte und dem steigenden Bewusstsein über die Revolution in Kurdistan innerhalb der letzten Jahre, hat sich in Deutschland in den vergangenen 28 Jahren leider nicht viel verändert. Der deutsche Staat sperrt immer noch politisch aktive Kurd:innen aufgrund dieses Verbotes ins Gefängnis. Oft werden dafür Gründe genannt, die eigentlich innerhalb Deutschlands als Grundrechte gelten: Sei es die freie Meinungsäußerung, das Anmelden oder auch nur die Teilnahme an Demonstrationen. Wir haben uns also als viele Menschen hingesetzt, die unterschiedlich alt sind und in unterschiedlichen Bereichen aktiv sind und arbeiten, wie wir am besten Vorgehen können und da kam uns die Idee, die Initiative „PKK-Verbot aufheben!“ zu gründen.
Warum ist es wichtig, dass das PKK-Verbot aufgehoben wird?
Das PKK-Verbot muss aufgehoben werden, weil es ein ganzes Volk politisch vorverurteilt. Es entzieht einem ganzen Volk das Recht eine politische Meinung zu haben und sich gegen Ausbeutung und Fremdherrschaft aufzulehnen. Außerdem ist der wohl wichtigste Grund, der für die Aufhebung des Verbots spricht, dass dieses eine riesengroße internationale Strahlkraft hat: Das PKK-Verbot verhindert nämlich einen politischen Lösungsprozess und damit die Gelegenheit einen Frieden herzustellen, der nur auf politischem Weg erreicht werden kann. In Deutschland sorgt es dafür, dass die Interessen des kurdischen Volkes delegitimiert werden. Die logische Folge dieses Verbotes ist es, dass die kurdische Freiheitsbewegung nicht wie ein legitimer Verhandlungspartner gewertet wird. Das Verbot soll aussagen, dass man mit diesen Menschen nicht verhandeln darf. Oft genug gab es in den letzten Jahrzehnten einseitige Waffenstillstände der PKK und Friedensverhandlungen mit dem türkischen Staat unter Einbeschließen Abdullah Öcalans, doch diese wurden immer wieder einseitig durch die Türkei gestoppt. Immer wieder hat der türkische Staat seine Macht gefährdet gesehen und hat mit Krieg geantwortet. Teilweise drangen die Bilder des Städtekriegs 2015 auch bis nach Deutschland, doch nur sehr wenige Medien berichteten darüber authentisch. Der Aufschrei hier in Deutschland wäre noch viel größer gewesen, wenn mehr Menschen von der Politik des türkischen Staates mitbekommen hätten, vor allem die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die vom türkischen Staat begangen werden. Doch diese menschenfeindliche Politik begann nicht erst mit den Kellern von Cizîr und ist nicht erst im Jahr 2021 mit den Giftgasangriffen der Türkei in Südkurdistan losgebrochen. Diese unterdrückerische und mordende Politik des türkischen Staates liegt viel mehr in seiner Struktur und durchzieht seine ganze Geschichte. Als Menschen, die wir in Deutschland aufgewachsen sind, mussten wir uns an dem Punkt fragen, wo wir das verstanden hatten, wie der deutsche Staat einen der engsten wirtschaftlich und militärisch verbündeten Partner im türkischen Staat finden kann. Welche Signale sendet dieses strategische Bündnis? Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es Signale sind, die den Werten von radikaler Demokratie und der Gleichberechtigung aller Geschlechter entgegenstehen. Diese Außenpolitik des deutschen Staats verurteilen wir als Initiative also aufs Schärfste.
Das PKK-Verbot schränkt die politischen Teilhaberechte der kurdischen Community hierzulande massiv ein, stellt auch ein Hindernis für eine politische Lösung der kurdischen Frage im Allgemeinen dar. Welches Interesse hat die Bundesregierung an dieser Barriere?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns die deutsch-türkische Geschichte angucken. Schon zu Zeiten Preußens und des Osmanischen Reiches gab es eine wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit zwischen den beiden Reichen. Die besten Beispiele sind der Bau der Bagdadbahn oder das militärische Bündnis im ersten Weltkrieg. Die deutsch-türkische Verbindung ist also eine Strategie des deutschen Staates, die historisch verankert ist und den wirtschaftlichen Einfluss Deutschlands im Nahen Osten sicherstellen will. Die Zusammenarbeit läuft dabei sowohl auf militärischer und wirtschaftlicher Ebene, als auf sicherheitspolitischer Ebene und der engen geheimdienstlichen Zusammenarbeit. Wenn wir uns vor Augen führen, was das PKK-Verbot und die gestoppten Friedensverhandlungen dem deutschen Staat bringen, dann sehen wir diese drei Ebenen. Mit dem PKK-Verbot legitimiert der deutsche Staat einerseits den türkischen Staat – und dabei spielt es keine Rolle, ob er faschistisch und unterdrückerisch ist – und profitiert andererseits von der wirtschaftlichen Einflussname der Türkei.
Es geht um wirtschaftliche Interessen
Dabei geht es bei Weitem nicht nur um Waffenexporte, es geht auch um Kapital, welches Banken angelegt haben, und auch um industrielle Produktion, wie die Herstellung von Autos. Doch nicht nur die Türkei ist ein fragwürdiger Waffenbruder des deutschen Staates. In den letzten Jahrzehnten und auch heute noch hält der deutsche Staat unterdrückerische Regime und Despoten nah an sich dran und pflegt beste Beziehungen. Im Gegensatz dazu zeichnet sich der deutsche Staat damals wie heute im Kampf gegen jegliche sozialistischen Kämpfe überall auf der Welt aus und das sehen wir auch in Kurdistan. Dass dies aber nicht nur ein Merkmal des deutschen Staates ist, sondern die gesamte Strategie der NATO bestimmt, müssen wir verstehen, um gegen das PKK-Verbot international anzugehen. Die Lösung dieses Problems, das durch internationale Mächte, deren Einfluss im Nahen Osten und deren Bündnispolitik mit verursacht wurde, muss also zumindest teilweise auch auf internationaler Ebene gelöst werden. Dies muss eine Grundlage dafür sein, dass in Deutschland keine kurdischen Aktivistinnen und Aktivisten mehr kriminalisiert werden, keine Vereine mehr von der Polizei durchsucht werden und Buchverlage verboten werden. Solange dies nicht der Fall ist, gibt es hier im deutschen Staat keine ehrliche Demokratie. Der Kampf gegen das PKK-Verbot ist also in erster Linie ein Kampf für Demokratie.
Anlässlich 28 Jahre Betätigungsverbot der PKK in Deutschland findet am Samstag eine bundesweite Großdemonstration im Rahmen einer Aktionswoche statt, zu der neben eurer Initiative auch viele andere Gruppen aufrufen.
Das ist richtig, es existieren Aufrufe von verschiedensten Gruppen, die jeweils unterschiedliche Gründe nennen, warum das PKK-Verbot aufgehoben werden muss. Sie alle haben gemeinsam, dass sie sich gegen das Verbot einsetzen, da es antifeministisch, rassistisch und undemokratisch ist. Das dürfen wir nicht tolerieren, genau so wenig wie wir es tolerieren dürfen, dass der deutsche Staat den Krieg in Kurdistan ideologisch und materiell unterstützt. Aus diesem Grund rufen wir als eine Initiative auf, die sich aus den verschiedensten Menschen zusammensetzt, mit uns zu demonstrieren. Wir organisieren Informationsveranstaltungen in ganz Deutschland, versuchen Dialoge mit Politikerinnen und Politikern in Gang zu bringen und zivilgesellschaftliche Organisationen mit in die Initiative zu holen. Das klappt auch sehr gut, wird vom deutschen Staat natürlich nicht gerne gesehen. Aus diesem Grund wurde unsere Webseite blockiert. Auch Seiten anderer Organisationen, wie etwa der Kampagne #RiseUp4Rojava oder dem saarländischen Flüchtlingsrat, sind kurzzeitig vom Netz genommen worden. Doch das zeigt auch, dass das was wir machen Wirkung hat. Sonst würde der deutsche Staat nicht auf die Art und Weise reagieren.
Warum ist es wichtig, an der Demonstration teilzunehmen?
Nach unserer Auffassung stellt die Aufhebung des PKK-Verbotes einen politischen Meilenstein dar, durch den die Wiederaufnahme gleichberechtigter politischer Verhandlungen und eine Beendigung des Krieges verwirklicht werden kann. Wir sind aber so realistisch, dass wir sehen, dass eine Aufhebung des PKK-Verbots nicht vom Himmel fallen wird, genauso wenig wie ein Frieden in Kurdistan über Nacht kommen wird. Für eine Aufhebung des Verbotes und für einen Frieden müssen wir auf vielen Wegen aktiv werden, Menschen informieren, Diskutieren und das Thema im alltäglichen Leben sichtbar machen. Eine solche Demonstration, wie sie am Sonnabend stattfinden wird, ist natürlich nur ein Moment in einem lang andauernden politischen Kampf gegen das PKK-Verbot. Diese Demonstration bietet aber eine wertvolle Gelegenheit, dass aus allen möglichen Städten und Bundesländern Menschen nach Berlin kommen, um zusammen zu demonstrieren und ein starkes politisches Zeichen gegen des PKK-Verbot zu setzen. Diese Möglichkeit bietet sich nicht alle Tage und im Angesicht des eskalierenden Krieges in Südkurdistan und der drohenden Invasion in Rojava ist es wichtig ein starkes Zeichen für Frieden zu setzen und zusammen, also Schulter an Schulter zu stehen und uns nicht spalten zu lassen. Das bedeutet dann auch, die kurdische Community nicht allein zu lassen und internationalistisch und feministisch gegen diese Kriminalisierung zu kämpfen. Also nochmal: Kommt am Samstag nach Berlin!