Karayilan warnt vor verschärften Angriffen im Vorfeld der Wahlen

Die kurdische Befreiungsbewegung hat sich nach dem Erdbeben aus humanitären Gründen zur Einstellung aller militanten Aktivitäten entschieden. Murat Karayilan (PKK) hält verschärfte Angriffe der Türkei im Vorfeld der Wahlen für wahrscheinlich.

Murat Karayilan hat sich als Exekutivratsmitglied der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in einer Sondersendung auf Stêrk TV zu aktuellen Themen geäußert. Unter anderem ging Karayilan auf die Bedeutung von Abdullah Öcalan für eine Lösung der kurdischen Frage ein. Von dem PKK-Gründer gibt es seit fast zwei Jahren kein Lebenszeichen mehr. Hinsichtlich der Entvölkerungspolitik des türkischen Staates in den kurdischen Regionen westlich des Euphrat nach der Erdbebenkatastrophe vom 6. Februar forderte Karayilan, der selbst aus Riha (tr. Urfa) stammt, die Menschen zur Rückkehr und zur anhaltenden Solidarität auf. Wir veröffentlichen die deutsche Übersetzung eines Ausschnitts des auf Kurdisch geführten TV-Interviews, in dem Murat Karayilan die Wahrscheinlichkeit einer Intensivierung der Angriffe des türkischen Staats auf Kurdistan bewertet.

 

Auf die Frage „Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) hat nach dem Erdbeben aus humanitären Gründen dazu aufgerufen, alle militärischen Aktivitäten einzustellen. Berücksichtigt die türkische Armee diese Entscheidung in der Praxis? Wie lange wollen Sie diese Untätigkeit fortsetzen?“ antwortete Karayilan:

Die Entscheidung unserer Bewegung ist zweifellos richtig. Es ist ein humanitärer und sozialer Ansatz. Auch unser Hauptquartier hat sie gebilligt und das Notwendige getan. Der türkische Staat und die AKP/MHP-Regierung haben nicht in gleicher Weise gehandelt und ihre Angriffe fortgesetzt. Trotzdem haben sich unsere Kräfte bis heute an diesen Beschluss gehalten. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass sich der türkische in dem in Kurdistan geführten Krieg mit Technik schützt und mit Technik angreift. Im Winter verliert die Technik des Feindes weitgehend ihre Wirkung. Daher bietet diese Situation der Guerilla verschiedene Möglichkeiten. Sie bietet zum Beispiel die Möglichkeit, den Feind anzugreifen und zu eliminieren. In unserem zentralen Hauptquartier und in allen Kampfgebieten, insbesondere in den Medya-Verteidigungsgebieten, gab es entsprechende Pläne für den Winter. In diesem Rahmen wurden Aktionen in den Gebieten Girê Cûdî, Girê Hekarî und Girê Amêdî durchgeführt. Im Jahr 2022 fand ein sehr historischer Widerstand statt. Dieser Widerstand war erfolgreich, er hat es dem Feind nicht ermöglicht, seine Ziele zu erreichen. Die Guerilla wollte diesen Widerstand jedoch mit einem Sieg im Winter krönen. In diese Richtung ging die Planung der Guerilla. Nach dem Erdbeben, als der Ko-Vorsitzende des Exekutivrates der KCK beschloss, die Aktionen aufgrund der Situation der Bevölkerung einzustellen, musste unsere Zentrale ihre Pläne für den Winter aufgeben. Wie gesagt sind die Möglichkeiten für uns sind im Winter größer. Es ist nicht mehr so wie früher. In der Vergangenheit wurde der Krieg zum Beispiel hauptsächlich im Sommer geführt und im Winter eingestellt, aber inzwischen haben wir diese Situation erkannt und berücksichtigen bei unserer Planung, dass der Feind sich im Krieg auf seine Technik verlässt und diese im Winter meist erfolglos ist. Dann ereignete sich das Erdbeben und die Guerilla musste ihre Aktionen einstellen.

Der Feind greift weiter an

Der Feind will das ausnutzen. So griff er beispielsweise in Besta an, wir hatten dort Gefallene. Auch die Angriffe auf die Medya-Verteidigungsgebiete werden ununterbrochen fortgesetzt. Ebenso hat er seine Angriffe gegen andere Landesteile nicht eingestellt. Unser Volk und die Öffentlichkeit sollten wissen, dass wir unsere Haltung aus humanitären Gründen aufrechterhalten, aber der AKP/MHP-Staat nimmt diese Situation nicht zur Kenntnis und will sie zerstören. Er will den Krieg immer weiter ausbauen. In diesem Staat gibt es keine Menschlichkeit. Es lagen so viele Menschen unter den Trümmern. Anstatt ihnen zu helfen und sie da herauszuholen, setzte der Staat seine Angriffe fort. So rechtfertigte [der türkische Verteidigungsminister] Hulusi Akar die Untätigkeit der Armee bei den Rettungsarbeiten mit den Worten: „Wollt ihr, dass wir unsere Truppen aus dem Irak und Syrien abziehen?" Jedenfalls hängen das Erdbeben und dieser Krieg eng miteinander zusammen. Die Türkei gibt ihr gesamtes Geld für den Krieg aus; in die Infrastruktur wird nichts investiert. Deshalb gab es auch ein so großes Massaker. Die offiziellen Zahlen stimmen nicht, mehr als hunderttausend Menschen haben ihr Leben verloren. Es wurden so viele Orte zerstört und die AKP/MHD schämen sich immer noch nicht, sie halten sich immer noch für im Recht und führen Krieg über unzählige Leichen. Es ist eine große Katastrophe geschehen, aber sie setzen ihre Angriffe unbeeindruckt fort. Die Öffentlichkeit sollte das wissen, und natürlich sollten unsere Freundinnen und Freunde es nicht missverstehen. Wenn wir angegriffen werden, werden wir uns natürlich militärisch verteidigen und die notwendige Antwort geben. Darin sollte sich niemand täuschen. Sie sind Opportunisten, Heuchler und Verschwörer. Wenn sie sehen, dass die Guerilla lockerer wird, werden sie sofort angreifen. Deshalb müssen unsere Kräfte überall vorsichtig sein und dürfen in ihren Maßnahmen nicht nachlassen.

Intensivierung der Angriffe im Vorfeld der Wahlen wahrscheinlich

Bekanntlich befindet sich die Türkei im Vorfeld von Wahlen und die AKP/MHP-Regierung will eine nationalistische und chauvinistische Stimmung herbeiführen. Zu diesem Zweck versucht sie, die antikurdische Atmosphäre zu verstärken. In diesem Rahmen besteht die Möglichkeit, dass Staat seine Angriffe noch verstärken wird. Wir haben uns einseitig für die Einstellung von Aktionen entschieden, weil unsere Philosophie es erfordert, aber wir sollten wissen, dass der Feind keine humanitären Gefühle hat und jede Gelegenheit nutzen will. Er will seine Macht erhalten und aus diesem Grund ist es wahrscheinlich, dass er die Angriffe auf die Medya-Verteidigungsgebiete, Südkurdistan und Rojava intensivieren wird. Darauf sollten alle vorbereitet sein.