Im Gedenken an Arkan Hussein Khalaf
Die Kampagne „RiseUp4Rojava Deutschland“ erklärt nach dem Mord an dem 15-jährigen Eziden Arkan Hussein Khalaf in der vergangenen Woche in Celle: „Die Antwort auf Rassismus muss internationalistisch sein.“
Die Kampagne „RiseUp4Rojava Deutschland“ erklärt nach dem Mord an dem 15-jährigen Eziden Arkan Hussein Khalaf in der vergangenen Woche in Celle: „Die Antwort auf Rassismus muss internationalistisch sein.“
Nach dem Mord an dem 15-jährigen Eziden Arkan Hussein Khalaf in der vergangenen Woche in Celle konnte die Polizei kein rassistisches Motiv erkennen. Erst die Recherchen von Journalisten zum Täter führten dazu, dass ein Polizeisprecher Tage später mitteilte, es werde „in alle Richtungen“ ermittelt. Die Kampagne „RiseUp4Rojava Deutschland“ erklärt dazu:
Arkan Hussein Khalaf, der den Genozid seines Volkes durch den IS überlebte und über das Wasser hierher flüchtete, wurde in Deutschland auf brutalste Art und Weise von einem Rechten ermordet. Nur sieben Wochen nach dem rechten Attentat in Hanau wurde am Dienstagabend, dem 7. April 2020, der 15-jährige ezidische Jugendliche auf offener Straße in Celle erstochen. Der Täter: Ein 29-jähriger deutscher weißer Mann. In uns toben Trauer, Schmerz und Wut.
„Wir sind über das Wasser gekommen und hier im Blut ertrunken.“ (Halime Hussein Khalaf)
Die Worte von Arkans ältester Schwester lassen uns nur ansatzweise erahnen, wie groß der Schmerz in der Familie sein muss. Gemeinsam mit seiner Familie floh Arkan im Jahr 2014 vor dem barbarischen Völkermord des sogenannten „Islamischen Staat“ aus dem Şengal über die Türkei und Griechenland nach Deutschland. Neben der Vertreibung von Hunderttausenden von Menschen versklavte der IS 7000 Frauen und Kinder, von denen bis heute über 3000 verschwunden sind.
Eziden sind eine ethnische Minderheit, die in ihrer Geschichte 73 Genozide erlitten hat. Unsere Solidarität gilt in dieser schwierigen Zeit der Familie und den Freund*innen von Arkan. Die Polizei hat unterdessen nach eigener Aussage über die brutale Ermordung eines Geflüchteten durch einen Rechten „keine Erkenntnisse über eine ausländerfeindliche oder politisch motivierte Tat".
Struktureller Rassismus ist kein Einzeltäter
Der nächste rassistische Mord? Ein Blick auf die Social-Media-Profile des Täters lässt wenig Interpretationsspielraum: Rechte, antisemitische, verschwörungstheoretische Inhalte und Kontakte. Der deutsche Staat ist durchsetzt mit Rechten, Nazis, Faschisten. Die Enthüllungen über rechte bewaffnete Netzwerke in ganz Deutschland und ihre Verstrickungen in Geheimdienste, Armee und Politik, der NSU-Verfassungsschutz-Skandal, die NSU 2.0-Gruppe bei der Frankfurter Polizei, unzählige weitere Beispiele und eben auch das „Nicht-Erkennen" rassistischer Motive bei der Ermordung eines 15-jährigen Geflüchteten durch einen Rechten sprechen eine deutliche Sprache und legen eine ernstzunehmende Gefahr offen: Den Faschismus. Die Rassisten, die aus Worten Taten werden lassen und Menschen umbringen, sind keine „verrückte" Randgruppe und erst recht keine Einzeltäter. Sie bewegen sich im Rückenwind einer rassistischen Politik und eines tiefen Rassismus in der Gesellschaft.
Internationalismus auf Augenhöhe
Die Antwort auf Rassismus muss internationalistisch sein. Der rassistischen Aufspaltung der Gesellschaft muss ein respektvoller Internationalismus auf Augenhöhe als Alternative entgegengesetzt werden. Menschen verschiedener Herkunft und Hautfarbe müssen einander begegnen, sich kennenlernen und gleichberechtigt in allen Gemeinsamkeiten und Unterschieden anerkennen können, ohne dass Hierarchien aufgebaut oder Gruppen bevormundet werden. Ein Bewusstsein für Kolonialismus und seine Mentalität ist zentral, um die hierarchischen Machtstrukturen des Rassismus nicht mehr zu reproduzieren. Als gemeinsame Verbundenheit in menschlichen Werten, Gerechtigkeit und Respekt ist der Internationalismus die soziale Alternative zu Rassismus, Hierarchie und Spaltung. Für die Privilegien gegenüber Anderen, die struktureller Teil des Rassismus sind, sollte sich niemand schuldig fühlen, solange alles daran gesetzt wird, diese Strukturen im Individuum und der Gesellschaft bewusst zu machen, aktiv daran zu arbeiten, sie zu überwinden und gleichzeitig gegen den organisierten tödlichen Rassismus des Staates und der Faschisten anzukämpfen.
Selbstverteidigung in die Hand nehmen
Hinter Rassismus und Faschismus steht die patriarchale Mentalität. Diese ist durch Gewalt, Raub und Hierarchie charakterisiert und historisch die Grundlage für die Entstehung von Krieg, Klassen, Staat und anderen gesellschaftlichen Unterdrückungstrukturen. Wir können (staatlichen) Rassismus und Faschismus nicht mit seinen eigenen Mitteln und seiner Logik verhaftet bekämpfen. Das Patriarchat als Grundproblem muss hierbei erkannt und bekämpft werden. Wir dürfen deshalb nicht auf den Staat bauen, sondern müssen Selbstverteidigung in die eigenen Hände nehmen. Wir erwarten auch keine Aufklärung von Seiten eines Staates, der in seiner Existenz schon von Rassismus geprägt ist.
Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit müssen wir selber machen. Selbst angesichts solch menschenverachtender Gräueltaten wie in Celle ist Rassismus immer noch viel zu wenig ein Thema in der Gesellschaft und im Bewusstsein in den Köpfen der Leute. Hierfür gibt es viele Möglichkeiten: von Social-Media-Kampagnen über Flyer im öffentlichen Nahverkehr bis zu Protesten im öffentlichen Raum, aber auch durch Bildung kann mensch sehr viel tun, um das Thema Rassismus ins alltägliche Bewusstsein der Mehrheitsgesellschaft zu rücken.
Und nicht zuletzt muss es uns darum gehen, eine Alternative zu sein. Konkret heißt das, gezielt daran zu arbeiten, Räume, Beziehungen, ein Klima zu schaffen, das den gesellschaftlichen Rassismus nicht reproduziert. Dem faschistischen Terror und dem Rassismus des Staates müssen wir als Internationalist*innen eine solidarische und vielfältige Selbstorganisierung mit allen zusammen von unten und links entgegensetzen.
Die Revolution von Rojava zu verteidigen heißt auch, ihre Werte und Prinzipien wie Pluralismus, Gleichberechtigung, Geschlechterbefreiung, kollektive Organisierung von unten und Selbstverteidigung überall umzusetzen.
Als Kampagne RiseUp4Rojava gedenken wir Arkan Hussein Khalaf. Unser Mitgefühl gilt seiner Familie sowie seinen Freundinnen und Freunden. Wir gedenken Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nessar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov und allen Opfern rechter Gewalt. Unsere Liebe und Solidarität den bedrohten Menschen. Unsere Wut den Rassisten, der Politik und der Staatsgewalt. Rest in Power! Wir vergessen euch und eure Namen nicht!