Sozdar Avesta: Die Zeit der Guerilla ist nicht vorbei

Wenn eine junge Kurdin zur Waffe greift und Guerillakämpferin wird, will sie Freiheit. Guerilla bedeutet nicht nur bewaffneter Kampf, es geht um gesellschaftliche Veränderung. Das ist es, was die Freiheitsguerilla Kurdistans ausmacht.

Frauen und Selbstverteidigung

Sozdar Avesta hat sich als Präsidialratsmitglied der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) in der von Aysel Baysal moderierten Sendung Xwebûn bei Jin TV zu der Frage geäußert, warum Frauen der kurdischen Guerilla beitreten und sich in den YJA Star (Verbände freier Frauen) autonom organisieren:


Wenn eine junge Kurdin zur Waffe greift und Guerillakämpferin wird, will sie Freiheit. Frauen beteiligen sich aufgrund ihres leidenschaftlichen Freiheitsdrangs an diesem Kampf. Sie haben von Anfang an eine strategische Rolle gespielt und sind von Rêber Apo [Abdullah Öcalan] in die Befreiungsbewegung einbezogen worden. An der Gründung der PKK waren Frauen beteiligt. Dass Frauen in der Guerilla kämpfen, war eine Revolution in der Revolution.

In Kurdistan und im Nahen und Mittleren Osten wurden Frauen auf den häuslichen Raum beschränkt. Es herrschten sehr strenge feudale Maßstäbe. Herrschaft basiert auf der Versklavung von Frauen, die Unterdrückung von Frauen ist die Grundlage diktatorischer Systeme. In Kurdistan waren die Auswirkungen sehr hart. Das ist ein Grund, warum Frauen in die Berge gegangen sind. Diese Tatsache zeigt, wie groß ihre Ziele sind. Frauen gehen zur Guerilla, um gegen den Männerstaat, das patriarchale System, Versklavung und Ungleichheit zu kämpfen und Rechenschaft dafür einzufordern, nicht als vollwertige Menschen behandelt zu werden. Gleichzeitig ist der Weg in die Berge eine Suche nach sich selbst, nach der eigenen Identität.

Es geht nicht nur um den bewaffneten Kampf

In den Bergen Kurdistans kämpfen Frauen seit über vierzig Jahren. Es geht dabei nicht nur um den bewaffneten Kampf. Es gab auch schon vor uns Frauen in Guerillabewegungen, aber der in Kurdistan geführte Guerillakampf ist anders. Neben der Befreiung des eigenen Landes geht es darum, die eigene Persönlichkeit und Stärke zu entdecken und ein gesellschaftliches Bewusstsein für die Rolle von Frauen im männlichen Herrschaftssystem herzustellen. Das ist es, was wir mit Freiheitsguerilla meinen.

Eine weitere Besonderheit im Vergleich zu anderen nationalen Befreiungskämpfen ist die autonome Organisation bei uns. Wenn Frauen sich nicht autonom organisieren und eine eigene Armee aufbauen, werden sie als Hilfskräfte oder Gäste wahrgenommen oder nur formal in ein bestehendes System einbezogen. Damit kann der Frauenbefreiungskampf sein Ziel nicht erreichen.

Es war für Frauen nicht leicht bei der Guerilla

Am Anfang war es für Frauen bei der Guerilla nicht einfach. Die Kommandanten behandelten sie oft wie kleine Schwestern, sie wurden nicht ernst genommen und sollten hinter der Front bleiben. Dieser falsche Ansatz hat sich durch die Herangehensweise von Rêber Apo geändert. Auch die Frauen haben sich dadurch geändert. Sie konnten sich bei der Guerilla auf seinen Einfluss verlassen. Zum Beispiel waren Bese Anuş, Sultan Yavuz und Rahime Kahraman, die sich in den ersten Jahren der Guerilla angeschlossen haben, die einzigen Frauen in ihren Einheiten. Sie mussten sich verteidigen und alleine mit den Lebensbedingungen in den Bergen fertig werden. Aber sie haben ihre Autonomie als Frauen bewahrt und waren jede für sich wie eine Armee. Sie waren auch nicht nur für sich selbst verantwortlich. Ihnen war bewusst, dass sich noch mehr Frauen der Guerilla anschließen werden, wenn sie sich in den Bergen beweisen. Dafür haben sie gekämpft, und auf diesen ersten Schritten beruht die Anziehungskraft der Guerilla.

Niemand verstand die Idee einer eigenen Frauenarmee

Rêber Apo war ein großes Glück für die Freiheitsbewegung Kurdistans und das kurdische Volk. Das gilt auch für uns Frauen. Er existiert durch seine Gedanken und Ideen, und für die PKK war es das größte Glück, dass Frauen ihr beigetreten sind und zeigen, was Freiheit bedeutet. Wir beschäftigen uns viel mit der Geschichte von Frauen und anderen Kämpfen. Die PKK wurde nach der PDK und ungefähr zeitgleich mit der YNK gegründet. Die PDK bekam Zulauf, weil die Menschen ihr Land liebten. Dass die Frauen nicht stärker wurden, liegt am Ansatz der Führung. Die PDK hat bis heute nichts für Frauen getan. Sie sperrt Frauen ins Haus und lässt sie nach ihrem eigenen Bedarf arbeiten. Die Frauen in der PKK sind stark, weil ihnen ermöglicht wurde, einen eigenen Willen zu bilden. Daran haben die Analysen von Rêber Apo großen Anteil. Er hat immer dafür gesorgt, dass Frauen bekommen, was sie brauchen. Er gab Frauen eine große Mission und wollte, dass wir uns autonom organisieren. Am Anfang haben weder Frauen noch Männer begriffen, warum es eine eigene Frauenarmee geben soll. Manche dachten, dass die Frauen an einer Stelle zusammengezogen werden sollen, weil sie nicht in den Bergen leben können.

Vor allem Frauen müssen sich verteidigen können

Dass Frauen sich selbst verteidigen können, ist auch für die Verteidigung der Gesellschaft wichtig. Wir sehen die Frauenguerilla nicht nur als physische Verteidigung. Sie ist der Kampf, freie Persönlichkeiten zu entwickeln und ein freies Leben aufzubauen. Jedes Lebewesen hat ein Selbstverteidigungssystem. In der Gesellschaft brauchen vor allem Frauen diese Fähigkeit.

Unser Frauenbefreiungskampf wird auf vielen Ebenen angegriffen. Es wird schwarze Propaganda betrieben und es gibt ideologische Angriffe. Damit soll die entstandene Stärke von Frauen zerstört werden. Deshalb wird auch behauptet, dass die Zeit der Guerilla vorbei ist und sie gegen die moderne Technologie nicht ankommt. Überall in Kurdistan und auch in der Türkei greifen Kontras Frauen an. Die Mentalität der AKP offenbart sich in dem ständig wiederholten Satz, dass Frauen sich prostituieren sollten anstatt in die Berge zu gehen. So denkt die AKP über kurdische Frauen. Insofern können wir nicht sagen, dass die Zeit der Selbstverteidigung vorbei ist. Deshalb sollten sich junge Frauen den YJA Star anschließen.