Am 19. April 2023 ist der russische Anarchist Dmitriy Petrow alias Ilja Leschij in einem Gefecht bei Bachmut in der Ukraine gefallen. Er kämpfte in der ukrainischen Armee gegen die russisch-imperiale Aggression. Sein Tod wurde am 27. April bestätigt. Petrow bezog sich stark auf die Revolution in Rojava und war u.a. Übersetzer des Buches „Revolution in Rojava“, das 2014 auf Deutsch und 2016 auf Russisch erschienen ist.
Dmitriy Petrow war promovierter Historiker und Anthropologe und arbeitete am Institut für Afrikastudien der Russischen Akademie der Wissenschaften. Er besuchte Kurdistan und war Mitautor einiger Bücher. Außerdem war er Mitveranstalter des Forschungs- und Medienprojekts Hevale über Rojava. In Rojava war er unter dem Namen Sewa bekannt.
Dmitriy Petrow war über viele Jahre lang Mitglied der anarchistischen Bewegung. Er setzte sich für Ökologie und die Rechte der Arbeiter:innen ein und kämpfte u.a. gegen Bauunternehmen. Als Antifaschist bekämpfte er Neonazis auf den Straßen Moskaus. Dmitriy war ein Anarchist, aber in solidarischer Auseinandersetzung mit sozialistischen Gruppen. So beteiligte sich an der Kampagne des Sotsyalnyi Rukh (ukr. „Soziale Bewegung”) zur Streichung der Auslandsschulden der Ukraine und schrieb mehrere Artikel über Rojava für die Zeitschrift Commons.
Dmitriy Petrow nahm an den Protesten in Bolotnaja in Russland 2011, dem Maidan in der Ukraine 2014 und den Protesten in Belarus 2020 teil. Aufgrund drohender Verhaftung in Russland zog er vor einigen Jahren in die Ukraine, beteiligte sich aber weiterhin an der russischen anarchistischen Bewegung. Am ersten Tag der Invasion schloss sich Dmitriy dem Versuch an, eine anarchistische Einheit in der ukrainischen Armee zu bilden. Er nahm an den Kämpfen bei Svatovo und Kreminna teil.
Sein Leben verlor er bei einem versuchten Gegenangriff in der Nähe von Bachmut. Die Kämpfe um die Stadt Bachmut im Oblast Donezk dauern seit dem 1. August 2022 an. Ukrainische Streitkräfte stehen dabei regulären russischen Verbänden sowie Kräften des Söldnerunternehmens Wagner gegenüber.
„Ein schwarzer Tag für die anarchistische Bewegung“
Seine Genoss:innen von der Kampforganisation der Anarcho-Kommunist:innen (BOAK) aus Russland gaben nach dem Tod von Dmitriy Petrow eine Erklärung ab:
„Unser Genosse, der Anarchist Dmitriy Petrow, ist in der Ukraine gefallen. Es ist ein schwarzer Tag für die gesamte anarchistische Bewegung und unsere Organisation im Besonderen. Am 19. April 2023 fiel unser Genosse Dmitriy Petrow, einer der Gründer und aktives Mitglied von BOAK, in der Nähe von Bachmut in der Ukraine im Kampf für die Freiheit.
Dima war ein langjähriger und konsequenter Anarchist. Lange Zeit war er in der Bewegung als Umweltschützer bekannt, aber seine Aktivitäten beschränkten sich nicht auf die Verteidigung der Natur. Er beteiligte sich sowohl an Aktionen zum Schutz des Bitsevsky-Wald als auch bei Food Not Bombs, kämpfte gegen die Aufschüttung und den Bau von Müllverbrennungsanlagen, für die Rechte der Arbeitenden in den Reihen der Interprofessionellen Gewerkschaft der Arbeitnehmenden und gegen Polizeibrutalität. Er beteiligte sich aktiv an der antifaschistischen Bewegung und wehrte sich gegen Neonazis auf den Straßen Moskaus und anderswo.
Er nahm an den Protesten auf dem Bolotnaja-Platz 2011, auf dem Maidan 2014 und in Belarus 2020 teil. Er beteiligte sich an der Veröffentlichung und Übersetzung aktivistischer Literatur.Er nahm an ethnografischen Expeditionen teil und hat einen Doktortitel in Geschichte. All dies wäre genug für zehn Aktivist:innen - aber Dima hat sich nicht darauf beschränkt. Dima war in den späten 2000er Jahren die Wurzel der anarchistischen Partisanenbewegung. Und seitdem ist er jeden Tag ein Partisan geblieben. […].
Und ja, natürlich war Dima auch einer der Gründer des berühmten Schwarzen Blogs und ein aktiver Teilnehmer an allen seinen Aktionen. Dazu gehörte auch die Sprengung des Verkehrspolizeipostens am 22. Kilometer der Moskauer Ringstraße im Jahre 2011.
Gleichzeitig war Dima aber nicht nur ein revolutionärer Praktiker. Er entwickelte auch anarchistische Theorie - ein bedeutender Teil der programmatischen und theoretischen Texte sowohl des Schwarzen Blogs als auch der BOAK wurden von ihm oder unter seiner Beteiligung verfasst.
Wie ein echter Revolutionär war Dima ein Internationalist. Er beteiligte sich aktiv an der Gründung und den Aktivitäten des Internationalen Netzwerks für revolutionäre Solidarität. Er bekämpfte die Übel der Unterdrückung, wo immer sie auftauchten, und machte vor Grenzen nicht Halt. Neben Russland, der Ukraine und Belarus bildete er sich in Rojava und beteiligte sich am Befreiungskampf des kurdischen Volkes.
Als Reaktion auf Putins Einmarsch in die Ukraine schloss er sich dem Widerstandskomitee an, um dem Aggressor mit der Waffe in der Hand die Stirn zu bieten. Später nahm er an den Schlachten von Svatovo und Kremenna teil.
Bei allem, was er unternahm, handelte er mit voller Hingabe. Er lebte nicht - er brannte! Seine Heldentat ist unsterblich. Seine Taten währen ewig. Wir können diesen Verlust noch immer nicht ganz begreifen. Nicht die richtigen Worte finden, damit ihr verstehen könnt, was für ein Mensch er war. Die Art Mensch, die alle von uns anstreben sollten zu sein. Aber wir werden versuchen, diese Worte zu finden.“
Letzte Worte
Als Mitbegründer der Kampforganisation der Anarcho-Kommunisten (BOAK), die seit Beginn der Invasion die Eisenbahninfrastruktur in Russland sabotierte, schickte Petrow seinen Genoss:innen seine letzten Worte zur Veröffentlichung, falls er sein Leben im Kampf verlieren sollte.
„Mein Name ist Dmitriy Petrow, und wenn ihr diese Zeilen lest, dann bin ich höchstwahrscheinlich im Kampf gegen Putins Invasion der Ukraine gestorben. Ich bin Mitglied der Kampforganisation der Anarcho-Kommunisten (BOAK), und das werde ich auch nach meinem Tod bleiben.
Die BOAK ist unser Geistesprodukt, geboren aus unserem Glauben an einen organisierten Kampf. Es ist uns gelungen, ihn auf verschiedenen Seiten der Staatsgrenzen zu führen. Ich habe mein Bestes getan, um zum Sieg über die Diktatur beizutragen und die soziale Revolution voranzubringen.
Als Anarchist, Revolutionär und Russe fand ich es notwendig, mich am bewaffneten Widerstand des ukrainischen Volkes gegen Putins Besatzer zu beteiligen. Ich tat dies für Gerechtigkeit, für die Verteidigung der ukrainischen Gesellschaft und für die Befreiung meines Landes, Russlands, von Unterdrückung. Um all der Menschen willen, die durch das abscheuliche totalitäre System in Russland und Weißrussland ihrer Würde und der Möglichkeit, frei zu atmen, beraubt werden. Ein weiterer wichtiger Sinn, sich an diesem Krieg zu beteiligen, ist es, den Internationalismus durch ein Beispiel voranzubringen. In den Tagen, in denen der tödliche Imperialismus als Antwort eine Welle des Nationalismus und der Verachtung für die Russ:innen hervorruft, argumentiere ich mit Wort und Tat: Es gibt keine „schlechten Völker“. Alle Völker haben den gleichen Kummer - gierige und machthungrige Herrscher.
Meine Entscheidung und meinen Schritt habe ich nicht nur individuell getroffen. Diese Entscheidung war eine Fortsetzung unserer kollektiven Strategie, die darauf abzielt, nachhaltige Strukturen zu schaffen und den tyrannischen Regimen unserer Region mit Guerillakämpfen entgegenzutreten.
Meine lieben Freund:innen, ich entschuldige mich bei allen, die ich mit meinem Abschied verletzt habe. Ich schätze eure Wärme sehr. Ich bin jedoch fest davon überzeugt, dass der Kampf für Gerechtigkeit, gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit eine der wertvollsten Sinnhaftigkeiten ist, mit denen Menschen ihr Leben füllen können. Und dieser Kampf erfordert Opfer, bis hin zur völligen Selbstaufopferung. Das beste Gedenken an mich wäre aktiv weiterzukämpfen, persönliche Ambitionen und unnötige Streitereien zu überwinden, wenn du weiter aktiv für eine freie, auf Gleichheit und Solidarität basierende Gesellschaft kämpfst. Für dich und für mich und für alle unsere Genoss:innen. Risiko, Entbehrung und Opfer sind unsere ständigen Begleiter auf diesem Weg. Aber seid sicher - sie sind nicht vergeblich.“