Genau 28 Jahre sind inzwischen vergangen, seit der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) ein allgemeines Betätigungsverbot gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) erließ. Auch wenn die Geschichte der Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden in Deutschland nicht erst mit dieser Verbotsverfügung begann, bildet sie bis heute die Grundlage für die umfangreichste Repression gegen eine migrantische und links-politische Gruppierung in der Bundesrepublik. Wir haben mit Professor Dr. Norman Paech, emeritierter Hamburger Völkerrechtler und Buchautor, über das PKK-Verbot und seine Auswirkungen auf die kurdische Community gesprochen.
Herr Paech, Sie setzen sich seit Jahren mit dem Verbot der PKK und anderen kurdischen Organisationen auseinander. Inwiefern wirkt sich das Verbot auf Kurd:innen allgemein und ihre Institutionen aus?
Was am auffälligsten ist in Deutschland, dass dieser unsägliche Paragraf 129a, der seinerzeit zur Verfolgung der RAF in den Sechzigerjahren erlassen wurde und die Unterstützung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung unter Strafe stellt, gnadenlos gegen ganz normale Bürgerinnen und Bürger kurdischer Herkunft angewandt wird. Wenn nachgewiesen werden kann, dass sie irgendwie für die kurdische Community gewisse Dienste erweisen, das heißt irgendwelche Veranstaltungen oder Demonstrationen anmelden, Säle anmieten, Gelder verwalten und austeilen – alles vollkommen legale Aktivitäten – dass sie in irgendeiner Weise mit Menschen oder mit Aktivist:innen der PKK in Verbindung stehen, dann werden sie gnadenlos abgeurteilt, meistens mit einer Strafe zwischen zwei und drei Jahren Gefängnis. Das ist von mir schon immer kritisiert worden und ist auch ein Unding. Von dort aus geht natürlich eine allgemeine Verunsicherung kurdischer Bürger:innen hier in der Bundesrepublik aus. Ich kann feststellen, dass sehr viele Menschen sich dann zurückhalten in politischen Aktivitäten, dass da auch ihre Telefone ganz offensichtlich überwacht werden, wenn auch nur der Verdacht da ist, dass jemand in irgendeiner Weise mit jemandem in Verbindung steht, der zur PKK gehört oder auch nur Verbindungen zur PKK hat. Praktisch wird hier damit die gesamte kurdisch-stämmige Community, ob nun schon deutsch geworden oder noch nicht, unter Verdacht gestellt und beobachtet. Das ist meines Erachtens etwas, das man gar nicht in Worte fassen kann, was es für die einzelnen Leute und Institutionen bedeutet. Jeder geht damit anders um, aber es ist im Grunde ein Unding, wenn eine ganze Community unter Verdacht gestellt und ausgegrenzt wird. Das finde ich ist ein sehr, sehr einschneidender und sehr zu verurteilender Tatbestand.
Das Verbot gilt seit mittlerweile 28 Jahren. Ich selbst kenne es noch aus meiner Kindheit. Klar war schon damals einiges verboten, aber heute sind wir so weit, dass das Zeigen von verschiedenen Symbolen im Netz oder auf der Straße unter Strafe gestellt wird. Was hat sich seit dem Verbotserlass verändert, wo gab es Verschärfungen und wo stehen wir heute?
Das Verbot ist insofern verschärft worden; man muss sich vorstellen, dass es gar nicht zu Anklagen kommen würde, wenn nicht die Bundesregierung, sprich das Justizministerium, dazu die Ermächtigung an die Staatsanwaltschaft gibt, dieses ‚Vergehen‘ zu verfolgen. Das ist ein Ermächtigungsgesetz, das heißt es braucht Ermächtigung durch eine politische Instanz, um überhaupt untersuchen zu können. Das ist das eine. Das zweite ist, dass es beim Verbot nicht nur bei gewissen Symbolen geblieben ist. Das greift über bis hin zu Symbolen in Nordsyrien, also Westkurdistan. Wenn die Fahnen der YPG, die sonst niemand kennt und die eigentlich auch keine Identität preisgeben, hier gezeigt werden, müssen sie von der Polizei eingezogen und ebenfalls verfolgt werden. Das sind im Wesentlichen die Verschärfungen. Es bedarf gar nicht eines Gesetzes dafür, sondern es sind die allgemeinen Vorschriften, die es ermöglichen, dass Polizei, Verfassungsschutz und Geheimdienste auf diese große Bevölkerungsminderheit in Deutschland zugreifen. Das ist das Grausige dabei.
Die deutsch-türkischen Beziehungen dürften ein wesentlicher Faktor sein, aber nicht der einzige.
Es ist schon so, dass zwischen der Bundesrepublik und der Türkei eine besondere Beziehung besteht, aber diese Beziehung ist von allen europäischen Staaten mit der Türkei auf doppelte Weise gesichert. Einmal als NATO-Mitglied und insofern von strategischer Bedeutung gegen die Nachbarn im Norden, also alle jene Staaten, die ehemals zur Sowjetunion gehört haben. Zum anderen auch gegen die Staaten im Nahen und Mittleren Osten. Das heißt, die Türkei ist ein Vorposten strategisch wichtiger Art in der NATO. Es ist ja auch so, dass deutsche wie auch amerikanische Flugtruppen dort nicht zur stationiert sind, sondern auch üben. Ich weiß das aus meiner Umgebung in Schleswig-Holstein. Hier gab es einen Flughafen Jagel, von dem Tiefflieger aufstiegen, um hier zu manövrieren. Nach Protest der Bevölkerung wurde das alles nach Zentralanatolien verlegt. Das ist einerseits das politisch-strategische in den Beziehungen, aber eine Sache ist in jüngster Zeit hinzugekommen: Die Türkei als Bollwerk gegenüber den Flüchtlingen, die letztlich aus den Regionen kommen, in denen der Westen und damit auch Europa kriegerisch involviert sind. Würden diese Kriege dort aufhören, würde es dort ein gesichertes Terrain geben – sagen wir in Afghanistan oder Syrien – dann würden diese Flüchtlinge nicht den Weg über die Türkei nach Deutschland benutzen. Und dort gibt es eben den großen Vertrag zwischen Erdogan und allen westlichen Regierungen, dass er die Flüchtlinge gegen viel Geld zurückhält. Man muss hinzufügen, nicht alle Staaten haben die PKK, also die Bewegung der Kurden in allen vier Ländern, auf der Terrorliste. Zum Beispiel die Schweiz. Aber die meisten anderen Länder und die EU auch. Und das ist offensichtlich der Kern und das ist das Mittel, mit dem man alles erfasst und alles machen kann, was auch ohne ausdrückliche Gesetzgebung möglich ist.
Sie sind im Vorstand des Kölner Vereins MAF-DAD, mit dem Sie sich unter anderem gegen die Unterdrückung der Kurdinnen und Kurden und für die Demokratisierung der Türkei einsetzen. Sie engagieren sich aber auch als Einzelperson gegen das PKK-Verbot. Wie kam es dazu und wann?
1993 ist das Verbot der PKK durch die Regierung ausgesprochen worden. Seinerzeit haben mich die Kurd:innen darum gebeten, ob ich sie nicht in ihrem Prozess gegen dieses Verbot vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) vertreten würde. Das habe ich gemacht. Ich muss sagen, 1993 hatte ich noch keine große Einsicht in die kurdische Problematik. Aber ich habe mich schlau gemacht. 93/94 bin ich zum ersten Mal in Batman in den kurdischen Gebieten gewesen, die ich seitdem sehr viel bereist habe. Vor dem BVerwG habe ich plädiert und die PKK in die Reihe der Befreiungsorganisationen gestellt, die in Afrika langjährig – und zwar auch mit Unterstützung der UNO – gegen ihre koloniale Unterdrückung gekämpft haben. Wir müssen wissen, dass 1993 die Situation auch noch etwas anders war. Sie ist heute furchtbar wegen der vielen Kriege, aber damals war auch die Unterdrückung ganz erheblich, sodass ich allen Grund hatte, das Vorgehen einen Befreiungskrieg zu bezeichnen.
Damals war es auch noch so, dass die PKK einen separaten Staat wollte. Das entsprach dem Anspruch der Kolonialvölker. Erst 1996 – wir haben das seinerzeit auch mit Abdullah Öcalan in Damaskus besprochen – ist die PKK davon abgerückt und hat gesagt: ‚Nein, keine Separation mehr, sondern nur noch eine Autonomie und Selbstverwaltung.‘ Ein Wechsel in der Politik der PKK, die hier nie richtig wahrgenommen worden ist. Sie ist immer wieder auf die alte Separation zurückgedrängt worden – das brauchte auch Erdogan und das brauchten alle in der Türkei für ihre Repressionsmaßnahmen gegen die Kurd:innen. Den Wechsel hat man nicht zur Kenntnis genommen.
Das Bundesverwaltungsgericht ist damals meiner Argumentation natürlich nicht gefolgt. Die PKK ist verboten worden. Später ist noch versucht worden, vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. Seitdem sind juristische Schritte hier nicht mehr unternommen worden. Allerdings bin ich in verschiedenen Prozessen nach 129 und 129b des Strafgesetzbuches immer wieder als sachverständiger Zeuge eingeladen worden. Aber keines der Gerichte hat jemals davon Gebrauch gemacht, sondern hat mich immer wieder nach Hause geschickt.
In jüngster Zeit hat das oberste belgische Gericht ein Urteil erlassen, in dem es gesagt hat, die PKK sei keine terroristische Organisation. Der Begriff der Terrororganisation träfe auf sie nicht zu, sondern sie hätte den Status eines Kombattanten, den ja die Befreiungsbewegungen in Afrika auch damals hatten. Das Interessante für mich war, dass die belgischen Richter:innen fast die gleiche Begründung für ihre Exklusion der PKK benutzt haben, wie ich sie damals vor dem Bundesverwaltungsgericht genommen habe. Sie haben ebenfalls die Situation des Selbstbestimmungsrechts ins Zentrum ihrer juristischen Überlegungen gestellt. Das Selbstbestimmungsrecht auf eine eigene Verwirklichung der Menschenwürde, eigene Selbstverwaltung und so weiter. Das ist etwas, was uns Hoffnung gemacht hat, bisher aber – obwohl es immer wieder in die Prozesse hier auch eingeführt wird – noch nicht zu einem Umschwenken in der Rechtsprechung geführt hat.
Sie gehören zu den Erstunterzeichnenden einer neuen Kampagne für die Streichung der PKK von der EU-Terrorliste. Was ist der nächste Schritt dieser Initiative?
Das ist ganz eindeutig: die Forderung nach Freilassung von Öcalan darf nicht einschlafen. Sie darf nicht vergessen werden. Es ist absolut wichtig und essenziell für die kurdische Bewegung, dass ihr Vorsitzender in der Isolation auf der Insel Imrali wieder in den politischen Raum zurückgeholt wird und seine Funktion als eine ganz bedeutende Figur in der kurdischen Bewegung wieder einnimmt. Das ist absolut notwendig und das Zentrum der Forderung. Und das zweite ist, dass man natürlich immer wieder auch mit dieser Unterschriftenliste auf die wirklich furchtbare Lage der Kurd:innen, und zwar allmählich ja nicht nur in der Türkei, sondern auch in Syrien und auch muss man sagen im Irak, also in Südkurdistan, wo die Armee die Kandil-Berge jetzt militärisch heimsucht. Das sind Entwicklungen, die wir im Auge haben müssen. Und wir müssen sehen, dass wir die Öffentlichkeit nicht einfach der hiesigen Presse überlassen. Die zwar darüber manchmal berichtet, aber letzten Endes auch hinter diesem Bündnis zwischen der Türkei und den NATO-Staaten steht.
Herr Paech, wir danken für das Gespräch.