Die drei Internationalisten Dmitriy Petrov, Finbar Cafferkey und Cooper Andrews wollten eine anarchistische Einheit mit aufbauen, die sich an dem Kampf gegen die russische Invasion in der Ukraine beteiligt. Alle drei fielen am 19. April letzten Jahres bei einem Gefecht in der Nähe von Bakhmut. Ihre Genoss:innen, sowie ihre Lebensgeschichten geben Einblicke darin, was Internationalismus im Zusammenhang mit der Ukraine bedeuten kann und wie dieser sich von nationalistischen Perspektiven unterscheidet.
Dmitriy Petrov habe ich unter dem Namen Ilya Leshiy kennengelernt, als ich einige Wochen vor der russischen Invasion in Kyiv zu Besuch war. Ich erinnere mich an unser Gespräch damals, welches einen Bogen machte von Internationalismus und der kurdischen Bewegung, über die politische Lage in einigen post-sowjetischen Ländern bis hin zu dem damals noch drohenden Einmarsch Russlands in die Ukraine. Leshiy selbst kam aus Moskau und lebte zu dem Zeitpunkt etwa drei Jahre in Kyiv. In Russland war er von staatlicher Repression bedroht.
Bereits in den ersten Tagen des russischen Angriffskrieges, schloss Leshiy sich der anti-autoritären Einheit an. Darin versuchten sich Linke verschiedener Hintergründe organisiert am militärischen Kampf gegen die russische Besatzung zu beteiligen.
Im Laufe des Jahres wurde die anti-autoritäre Einheit wegen Schwierigkeiten bei der Eingliederung in die praktische Verteidigung an der Front, aufgelöst. Bei unserer letzten Begegnung im Dezember machte Leshiy deutlich, dass er weiterhin an der Formierung einer solchen Einheit festhielt. Dessen Ausrichtung sollte jedoch klar anarchistisch sein.
Vorübergehender Waffenstillstand
Etwa vier Monate später verlor Leshiy sein Leben in der Nähe von Bakhmut. Er fiel zusammen mit Finbar Cafferkey aus Irland und Cooper Andrews aus den USA.
Solidaritätsbekennungen und Nachrufe für die drei Internationalisten wurden laut und man erfuhr von den verschiedenen Facetten aus ihrem Leben, die sich alle vor dem Hintergrund linker Bewegungsgeschichte abspielten. An mehreren Orten fanden Gedenkveranstaltungen statt. In diesem Kontext interviewte ich in der Ukraine einige linke und anarchistische Aktivist:innen, die Finbar, Cooper und Dimitriy kannten. So war es möglich, noch mehr über ihre politischen Perspektiven und die letzten Monate ihres Lebens zu erfahren.
Als erstes traf ich Sergiy Movchan, der Teil von „Solidarity Collectives“ ist. Die anarchistische Gruppe ist seit Beginn der russischen Invasion aktiv und leistet sowohl logistische Unterstützung für ihre kämpfenden Genoss:innen, als auch humanitäre Hilfe für die ukrainische Gesellschaft. In ihrem Büro, das auch als Lagerraum diente, hingen Bilder von Finbar, Cooper und Dmitriy, sowie von anderen Anarchist:innen und Linken, die in der Ukraine gefallen sind.
Solidarity Collectives beteiligte sich kurz zuvor an einer Erklärung ukrainischer Anarchist:innen, die gegen eine mediale Falschbehauptung Stellung bezog, welche derzeit in Deutschland kursierte.
Mit Bezug auf Interviews bekannter ukrainischer Nationalisten wurde behauptet, dass Dmitriy, Finbar und Cooper sich dem nationalistischen Sabotage-Bataillon Bratstwo (Bruderschaft) angeschlossen hätten. In ihrer Erklärung machten die ukrainischen Anarchist:innen deutlich, dass die drei Anarchisten sich keinesfalls rechten Gruppierungen angeschlossen, sondern lediglich ihre Trainings mit Mitgliedern von Bratstvo absolviert hätten. Es wäre ihr Ziel gewesen, eine explizit anarchistische Einheit zu gründen.
„Als die Genossen feststellten, dass sie in den Trainings von rechtsextremen Aktivisten umgeben waren, beschlossen sie zu bleiben, denn es war die erste Etappe auf dem Weg zu einer eigenen Einheit. Sie absolvierten militärische Trainings zusammen mit der Bratstvo, aber sie waren nie Teil der Bratstvo-Einheit. Dazu hatten sie viel zu klare eigene politische Perspektiven“, sagte Sergiy Movchan in unserem Gespräch.
Das Verhältnis zwischen Anarchist:innen und Nationalist:innen in der Ukraine beschrieb Sergiy als eine Art vorübergehenden Waffenstillstand: „Man kann nicht anfangen sich gegenseitig zu bekämpfen, wenn man im selben Schützengraben liegt. Wir haben derzeit einen gemeinsamen und sehr existenziell bedrohlichen Feind. Gleichzeitig verstehen alle, sowohl links als auch rechts, dass es nur ein vorübergehender Waffenstillstand ist. Wenn der Krieg vorbei ist, werden wir wieder auf den Straßen gegeneinander kämpfen“. Das zeige sich allein schon daran, wie Nationalisten sich in ihren Telegramm-Channels äußern. „Neben dem Hass, den sie gegen Feminismus und LGBTIQ* schüren, sprechen sie sich dagegen aus, Russland als faschistisch zu bezeichnen, weil sie Faschismus befürworten“, sagte Sergiy.
Anarchistische Werte im Kampf gegen Besatzung
Es gäbe auch einen starken Unterschied zur staatlichen Perspektive und anarchistischen Perspektiven in der Ukraine. Auf der einen Seite bedeute es staatliche, kapitalistische Interessen zu verteidigen und auf der anderen Seite sich gegen Russlands Angriff auf die Bevölkerung zur Wehr zu setzen. Sich nicht zu positionieren, aus Angst auf der Seite staatlicher Interessen zu stehen, bewertete Sergiy als nicht sehr hilfreich: „Wir müssen uns positionieren, aber es bedeutet nicht, bereit zu sein alles zu unterstützen, was zum Beispiel die ukrainische Regierung macht oder das moderne, patriotische Narrativ zu befürworten“.
Jenod, eine Anarchistin und Öko-Aktivistin aus Lviv, die mit Finbar, Cooper und Dmitriy zusammen die Trainings absolvierte, bevor sie an die Front gingen, sprach darüber, wie sich ihre anarchistischen Zukunftsvisionen von denen rechter Gruppierungen unterscheiden. Diese Unterschiede würden zum Beispiel darin liegen, dass die Rechte einen starken Staat idealisiere, Ungleichheit nicht als Problem sehe oder dazu neige, sich um einen starken Führer oder eine Struktur zu scharen. „Wir dagegen sehen den Staat als Gefahr, praktizieren Selbstorganisation und schätzen Vielfalt“, sagte Jenod.
Auch die drei gefallenen Internationalisten standen für diese Werte. Ihre Lebensgeschichten sind geprägt von Kämpfen für die Verteidigung von Natur und Umwelt, gegen Rassismus, von der Unversöhnlichkeit mit dem Staat, von gelebter internationaler Solidarität und stetigen Organisierungsbemühungen.
Cooper Andrews kam aus Cleveland Ohio und war als Schwarzer Anarchist in der dortigen autonomen Szene aktiv. Er beteiligte sich an den Mobilisierungen nach den Polizeimorden an Tamir Rice und Tanisha Anderson oder half bei der Gründung eines genossenschaftlichen Verlags, einer Druckerei und eines Zine-Ladens. Später meldete sich Cooper bei den Marines, um eine militärische Ausbildung zu erhalten und sich auf den Einsatz als Freiwilliger und Internationalist vorzubereiten. Cooper verließ Cleveland, Ohio im November. Er kämpfte in der Ukraine zunächst in der Fremdenlegion und war dort Teil des Widerstandskomitees, eines Netzwerks anti-autoritärer Kämpfer:innen. „Noch als Marine-Soldat trotzte er dem Zusammenleben mit Neonazis in einer Kaserne in North Carolina und sorgte dafür, dass ein paar Nazis rausgeschmissen wurden“, heißt es in einer Erklärung von Coopers Genoss:innen aus den USA. Auch bei den militärischen Trainings soll er derjenige gewesen sein, der die anarchistische Gruppe motiviert haben soll, trotz der Bratstvo dort zu bleiben.
Finbar war unter seinen Genoss:innen in der Ukraine bekannt als Çiya - ein Name, den er bereits in Rojava angenommen hatte. Er schloss sich im Jahr 2017 den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) an, kämpfte in Raqqa gegen den sogenannten Islamischen Staat und war Teil von Netzwerken, die sich solidarisch mit der kurdischen Befreiungsbewegung zeigten.
Çiya hatte sich durch die „Shell to Sea“ – Kampagne politisiert, die sich dem Bau von Gas-Pipelines in seiner Heimat-Provinz widersetzte. Viele seiner Genoss:innen beschrieben die Verbundenheit, die Çiya mit dem Widerstand in der Ukraine hatte, als etwas, das aus der eigenen Erfahrung in Irland herrührte. So beschrieb es auch Bawer, der Çiya noch aus Rojava kannte und sich aktuell ebenfalls in der Ukraine aufhält: „Çiya war Ire und gehörte zu den Menschen, deren Sprache marginalisiert wurde. Er war einer der wenigen Menschen, die fließend galizisch sprechen konnten und wuchs auf der Insel Acaill, einem sehr ländlichen, interessanten Teil Irlands auf. Ihm war bewusst, dass die Kurd:innen ebenfalls in ihrer Sprache und Kultur bedroht und mit autoritären Regimen konfrontiert sind. Außerdem sah er, wie die Ukraine von Russland angegriffen wurde und einen Verlust ihrer Kultur und Sprache erlebte. Er fühlte eine Verbundenheit aufgrund seiner eigenen Erfahrungen als Ire“.
Über das, was aus dem Leben Dmitriy Petrovs nach seinem Tod bekannt wurde, haben sich selbst viele seiner Genoss:innen gewundert, da er nicht offen darüber sprach. In seinen letzten Worten bekannte er sich zu der Kampforganisation der Anarcho-Kommunist:innen (BOAK) - eine militante Untergrundbewegung, die Anschläge auf die Infrastruktur des russischen Militärs verübt. In einer Erklärung der BOAK beschreiben Leshiys Genoss:innen ihn als „konsequenten und langjährigen Anarchisten“. Als er noch in Russland lebte, beteiligte er sich an anti-faschistischen und ökologischen Kämpfen und war sowohl in Russland als auch in Belarus und in der Ukraine an militanten Aktionen beteiligt.
2018 verbrachte Leshiy einige Monate in Rojava. Er schrieb und übersetzte Texte und Bücher, die Verbindungen zur kurdischen Befreiungsbewegung im russischsprachigen Raum schafften.
Die internationalistischen Verbindungen, die Leshiy knüpfte waren auch geprägt von direkter Aktion und Praxis. Er nahm an den Protesten auf dem Maidan 2014 und in Belarus 2020 teil und baute dabei anarchistische Anlaufpunkte und Strukturen mit auf, um die eigene Perspektive innerhalb der gesellschaftlichen Aufstände zu stärken.
Gedenkveranstaltungen und die Verbindung zu Kurdistan
Der Tag an dem vor einem Jahr Finbar, Cooper und Dmitriy ihr Leben verloren, wurde nun zum „Internationalen Gedenktag an die anarchistischen Kämpfer:innen, die im russisch-ukrainischen Krieg gefallen sind“. Auch in einigen deutschen Städten, wie Berlin, Dresden und Leipzig, fanden am 19. April Gedenkveranstaltungen statt. In Dresden wurde eine Erinnerungstafel an Dmitriy Petrov eingeweiht. Anders als dort wo Finbar und Cooper herkommen, gibt es in Russland kaum noch eine Community, die an die drei Anarchisten gedenkt und erinnert. „Deshalb möchten wir eine Erinnerungstafel für Dmitriy einweihen, die eines Tages wenn das autoritäre und faschistische Regime in Russland gestürzt ist, dorthin gehen wird wo Dmitriy seinen politischen Kampf begann“, heißt es in der Erklärung der Organisator:innen.
Bei der Gedenkveranstaltung in Berlin versammelten sich etwa 50 Teilnehmer:innen. Es gab musikalische Beiträge und es wurden Videobotschaften gezeigt. Außerdem erzählten Genoss:innen von Dmitriy, Finbar und Cooper über ihre Begegnungen mit ihnen. Auf der Veranstaltung wurden Spenden für Ukraine-solidarische, linke Organisationen wie Radical Aid Force und Solidarity Collectives, sowie für die Kurdistan-Hilfe gesammelt. „Wir wollen auf der heutigen Veranstaltung eine internationalistische Perspektive hervorheben und Kämpfe verbinden“, hieß es auf der Veranstaltung.
Finbar, Dmitriy und auch Marcy, ein weiterer Internationalist, der im November im Einsatz als Sanitäter gefallen ist, verbrachten vor ihrer Zeit in der Ukraine einige Monate in Rojava.
Sie sind nicht die einzigen Linken, die Kampferfahrungen in Rojava sammelten und diese in der Ukraine weitertrugen - einem europäischen Kontext wo sich aktuell Anarchist:innen und andere Linke auf militärischer Ebene organisieren. Natürlich ist es ein Kontext, der sich von der Situation in Rojava in sehr vielen Punkten unterscheidet. Dort ist es der Aufbau eines selbstverwalteten, demokratischen Systems, welcher sich gegen staatliche Angriffe verteidigt. In der Ukraine ist es wiederum ein Krieg zwischen zwei Staaten, der aber gleichzeitig auch ein Angriffskrieg eines autokratischen Staates auf die Bevölkerung ist. Linke sind nur ein Teil derer, die sich im Kampf gegen diesen Angriffskrieg befinden. Je organisierter sie sind, desto sichtbarer werden sie auch als eine Kraft, die im Fall eines Angriffs bereit ist, für die Verteidigung der Bevölkerung einzustehen. So ist zumindest die Perspektive der meisten ukrainischen Linken, die weiterhin organisiert sind.
Auch wenn die Möglichkeiten einer im Gesamtbild noch marginalen Linken begrenzt sind, merke ich immer wieder, dass die Erfahrungen in Rojava dennoch Funken schlagen. Bei einem Besuch in Kyiv kurz nach Beginn der russischen Invasion traf ich Leshiy in dem Trainingslager der damals noch existierenden anti-autoritären Einheit. An dem Tag stand eine selbstorganisierte, anti-patriarchale Bildung für die männlichen Genossen auf dem Tagesplan. So eine Praxis, die man aus Rojava kennt, kann zwar nur bruchstückhaft eingesetzt werden, aber schafft dennoch eine Veränderung der bestehenden militärischen Vorgehensweise.
Bei den Gesprächen mit Genoss:innen der drei Internationalisten stießen wir immer wieder auf das Thema der taktischen Bündnisse, die in Kriegssituationen oft unvermeidlich sind, um zu einer Kraft zu werden. Bawer, der Finbar noch aus Rojava kannte, zog Parallelen zu der Zeit, in der er in Raqqa an der Seite der kurdischen Bewegung kämpfte und beschrieb die Situation für Anarchist:innen in der Ukraine folgendermaßen:
„Der Weg um eine eigene Einheit als Anarchist:innen aufzubauen erfordere nun einmal mit Kräften wie dem Staat oder unliebsamen Gruppen Hände zu schütteln. Es bedeutet jedoch nicht, dass man seine Prinzipien verliert. Diesen Widerspruch können viele westliche Linke nicht aushalten.
Auch wenn die Ukraine morgen gewinnen sollte, wird der Kampf nicht vorbei sein, denn es werden weiterhin kapitalistische Interessen gegen die Bevölkerung stehen. Sichtbar an der Seite der Menschen in der Ukraine zu stehen, schafft eine gute Basis für den Kampf auf langfristiger Ebene und auf das, was nach dem Krieg noch kommt“
In den letzten zwei Jahren sind internationalistische Verbindungen in die Ukraine gewachsen. So berichtete beispielsweise Sergiy von Solidarity Collectives, dass sie nun Kontakt zu linken, vorwiegend anarchistischen Gruppen in verschiedenen Ländern haben, welchen sie vorher nicht hatten. Das kam vor Allem durch die praktische, logistische Unterstützung zu Stande. Für eine strategische Verbindung braucht es zwar noch mehr als das, doch die direkte Solidarität hat einen wichtigen Wert: Sie schafft die Basis, um die gegenseitigen Realitäten zu verstehen, Kämpfe und Perspektiven kennenzulernen und eine Langfristigkeit im gemeinsamen Kampf zu entwickeln. So eine Basis gibt es nicht, wenn man sich idealistisch oder gar herablassend annähert und vielleicht ist es der selbe Idealismus, der auch eine stärkere Verbindung zwischen westeuropäischen Linken und der kurdischen Bewegung erschwert. Sergiy bringt es in unserem Gespräch auf den Punkt: „Wenn man Angst hat, dass die nationalistischen Bewegungen durch den Krieg stärker werden, heißt es Position zu beziehen und uns als Linke und Anarchist:innen in der Ukraine zu unterstützen, damit wir stärker werden. Leshiy war einer derjenigen, der das sehr gut verstanden hat und seine Aktivitäten auf diese Werte gegründet hat. Er war einer der Genoss:innen, mit dem man auch nach dem Krieg noch gut Politik gemacht hätte“.
Der Gastbeitrag von Marija Volya gibt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.