Wahlen zum zweiten Sorbischen Parlament

Im beschaulichen oberlausitzer Dorf Nebelschütz fand am 8. März die Wahl des sorbischen Parlaments, des Serbski Sejm, statt. 745 Sorb:innen hatten zum zweiten Mal ihre Volksvertretung gewählt.

Serbski Sejm

Die Sorb:innen sind ein slawisches Volk mit langer Tradition und Geschichte in Mitteleuropa. Heute leben rund 60.000 Sorb:innen/Wend:innen in der Lausitz, in den Bundesländern Sachsen und Brandenburg. Doch die sorbische Kultur und insbesondere die sorbische Sprache ist durch staatliche Assimilationspolitik stark bedroht.

Im Jahr 2018 hatten die Wahlen zum Serbski Sejm erstmals stattgefunden, bei denen jeweils zwölf obersorbische und niedersorbische beziehungsweise wendische Abgeordnete gewählt wurden und seitdem eine gemeinsame sorbische Volksvertretung bilden. Die Kandidierenden werden dabei von sorbischen Vereinen aufgestellt, direkt von den Wähler:innen gewählt und treten fraktionslos im Parlament zusammen. Ihre Beschlüsse erarbeiten sie in einem aufwendigen Verfahren, dass nicht Mehrheitsprinzip und Kampfabstimmungen, sondern auf gegenseitiger Einigung im Konsens abzielt. Der Serbski Sejm als Parlament, ist eine Form der Selbstermächtigung, um eine politische Selbstbestimmung des sorbischen Volkes zu ermöglichen. Das Ziel: ein auf Gemeinwohl orientiertes Zusammenwirken, anstelle von Machtpolitik und Zentralisierung.

24 Abgeordnete in Serbsk Sejm

Am 8. März übergab nun die Wahlkommission in Begleitung einiger Walhlbeobachter:innen dem Briefwahlwahlvorstand die Aufgabe der  Stimmenauszählung. Über mehrere Stunden wurden die über 762 eingegangenen Wahlbriefe geöffnet, auf ihre Gültigkeit überprüft und schließlich ausgezählt. Mit 738 gültigen Stimmen wurden schließlich die insgesamt 24 Abgeordneten gewählt.

Die Beteiligung an dieser Wahl fiel etwas geringer aus als 2018 und das hochgesteckte Ziel von über 1000 Wähler:innen wurde nicht erreicht. Neben dem sehr eng gesteckten Zeitplan für die Wahl und mehreren Verschiebungen waren es auch unterschiedliche Perspektiven innerhalb der sorbischen Gesellschaft über die Frage der Notwendigkeit einer politischen Vertretung, die dazu geführt haben, dass die Beteiligung an den Wahlen nicht stieg.

Nationalstaaten und das Recht auf Selbstbestimmung

Auch die Ignoranz und der Gegenwind aus den staatlichen Strukturen der Bundesländer Sachsen und Brandenburg haben nicht dazu beigetragen, dass sich mehr Menschen an der Wahl beteiligten. Auch wenn die Vereinten Nationen, die Europäische Union und auch nationale Gesetzte das Recht auf Selbstbestimmung von Minderheiten formal garantieren, wird deren praktische Einforderung und Ausübung durch Nationalstaaten immer wieder als Angriff wahrgenommen. Denn die Selbstbestimmung gesellschaftlicher Gruppen in ihrer Vielfalt stellt das Ideal eines einheitlichen Nationalstaates mit einer Flagge, einer Sprache und einer Kultur in Frage. Das sorbische Volk wird über den Dachverband der Domowina zwar in kultureller Hinsicht von staatlicher Seite gefördert, aber eine politische Vertretung, wie es der Serbski Sejm darstellt, wird nicht gewollt.

Von sorbischen Aktivist:innen wird auch immer wieder betont, dass ihre Aktivitäten wie zum Erhalt sorbischer Dörfer, die von Braunkohletagebauen bedroht werden, auch von Konzernen wie der LEAG als Gefahr gesehen werden. Auch diese Profitinteressen, die in den letzten Jahrzehnten zur Zerstörung von mehr als 130 sorbischen Dörfern geführt haben, stehen gegen die Selbstbestimmung und den Schutz der sorbischen Kultur.

Kolonisierung der sorbischen Bevölkerung

Jakub Čornak, ein junger sorbischer Musiker und frisch gewählter Abgeordneter, spricht über seine Motivation sich für die Wahl aufzustellen: „Verantwortung für meine Region übernehmen, diese gemeinsam zu gestalten und zu beleben“, ist sein Ziel. Der „Serbski Sejm gibt die Chance, ein neues politisches Bewusstsein zu schaffen“. Inspiriert haben ihn dabei auch andere Völker wie die Sámi oder Kurd:innen, die für ihre Selbstbestimmung kämpfen.

Dieses Bewusstsein ist in den Augen von Jacob dringend notwendig. Viele Sorb:innen leugnen ihre eigene Identität oder betrachten sich selbst als minderwertig. Dies ist eine direkte Folge der Kolonisierung der sorbischen Bevölkerung, die viele Jahrhunderte zurück geht.

Auch Marlies Piatza brauchte zunächst einen Blick von außen, durch einen Lebensabschnitt außerhalb des sorbischen Hauptsiedlungsgebietes, um die Notwendigkeit sich als Sorbin für ihre Interessen zu organisieren, ernst zu nehmen. „Erst mit dem Auswärts gewesen sein ist mir klar geworden, wie groß der Handlungsbedarf in Bezug auf die sorbische Identität eigentlich ist“. Um dieser Verantwortung nachzukommen, nahm sie das Amt der ehrenamtlichen Wahlleiterin an. Sie und ihr Team arbeiteten die letzten Monate unermüdlich auf die Wahlen hin, nahmen Registrierungen zur Wahl in Empfang, verschickten Wahlunterlagen und verkündeten nun endlich die Ergebnisse der Wahl.

Wichtiger Schritt auf dem Weg zur gesellschaftlichen Selbstbestimmung

Trotz des Rückgangs der Wahlbeteiligung sind sich viele Einig, dass das Entscheidende für den Serbski Sejm sein wird, wie sich seine Arbeit in den nächsten Monaten und Jahren entwickeln wird. Einer der Anwesenden gibt dem neuen Parlament noch einen Auftrag mit: „Der Sejm darf nicht nur über programmatische Punkte wie die ILO-Konvention und die Anerkennung als indigene Gemeinschaft diskutieren, sondern sollte auch für die konkreten Probleme der Menschen im Alltag Lösungen aufzeigen.“

Durch die erfolgreiche Durchführung der Wahlen kann die zweite Legislaturperiode des Sorbischen Parlaments beginnen und hat eindrücklich bewiesen, dass der Serbski Sejm keine Eintagsfliege ist, sondern ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur gesellschaftlichen Selbstbestimmung. Er hat gezeigt, dass Schritte zur demokratischen Selbstorganisierung möglich sind, auch wenn sie vom Staat nicht anerkannt werden. Doch auch große Herausforderungen warten auf den Sejm. Denn nicht nur der Kampf um die Anerkennung als politische Vertretung und die Verankerung in der sorbischen Gesellschaft sind große Aufgaben.

Herausforderungen im Parlament: AfD-nahe Kräfte

Auch die Auseinandersetzungen innerhalb des Parlaments werden ihre Abgeordneten auf die Probe stellen. Denn nicht alle Gewählten teilen ein gleiches Verständnis von Demokratie und Selbstbestimmung. Erstmalig sind im Parlament auch Kräfte, die der AfD nahestehen und an deren Ehrlichkeit zu zweifeln ist, wenn es um ein friedliches und selbstbestimmtes Leben verschiedener Völker nebeneinander geht.