In den Neunzigern sollen mehrere Personen einen Anschlag auf ein Abschiebegefängnis geplant haben. Als das Vorhaben scheiterte, tauchten sie unter. Fast genau 30 Jahre später stellen sich Thomas Walter und Peter Krauth in Berlin dem Prozess.
Die beiden internationalistischen Revolutionäre waren wegen der Mitgliedschaft in der militanten Gruppe K.O.M.I.T.E.E. gesucht worden. Unter anderem verübte die Gruppe Solidaritätsaktionen mit dem kurdischen Freiheitskampf und zuletzt einen Versuch, das im Bau befindliche Abschiebegefängnis Grünau zu sprengen. Nach dem gescheiterten Anschlag mussten die Aktivisten fliehen.
Aus der Heimat vertrieben, im Exil verfolgt – Die Situation der Kurd:innen im Deutschland der neunziger Jahre
Während in den neunziger Jahren der Völkermord in Nordkurdistan ein neues Ausmaß erreichte, die Todesschwadronen Abdullah Çatlıs ihr Unwesen trieben und das türkische „Amt für besondere Kriegsführung“ zur Methode der systematischen Dorfzerstörung überging, wurden die vor diesen Umständen fliehenden Kurd:innen in der BRD mit rassistischer Hetze und Kriminalisierung empfangen.
Die Türkei war zu der Zeit für die Bundesrepublik der größte Rüstungsabnehmer, sie profitierte von deutschen Hilfsabkommen in Milliardenhöhe aus dem Etat des Auswärtigen Amtes sowie von der kostenlosen Abgabe von unzähligen Waffen aus dem Bestand der ehemaligen NVA der DDR – von tausenden Granaten und Kalaschnikows, bis zu Kampfflugzeugen und Schützenpanzern war bei diesen Abgaben alles dabei.
Gefoltert, geflüchtet, verboten, erschossen
Gleichzeitig sprach im November 1993 der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther ein allgemeines Betätigungsverbot gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) aus, welches zur willkürlichen Unterdrückung jeglicher Aktivitäten von Kurd:innen in Deutschland genutzt wurde und auch schon ein Jahr später das erste Menschenleben kostete: Deutsche Polizisten erschossen 1994 in Hannover den kurdischen Jugendlichen Halim Dener beim Plakatieren von PKK-Symbolik. Dazu kam noch die stetige Gefahr in die Türkei abgeschoben zu werden, welche in den meisten Fällen für die Betroffenen Gefängnis, Folter und im schlimmsten Fall sogar Tod bedeuten würde.
Man lasse ja schließlich „gute Freunde in schwierigen Situationen nicht im Stich“, so die zynischen Worte des ehemaligen deutschen Vizekanzlers Klaus Kinkel über die politische Verfolgung von Gegner:innen des türkischen Regimes in Deutschland.
Das Schweigen der deutschen Linken über Kurdistan brechen – „DAS K.O.M.I.T.E.E“ und seine Praxis
Trotz dieser offenkundigen Ungerechtigkeit blieb ein großer Aufschrei der deutschen Bevölkerung aus. Auch die deutsche Linke übte sich weitgehend im Schweigen.
Doch Mitte der 90er tat sich in der Berliner Linken ein Personenkreis zusammen, der diese Situation nicht hinnahm. Sie werteten in einem ersten Diskussionsbeitrag das „weitgehende Nichtverhalten der radikalen Linken [zur Situation der Kurd:innen, Anm. d. Verf.] als Bankrotterklärung“ aus und resümierten, die deutsche Linke habe die kurdische Exilbewegung „allein im Regen stehen lassen“. Entgegen dieser passiven Haltung weiter Teile der deutschen Linken, leiteten sie aus der engen Verbindung der BRD mit der Türkei „eine besondere Verantwortung, die eigene Lethargie zu durchbrechen und sich den Bestrebungen der BRD offensiv entgegenzustellen“ ab. Auf diesen formulierten Anspruch folgten entsprechende Taten.
So meldeten sich die Gruppe unter dem Namen „DAS K.O.M.I.T.E.E“. erstmals am 27. Oktober 1994 offiziell zu Wort. In dem Bekennerschreiben zu einem Brandanschlag auf ein Gebäude des Verteidigungskreiskommandos 852 der Bundeswehr in Bad Freienwalde hielten sie fest, dass „Deutschland Kriegspartei im Völkermord in Kurdistan [ist, Anm. d. Verf.] – militärisch, ökonomisch, politisch“, und dass sich ohne Übertreibung feststellen lasse, „dass die BRD heute für die Türkei die gleiche Bedeutung hat, wie die USA ehemals für Vietnam und Mittelamerika“. Diese erste Erklärung endete mit folgendem unmissverständlichen Aufruf:
„Unterstützt den kurdischen Befreiungskampf! DAS K.O.M.I.T.E.E.“
Sabotageversuch in Berlin
Aus eben diesem Beweggrund plante die Gruppe am 11. April 1995 einen Angriff auf einen zukünftigen Abschiebeknast in Berlin-Köpenick. Ziel war es, die im Umbau befindliche, leerstehende Haftanstalt so stark zu beschädigen, dass ihre Fertigstellung erheblich verzögert würde. Der Anschlag der RAF auf den hoch-modernen Gefängnisneubau Weiterstadt zwei Jahre zuvor habe schließlich den Beweis geboten, dass solch eine Intervention möglich sei.
Zu diesem geplanten Anschlag kam es jedoch nie. Die Gruppe hatte zwar bereits 120 Kilogramm Sprengstoff in Propangasflaschen gefüllt und diese in der Nähe des Zieles der Aktion auf einem Parkplatz in einem PKW und einem Lieferwagen gelagert. Doch eine frühmorgens zufällig vorbeifahrende Polizeistreife, kontrollierte die auffällig wirkenden Autos. Hierbei fand sie abgesehen von dem Sprengstoff auch Materialien, in denen „DAS K.O.M.I.T.E.E.“ die Aktion ankündigte sowie persönliche Dokumente. Diese Entdeckung durchkreuzte die Pläne.
Öffentliche Fahndung und Exil
Aufgrund dieser in den Autos gefundenen Dokumente, wurde die Fahndung nach vier Personen eingeleitet: Bernhard Heidbreder, Thomas Walter, Peter Krauth und dessen Schwester. Letztere, welcher der gefundene PKW gehörte, stellte sich kurz danach in Begleitung ihrer Anwältin und musste keine Haftstrafe absitzen. Die anderen drei Gesuchten gingen an diesem Tag in den Untergrund.
Am 2. Dezember 2021 wurde in Venezuela der Asylantrag von Peter Krauth und Thomas Walter von der Flüchtlingskomission „CONARE“ anerkannt, nachdem die internationale Ausschreibung „Red Flag“ durch Interpol zurückgenommen wurde. Damit hatten die in Deutschland gesuchten Internationalisten Anspruch auf unbegrenztes Bleiberecht in Venezuela. Zum ersten Mal seit ihrer Flucht aus Deutschland im Jahr 1995 konnten sie ein Leben führen, ohne mit Verhaftung und Auslieferung an Deutschland rechnen zu müssen. Für den dritten Beschuldigten im Verfahren, Bernd Heidbreder, kam die Entscheidung zu spät. Er verstarb im Mai 2021 in Mérida an einem Tumor. Thomas und Peter lebten bis kürzlich mit einem Asylstatus in Venezuela.
Nach 30 Jahren Untergrund und Exil zurück - Das K.O.M.I.T.E.E stellt sich
Wann verjährt die Verfolgung eines Anschlags, der nie stattgefunden hat? Wer die Aktion vorbereitet hat, wird nach zehn Jahren nicht weiter juristisch verfolgt. Wer sich dafür in einer „terroristischen Vereinigung“ organisierte, kann nach maximal 20 Jahren nicht mehr verurteilt werden. Doch für die Verabredung zu dieser Straftat gilt eine Verjährungsfrist von bis zu 40 Jahren. Diesen Trick nutzten die deutschen Behörden 2016, um die Verjährungsfrist zu verdoppeln: Nicht die Planung des Anschlags sollte nun verfolgt werden, sondern die diffuse „Verabredung“ für einen nicht stattgefundenen Anschlag auf die Baustelle eines Abschiebegefängnisses in Berlin Grünau im April 1995. Beschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wurden nicht angenommen.
Rückkehr nach Deutschland
Peter und Thomas, beide mittlerweile über sechzig Jahre alt, haben nun, nach Jahrzehnten des Exils, beschlossen sich zu stellen.
Vergangene Woche landeten sie am Berliner Flughafen, wurden unmittelbar nach Ankunft festgenommen und in Untersuchungshaft gebracht. Der Rückkehr und dem damit einhergehenden Stellen der Behörden, waren Gespräche über eine Verständigung vorausgegangen, laut welcher der Prozess bei einem Geständnis der vorgeworfenen Tat, auf Bewährungsstrafen hinausläuft. Derzeit finden die ersten Prozesstage statt. Beide Angeklagten konnten nach den bisherigen Verhandlungen frei das Gericht verlassen. Der Prozess soll nach aktuellem Stand am 8. April mit dem Urteil enden.
Ob 1995 oder 2025, der Aufruf des „K.O.M.I.T.E.E.“ hat nicht an Aktualität eingebüßt „Unterstützt den kurdischen Befreiungskampf!“
Mehr zur Geschichte und zum Selbstverständnis des K.O.M.T.E.E. ist auf der Internetseite von Thomas Walter Gedanken aus dem e.x.i.l. zu finden.
Bild: Peter Krauth und Thomas Walter im Exil, 2021/22