Von den freien Bergen Kurdistans bis in den Südosten Mexikos

Im Dezember 2018 beschrieb der in den Bergen Kurdistans gefallene Guerillakämpfer Michael Panser die Lebendigkeit der Revolution und grüßte die Widerständigen der EZLN zum Jahrestag ihres Aufstands der Würde am Neujahrstag.

In den freien Bergen Kurdistans schrieb der Internationalist und Guerillakämpfer Michael Panser (Bager Nûjiyan) im Dezember 2018 anlässlich des 25. Jahrestags des Aufstands der Würde, den die Widerständigen der Zapatistischen Nationalen Befreiungsarmee EZLN im südmexikanischen Chiapas am Neujahrstag vor einem Jahr begangen haben: „Ihr Kampf und unsere Kämpfe sind eins, unteilbar, Teil einer globalen Revolution, die in diesem Sinne eine Kulturrevolution ist: der Kampf um eine andere Art zu leben.”

Viel später wurde bekannt, dass Michael Panser am 14. Dezember 2018 bei einem Luftangriff der türkischen Armee in den Medya Verteidigungsgebieten ums Leben gekommen ist. Die EZLN trat am 1. Januar 1994 mit einem bewaffneten Aufstand in Chiapas erstmals öffentlich in Erscheinung. Michael Panser schrieb in den kurdischen Bergen:

Auf dem Weg zu einer revolutionären Kultur des globalen Freiheitskampfs

In einer Zeit der Ungewissheit und des Chaos beginnt der Geist der Revolution wieder umzugehen, und es beginnt eine Zeit, in der die Kraft der Imagination dem Kampf eine neue Hoffnung eingeben kann.

Die zwei Zeiten der Revolution sind lebendig, stellen unsere Bewegung dar, unsere Geschichte, die sich fortsetzt. Die eine Zeit, das ist die lange Linie des Freiheitskampfes für eine freie Gesellschaft, die mit Marx begann, die Linie der sozialistischen Utopie, des langsamen, geduldigen Wachsens, ein Sammeln von Erfahrung und Bewusstwerdung. Die andere Zeit, das ist die Zeit des Aufstands, der Moment des Kampfes, der Sekundenbruchteil der Geschichte, in dem alles möglich ist und der die kommende Welt vorwegnimmt – unser Augenblick der Freiheit, des Handelns. Diese zwei Zeiten bilden eine Einheit, unsere Einheit, die zwei Seiten unserer Geschichte, unseres Weges. Es sind diese beiden Pole unserer Bewegung: die Linie historischer Gesellschaftlichkeit, das Erbe von neolithischer Kommunalität und prophetisch-philosophischer Wahrheitssuche auf der einen Seite, und die schöpferische Kraft der Ereignisse auf der anderen Seite, die zuletzt im Aufstand von 1968 für einen Moment die herrschende Wirklichkeit zutiefst erschütterte – ein Aufstand, der nicht vorbei ist, sondern der als geheimes Feuer bis heute leuchtet und der Anfangspunkt einer neuen Linie des Kampfes geworden ist. Diese Linie verbindet Welten, Zeiten, erschafft Verbindungen von Vietnam bis Mexiko und Kurdistan, denn wir alle sind die Kinder dieses Moments der Hoffnung.

Die großen Felder des Kampfes sind abgesteckt, die unser Jahrhundert bestimmen werden. Es ist ihre Vernunft, die Vernunft ihres Systems, die heute mehr denn je gesellschaftliches Leben, Leben auf diesem Planeten überhaupt bedroht. Es ist die Vernunft des dominanten Mannes, die positive Vorstellung des rationalen Geistes, der sich die Natur unterworfen hat und diese Welt nach seinem Willen formt – männliche Schöpfung der Macht. Nicht erst durch die Verwüstung unseres Planeten und durch das Grauen des industriellen Massenmords durch den Faschismus haben wir schmerzhaft erfahren müssen, wohin die Herrschaft der uneingeschränkten Vernunft führen kann, einer patriarchalen Vernunft, der kalten Rationalität des weißen Mannes, die sich der „wilden Natur“, den „primitiven Gesellschaften“ und dem Weiblichen gegenübersieht. Wir wissen, dass diese Vernunft, die zerteilt, analysiert, in Klassen und Hierarchien spaltet, lebendige Vielfalt zersplittert und in tote Objekte und Rohmaterial verwandelt nicht die Höhe menschlicher Kulturschöpfung ist, sondern deren Ende; nicht die fortschrittliche Gesellschaft, sondern deren Zerfall.

Es ist unsere Utopie der freien Gesellschaft gegen ihre Herrschaft von Nationalstaaten, von Kapitalismus und industrieller Ausbeutung; gegen die Vereinzelung und die Herrschaft des Geldes unser demokratischer Konföderalismus, der die Kommunen verbindet. Gegen ihre Kulturlosigkeit, Assimilation und Genozide, gegen die Ausbeutung, Zerstörung und Entfremdung unsere Kultur des Lebens, den Geist der Kommune, unsere weltweite Partei, unser Partei-ergreifen.

Worum es geht ist die Entfaltung einer demokratischen Kultur, die diese Gedanken mit Leben füllen. Denn die freie Gesellschaft ist keine abstrakte Idee, sondern unsere konkrete Art zu leben, unsere Art und Weise, wie wir uns alltäglich mit dem Kampf und der Utopie verbinden. Unsere Kultur ist Bedeutung, ist Leben, ist Kreativität, ist Bewusstwerdung, Empathie und Verstehen; sie ist Suche, ein Prozess des Handelns, des Innehaltens, des Kritisierens, des Überwindens. Unsere Kultur ist Selbstorganisierung, Selbstverteidigung, ein gemeinsames Kämpfen, tägliches Erschaffen – ein Zurückweisen-und-Erschaffen, gesellschaftliche Tätigkeit jenseits von Verwertung und toter Arbeit. Widerständische Kultur muss heute in der radikalen Ablehnung dieser kapitalistischen Moderne ihren Anfang finden, im Bewusstsein und Willen uns unsere Leben anzueignen – ein Zurückweisen-und-Erschaffen. Der Mensch, das ist für uns nicht ein einzelnes Individuum, und sicherlich nicht der einzelgängerische Mann. Wir wissen, dass der Mensch Gesellschaft ist, kommunales Leben, organisiert um die Frau, Gewissen und Gleichheit, ein Fühlen-und-Denken, ein gemeinsames Arbeiten-und-Kämpfen, Leben in Würde. Wir sind Kinder der Mutterlinie, der Kultur der Muttergöttin, die Natur ist, die Gesellschaft ist, die Leben ist, die Einheit ist – ein Wachsen, ein Enden-und-Werden, eine Tiefe, Erfahrung und Weisheit, ein Begehren, das nicht erlischt. Diese Kultur ist Mythos, ist Wissen, und sie ist jahrtausende Jahre älter als das System, das uns gegenübersteht. Sie ist so utopisch wie die Kraft unserer Phantasie und so real wie der Widerstand der historischen Gesellschaften, der Hexen, der Sklaven, der Propheten, der kommunalen Bewegungen aller Zeitalter, so entschlossen wie die Kämpfe der Arbeitenden, so dynamisch wie ‘68, unterirdisch-fließend und würdevoll wie die Aufständischen irgendwo im Süden Mexikos, von Liebe und Wut getragen wie die Guerilla in den freien Bergen; so schüchtern und klar in ihrer Bedeutung wie die tastende Suche nach einer anderen Welt …

Es ist richtig, dass wir uns im Krieg befinden, aber es ist nicht der Krieg, der uns besiegt. Wir verlieren im Leben, wenn wir es nicht schaffen, eine Kultur des Widerstands und des selbstbestimmten Lebens zu entwickeln. So, wie auch die Guerilla nicht nur die Kraft der Verteidigung eines Gebietes oder des nackten Lebens ist; sie ist Verteidigerin der Gesellschaft, und Trägerin einer Kultur des freien Lebens, der Verantwortung und Bedeutungsgebung, eine Kraft der Kreativität. Dies ist auch der Grund, der die EZLN zum Symbol der Suche nach einem anderen Leben gemacht hat und Freiheitssuchende auf allen Kontinenten inspiriert hat. Am Neujahrstag begehen die Widerständischen der EZLN den 25. Jahrestag ihres Aufstands der Würde. Ihr Kampf und unsere Kämpfe sind eins, unteilbar, Teil einer globalen Revolution, die in diesem Sinne eine Kulturrevolution ist: der Kampf um eine andere Art zu leben.

Es ist Zeit für ein neues Bündnis. Gegen ihre Kapitalistische Moderne eine neue Kultur der Diplomatie, eine Internationale der Hoffnung, die ein demokratisches Zeitalter, eine demokratische Moderne ermöglicht.