Autonome Organisation als Grundsatz der Frauenbefreiung

Frauen organisieren sich innerhalb der PKK-Bewegung autonom. Was steckt dahinter und wie funktioniert das? - Çiğdem Doğu (KJK) erläutert den ideologischen und strukturellen Ansatz der kurdischen Frauenbefreiungsbewegung.

Çiğdem Doğu, Koordinationsmitglied der KJK (Gemeinschaft der Frauen Kurdistans), hat in einer Sendung von Jin TV über den Aspekt „Organisierung“ in der kurdischen Frauenbefreiungsideologie gesprochen. Wir veröffentlichen Ausschnitte aus dem Interview in deutscher Übersetzung.


Was ist mit Organisierung gemeint und warum wird sie als Prinzip verstanden?

Organisierung ist ein Grundprinzip der Frauenbefreiungsideologie. Es ist in allen Ideologien gleich. Es ist nicht möglich, einen Schritt ohne Organisation zu tun. Die Geschichte der Menschheit ist in gewisser Weise die Geschichte der Organisation. Sozialisation, die Entstehung einer Gesellschaft, ist Ausdruck von Organisierung nach ethischen Grundsätzen aus. Organisation hat eine strategische Bedeutung für die Zukunft des Menschen, der Gesellschaft und der Menschheit. Konzeptionell bedeutet es das Weben der Gesellschaft. Man webt die Realität, die Wirtschaft, die Gesundheit, das Leben und die Bildung der Gesellschaft. Auf Kurdisch sagen wir rêxistin. Es bedeutet, einen Weg einzuschlagen oder zu korrigieren. Wenn wir die Etymologie betrachten, können wir sehen, was es für die Menschheit bedeutet.

Die Pionierin der ersten Organisation und Vergesellschaftung war die Frau. Weil sie eine Pionierrolle bei der Organisation des gesellschaftlichen Lebens spielte und der Gesellschaft in diesem Sinne wertvolle Dienste leistete, wurde sie in den Rang einer Göttin erhoben. Aber dann wurde sie, obwohl sie eine bahnbrechende Kraft war, zur völligen Desorganisation verdammt. Heute sprechen wir von der Schwächung des Willens von Frauen, von Unterdrückung, Gewalt und Vergewaltigung. Und warum? Weil sie unorganisiert, wehrlos und schwach sind. In gewissem Sinne ist Organisierung Selbstverteidigung, die Gestaltung und Organisation des eigenen Lebens.

Organisieren bedeutet, sich für einen Zweck zusammenzuschließen, ein Ziel zu verwirklichen. Frauen wurden von dieser Form des Zusammenkommens abgekoppelt. Das ist der Punkt, an dem Isolation entstand. In dem Maße, wie Frauen isoliert und desorganisiert wurden, sind ihre Verbindungen untereinander und mit dem Leben und der Gesellschaft gekappt worden. Frauen werden auf häuslichen Bereich beschränkt. Ihre Gedanken, ihr Verstand, ihre Gefühle und ihre zwischenmenschlichen Beziehungen schrumpfen, und sie werden wehrlos. Je wehrloser sie werden, desto mehr übernimmt der Mann die Herrschaft.

Deshalb ist Organisation ein Grundprinzip der Frauenbefreiung. Denn wie kann eine Frau ohne Organisation einen Willen haben? Wie kann sie befreit werden, wenn sie so allein gelassen wird, wenn sie ohne Willenskraft dasteht? Ohne Organisation kann es keine Freiheit geben. Die kapitalistische Moderne hat einen Typus Frau hervorgebracht, der einzelnen Frauen einen Führungsstatus verschafft. In staatlichen Systemen gibt es Spitzenpolitikerinnen, es gibt auch Künstlerinnen und Akademikerinnen. Natürlich sind unter ihnen sehr wertvolle Menschen. Aber sie sind Individuen.

Kann man also sagen, dass der Liberalismus versucht, die Organisation zu zerschlagen?

In gewisser Weise. Denn der Kampf der Frauen wird immer stärker. Die Entwicklung der kapitalistischen Moderne hat ein großartiges Umfeld für die Organisierung der Frauen geschaffen. Der Feminismus ist in diesem Umfeld entstanden. Es gab zwar schon vorher Frauenbewegungen, aber er schuf ein besser organisiertes Umfeld. Das führte zu einer Aufklärung und Bewusstwerdung von Frauen. An dieser Stelle überlegte der männlich dominierte Verstand, wie er diese Organisation vereiteln könnte. Frauen traten als Individuen in den Vordergrund, nicht als organisierte Frauen. Alle Frauen werden dazu verdammt.

Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Letztes Jahr gab es einen NATO-Gipfel. Die Frauen, Ministerinnen und Premierministerinnen der NATO-Staaten, machten ein Foto und sagten: „Die NATO sind wir." Es sind Frauen, die sich auch als Feministinnen bezeichnen, was nicht der Fall ist. Wir sehen, dass es dort ohnehin keine Frauenorganisation gibt. Es äußern sich Frauen, die an dem von Männern dominierten System teilhaben. Es gibt keine Organisation, es gibt Individuen. Wer ist die NATO? Die NATO ist eine spezielle Kriegsorganisation gegen Frauen und Völker. Sie ist eine Organisation, in der Nationalstaaten zusammenkommen und eine gemeinsame Politik machen.

Man kann sehr gut sehen, was die Realität unorganisierter Frauen hier bedeutet. Unorganisierte Frauen sind in der Gesellschaft hilflos, wenn es darum geht, ihre Gedanken auszudrücken, sich zu entwickeln, zu sprechen, in einem breiten Rahmen Beziehungen zu knüpfen und ihre Wirtschaft, Gesundheit und Bildung und sich selbst zu schützen. Je größer die Desorganisation, desto größer ist der Fatalismus. Je isolierter eine Frau ist, desto schwächer ist sie gegenüber dem System. Solange sie schwach bleibt, kann sie das ihr auferlegte Schicksal nicht ändern. Wie also kann das Schicksal geändert werden? Es wird sich durch Organisierung ändern.

Die Frauenbewegung spricht von spezifischer und autonomer Organisierung. Könnten Sie das näher erläutern? Sie sprechen auch von dem Modell „Dritter Weg“. Was genau ist der dritte Weg?

Organisation ist wichtig und strategisch. Aber genauso wichtig ist die Frage, wie man sich organisiert. Es gibt Tausende Frauenorganisationen auf der ganzen Welt. Organisieren allein ist nicht genug. Es ist wichtig, wie wir uns organisieren. Welche Form der Organisierung kann das System der männlichen Vorherrschaft überwinden und zurückwerfen? Hinsichtlich unserer Organisationserfahrungen lässt sich Folgendes sagen: Wir haben uns als PKK-Bewegung entwickelt. Rêber Apo hat gesagt: „Die Frauen in der PKK organisieren sich spezifisch und autonom." Das war eine sehr wichtige Aussage.

Es hat feministische Bewegungen gegeben, die aus Frauen bestanden und sich nur auf Frauen konzentrierten. Aber diese Bewegungen haben einen gesellschaftlichen Hintergrund, den es zu verändern gilt. Die gesellschaftliche Realität muss verändert werden. Es ist notwendig, die Männer zu verändern, alle Bereiche zu befreien, angefangen bei den Kindern. Es kann nicht nur um Frauen gehen. Lassen Sie uns zum Beispiel nur Frauen befreien. Aber was ist mit der männlichen Realität? Sie werden wahrscheinlich nicht physisch ausgelöscht werden. Männer existieren auch in diesem Leben. Während wir versuchen, die Frauen zu befreien, müssen wir auch die Männer, die Gesellschaft und die Traditionen verändern. Feminismus wird oft mit Frauenkampf gleichgesetzt. Auch wir stützen uns auf Frauen, aber wir sehen den Kampf für gesellschaftlichen Veränderungen als Strategie. Der Feminismus lässt die Gesellschaft außen vor.

Schadet es der Organisation von Frauen, dass der Feminismus so zersplittert ist?

Es sollte immer Verschiedenheiten geben, das bedeutet Reichtum. Aber die Unterschiede sollten auch in der Lage sein, sich in einem Pool zu vereinen. Es gibt viele feministische Bewegungen. Sie kämpfen irgendwie für die Freiheit und Gleichheit von Frauen, aber sie sind zersplittert. Das ist das wichtigste Problem in unserem Kampf. Es gibt keinen gemeinsamen Pool, in dem sie sich gegenseitig ergänzen und eine gemeinsame Strategie entwickeln. Dadurch wird die Stärke der Frauen gespalten.

Es gab anarchistische und sozialistische Bewegungen, die für die Freiheit der Gesellschaft gekämpft haben und immer ein sehr wichtiges Frauenpotenzial hatten. Schauen wir uns alle sozialistischen Kämpfe an: Frauen spielten eine sehr wichtige Vorreiterrolle und nahmen aktiv daran teil. Aber wie sah hier die Organisationsstrategie aus? Es gab eine allgemeine Parteiorganisation, an der Frauen sich beteiligen sollten. Die Devise lautete: „Wenn wir die Gesellschaft befreien, werden auch die Frauen befreit werden.“

Der Feminismus auf der einen Seite isoliert die Frauen völlig von der Gesellschaft, während die andere Seite sagt, dass wir die Gesellschaft befreien sollten und dann die Frauen befreien werden. Das sind zwei sehr gegensätzliche Ansätze. Hat sich bei einer dieser kämpfenden Bewegungen die Befreiung der Frau herauskristallisiert? Es gibt die siebzigjährige sowjetische Erfahrung und Erfahrungen aus verschiedenen Revolutionen. Wir sehen bei allen, dass die Freiheit von Frauen nicht garantiert wurde. Irgendwann wurde die klassische traditionelle Männer-Frauen-Politik fortgesetzt. Wir sagen, dass keine von beiden in dieser Form funktionieren kann. Aber es gibt noch einen dritten Ansatz in Bezug auf die Organisation von Frauen. Diese dritte Linie bedeutet: Wir werden gemeinsam mit der Gesellschaft kämpfen. Wir werden in der Gesellschaft sein.

In unserer Bewegung nennen wir das „allgemein". In der PKK-Bewegung agieren wir gemeinsam mit unseren männlichen Genossen. Aber als Frauenbewegung haben wir eine spezifische und autonome Organisation. Zum Beispiel gibt es die PAJK. Als Frauenpartei führen wir unseren Kampf gemeinsam mit der PKK. Wir haben uns nicht von ihr abgetrennt, aber wir treffen eigene Entscheidungen in Bezug auf Frauen. Die Frauenbewegung diskutiert und entscheidet über die Aufgabenverteilung. Wie sie mit aktuellen Entwicklungen umgehen und wie die Frauenpolitik aussieht, das entscheiden die Frauen selbst.

Ganz allgemein, sagen wir, die Entwicklungen im Nahen Osten, die feindliche Politik, die Realität des Krieges, wenn die Frauenbewegung eine Meinung und Einschätzung in dieser Richtung hat, diskutiert sie mit der allgemeinen Organisation darüber. Es geht dann nicht um die Meinung von Heval Çiğdem oder irgendeiner anderen Person. Es ist die Bewertung der Frauenorganisation, denn wir haben gemeinsam diskutiert, bewertet, entschieden und geplant. Deshalb gibt es bei uns eine spezifische und autonome Frauenorganisation innerhalb der Bewegung. Je mehr eine Frau innerhalb einer Gemeinschaft organisiert ist, desto stärker ist sie, denn sie kämpft aus einem gemeinsamen Willen heraus. Wir kämpfen grundsätzlich gegen das männliche Herrschaftssystem und führen auch innerhalb der Bewegung einen Geschlechterkampf. Das trifft auch auf die Frauenarmee YJA Star zu. Wir sprechen von der HPG-Guerilla, aber innerhalb dieser Guerillaarmee gibt es auch die YJA Star, die sich als Verbände freier Frauen spezifisch und autonom organisieren.