Die Situation für anerkannte Flüchtlinge und Schutzsuchende Italien ist katastrophal. Nachdem das Land vom mittlerweile gestürzten Innenminister Matteo Salvini auf Flüchtlingsfeindlichkeit getrimmt wurde, sitzen in Italien über 40.000 Schutzsuchende, darunter Kinder und Jugendliche, auf der Straße.
Ungeachtet der prekären Lage von Flüchtlingen in Italien forcieren die Bundesregierung und die Länder weiter Abschiebungen in das Land. Betrachtet man sich die Rangliste der Zielländer von Abschiebungen aus Deutschland, so befindet sich der EU-Staat seit Jahren im vorderen Bereich der Liste. 2018 und 2019 führt Italien diese Liste sogar an. Bereits im ersten Halbjahr fanden 1232 Abschiebungen nach Italien statt. Die hohe Zahl ergibt sich aus den Dublin-Überstellungen in das Land. Das bedeutet, dass Asylverfahren von Schutzsuchenden, welche in Italien zuerst europäischen Boden betreten haben, in der Regel unter italienischer Zuständigkeit geführt und die Betroffenen dorthin überstellt werden. Bis Anfang 2019 war wenigstens die Überstellung von Kindern unter drei Jahren auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hin ausgesetzt worden. Überstellungen von Jugendlichen und Erwachsenen gingen jedoch ungebrochen weiter, so wurden bereits im Jahr 2018 2.996 Menschen trotz haarsträubender Bedingungen nach Italien überstellt.
Die vom Rassismus durchdrungene italienische Regierung sorgte für immer neue schikanöse Vorschriften. Die italienische Zeitschrift Altreconomia recherchierte, dass in jenen italienischen Präfekturen, die auf ihre Anfrage antworteten – das war etwa die Hälfte aller Präfekturen – im Zeitraum 2016 und 2017 insgesamt rund 40.000 Schutzsuchenden die Unterkunft entzogen wurde. Dies wird auch von Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen bestätigt. „Wir haben immer mehr Menschen, die nicht untergebracht sind, Menschen, die keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben oder die keinen Zugang zu elementaren Versorgungen haben“, erklärte Marco Bertotto, der Sprecher der Organisation in Italien, gegenüber dem ARD-Magazin Monitor. Dies betrifft nicht nur Schutzsuchende, die aus Drittstaaten in Italien ankommen, sondern immer wieder auch aus Deutschland oder anderen EU-Staaten nach Italien überstellte Personen. Recherchen von Monitor und dem speziell zur Dublin-Regelung forschende Dublin Returnee Monitoring Project (DRMP) stellen etliche solche Schicksale im Einzelnen vor. So konnte Monitor die Obdachlosigkeit ganzer überstellter Familien dokumentieren. Die Rechtsprechung des EuGH hierzu ist klar. So heißt es in einem Urteil, eine Überstellung dürfe nicht erfolgen, wenn die überstellte Person dadurch in so extreme materielle Not gerate, dass es ihr nicht erlaubt sei ihre elementarsten Bedürfnisse zu erfüllen, insbesondere sich zu ernähren, sich zu Waschen und eine Unterkunft zu finden. Die Fraktion Die Linke fragte die Bundesregierung nach ihrer Kenntnis zu den Verhältnissen in Italien und ihren Konsequenzen daraus. Die Bundesregierung versucht in ihren Antworten zwischen Unkenntnis und Relativierung zu lavieren. Sie behauptete, es gäbe keine systemischen Mängel bei der Durchführung der Asylverfahren oder den Wohn- und Lebensbedingungen von Dublin-Überstellten in Italien. Auch will sie keine Kenntnisse über Zahlen obdachloser Schutzsuchender in Italien besitzen. Sie behauptet sogar, Dublin-Überstellten drohe mit „beachtlicher Wahrscheinlichkeit“ keine Obdachlosigkeit. Dem widersprechen die Aussagen von Flüchtlingshelfern. Nadia Bovino, Rechtsberaterin im Tageszentrum „Naga Har“, sagte gegenüber Monitor: „Wenn jemand einige Zeit untergebracht war und dann das Land verlässt, verlässt er auch das Flüchtlingslager, und mit dem Lager verliert er die Unterkunft. Also wenn sie zurückgeschickt werden, werden sie nicht noch einmal eine Unterkunft bekommen, weil das Flüchtlingslager zu verlassen bedeutet, das Recht auf Unterkunft zu verlieren.“
Das DRMP berichtete über den Fall eines psychisch kranken, HIV-infizierten Mannes, der aus der Schweiz nach Italien überstellt wurde. Er erhält dort weder Medikamente, noch Unterkunft. Dennoch wurde er auch ein zweites Mal nach Italien überstellt. Trotz solcher Fälle drohen nach Einschätzung der Bundesregierung in Italien keine Verelendung oder Obdachlosigkeit. Nach eigenen Angaben prüft die Bundesregierung im Einzelfall, ob zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse vorliegen. Drohende Obdachlosigkeit und Verelendung scheint allerdings nicht zu diesen Kriterien zu gehören. Angesprochen auf die konkreten Fälle von Abschiebungen in Obdachlosigkeit sagt die Bundesregierung, sie habe keine eigenen Erkenntnisse darüber. Selbst wenn man von der unwahrscheinlichen Tatsache ausgeht, die Bundesregierung habe von den Fällen von Überstellungen in die Obdachlosigkeit nichts gewusst, so hätte sie doch seit Erscheinen des DRMP-Berichts im Dezember 2018 Zeit gehabt, den berichteten Fällen nachzugehen. Offensichtlich ist es der Bundesregierung aber wichtiger, die Schutzsuchenden wegzuschaffen, als sich mit ihren grundsätzlichsten Menschenrechten zu beschäftigen. Wenigstens eine positive Botschaft enthält die Antwort der Bundesregierung: Sie konnte sich mit Italien bisher nicht über die Aufnahme von Abschiebechartern in das Land einigen.
Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag