Was Halloween und die Abtreibungsdebatte miteinander zu tun haben

Seit Tagen demonstrieren in Polen hunderttausende Frauen gegen die Verschärfung des Abtreibungsrecht. Anlässlich der aktuellen Debatten erinnert das Kollektiv Matilda J. Gage an den Zusammenhang zwischen Abtreibungsverbot, Hexenverfolgung und Kirche.

In Polen demonstrieren seit eineinhalb Wochen hunderttausende Frauen, nachdem die Regierung der weiteren Verschärfung des Abtreibungsrechts grünes Licht gab. Das Frauenstreikbündnis „Strajk Kobiet” hatte für letzten Mittwoch zu einem Generalstreik der Frauen aufgerufen. Landesweit und darüber hinaus solidarisieren sich immer mehr Menschen – längst geht es nicht mehr nur um das De-Facto-Abtreibungsverbot, sondern um den Rücktritt der Regierung.

Anlässlich der breiten Proteste in Polen wollen auch wir uns solidarisch zeigen und einen kleinen Beitrag zu der aktuellen Debatte über das Abtreibungsverbot in Polen beisteuern.

Gerade in den letzten Tagen, rund um Halloween, waren auf den Straßen und in der Öffentlichkeit wieder vermehrt „Hexen“ präsent. Die meisten Bilder und Geschichten, die uns in diesem Zusammenhang begegnen, stammen noch aus der Zeit der Hexenverfolgung. Dieser wohl größte Femizid in Europa wurde in der Frühen Neuzeit, der sogenannten Zeit der Aufklärung organisiert –  nicht im „finsteren Mittelalter“. Und in eben jene Zeit fallen die Ursprünge der zum Teil bis heute gültigen Abtreibungsverbote. Abtreibung, aber auch Verhütung waren eine der häufigsten Anklagepunkte und so verwundert es nicht, dass Hebammen zu den ersten gehörten, die systematisch verfolgt und ermordet wurden. Denn diese hatten einen breiten Wissensschatz an Verhütungs- und Abtreibungswissen.

Die katholische Kirche war dabei eine treibende Kraft – und ist es wie beispielsweise in Polen immer noch. Doch sie als einzige Kraft zu bezeichnen, wäre viel zu kurz gegriffen. Martin Luther, der „große Reformator“ befeuerte die Verfolgung maßgeblich und die Zahl der als Hexen Ermordeten war in reformierten Gebieten noch höher als in katholischen. Hier ein kurzer Auszug aus der sogenannten „Hexenpredigt“ von Martin Luther aus dem Jahre 1526:

„Von der Zauberin.[...] Warum nennt das Gesetz hier eher Frauen als Männer, obwohl doch auch Männer dagegen verstoßen? Weil Frauen mehr als jene durch Verführungen (superstitionibus) dem Satan unterworfen sind. Wie Eva. Der Volksmund nennt sie die Weisen Frauen. Sie sollen getötet werden...”

Und auch über die Folgen der Verdrängung der Hebammen aus der Geburtshilfe äußerte er sich: „Der Tod im Kindbett ist nichts weiter als ein Sterben im edlen Werk und Gehorsam Gottes. Ob die Frauen sich aber auch müde und zuletzt tot tragen, das schadet nichts. Lass sie nur tot tragen, sie sind darum da.“

Zwar gab es auch emanzipatorische christliche Strömungen, wie etwa die Beginen – doch auch diese wurden zunächst als Häretiker_innen und Ketzer_innen und später als Hexen verfolgt und in großer Zahl ermordet. Es ist in diesem Zusammenhang fast schon zynisch, den Reformationstag auf den 31. Oktober zu legen, denn die Ursprünge von Halloween liegen in vorchristlicher Zeit und waren Teil eben jener Kultur, die Luther vernichtet sehen wollte.

Allerdings konnte die Hexenverfolgung nur durch ein Bündnis von Adel, Kirche und Bürgertum ein derart großes Ausmaß annehmen. Man könnte die Hexenverfolgung auch als erste überregionale Repressionskampagne bezeichnen. Viele der Verfahren fanden vor weltlichen Gerichten statt und nicht etwa vor kirchlichen und nicht wenige der „Gründerväter“ der positivistischen Wissenschaften hetzten gegen „Hexen“.

Es sollte uns zu denken geben, dass die Zeit der Hexenverfolgung genau in die Zeit der Anfänge des  Kapitalismus fällt. Es sollte uns zu denken geben, dass es bei der Hexenverfolgung maßgeblich um die Durchsetzung einer Sexualitätspolitik ging, die Frauen als „Gebärende“ definierte und damit andere Geschlechtsidentitäten und Lebensentwürfe verdrängte sowie Geschlecht als solches biologisierte. Die Rolle von nicht-binären Geschlechtsidentitäten in Europa vor der Zeit der Hexenverfolgung ist bis heute nahezu unbekannt.

Wenn wir heute also körperliche Selbstbestimmung und insbesondere Abtreibungsverbote verhandeln, sollten wir uns über den Kontext ihrer Entstehung klar sein und damit auch die Verbindungslinien zu trans* und inter-Kämpfen ziehen.

Gegen Abtreibungsverbote in Polen und überall! Für körperliche Selbstbestimmung und ein freies gutes Leben!

Zum weiterlesen und vertiefen: „Caliban und die Hexe“ von Silvia Federici, „Geschichtsschreibung, Geschlecht und Widerstand“ von Muriel Gonzáles Athenas  aus „Das freie Leben aufbauen – Dialoge mit Abdullah Öcalan“, „Die Vernichtung der weisen Frauen“ von Gunnar Heinsohn und Otto Steiger, „Transgender Warriors“ von Leslie Feinberg und „Queering Anarchism“.