Derzeit wird in linksradikalen und in deutschsprachigen kurdischen Medien viel über das staatsdeutsche PKK-Verbot gesagt und geschrieben. Gegen die Verbotsentscheidung vom 26. November 1993 läuft derzeit eine Aktionswoche, deren Gipfel die bundesweite Demonstration am heutigen Gründungstag der PKK, dem 27. November, in Berlin darstellt. Die Inhalte thematisieren die Problematik des PKK-Verbots meist aus einer kurdischen Perspektive beziehungsweise mit Blick auf die Kurd:innen, sei es hinsichtlich Repression und Entrechtung, welche Kurd:innen aufgrund des Verbots hierzulande erfahren, oder im Kontext der kurdischen Frage in Kurdistan, wo das PKK-Verbot und die Kriminalisierung der kurdischen Befreiungsbewegung als Terrororganisation einen Frieden verhindert. Dies ist richtig, und wichtig ist es, das Verbot zu beanstanden und auf all seine Auswirkungen hinzuweisen.
Deutsche „Kurdenpolitik“
Das PKK-Verbot vonseiten der BRD und die daraus resultierende politische Praxis der staatlichen Behörden haben jedoch viel mehr kritikwürdige Aspekte. Die Auswirkungen dieser Herangehensweise auf die Betroffenen selbst ist „nur“ der Boden, auf dem die Politik der staatlichen, insbesondere der Sicherheitsbehörden sich ihnen, den Kurd:innen, gegenüber ausdrückt. Betrachtet man die innenpolitische Praxis der „Kurdenpolitik“ Deutschlands näher, zeigt sich offen, dass wir es hier mit einer Staatspraxis zu tun haben, welche das Grundgesetz, die Gewaltenteilung sowie die Rechtsstaatlichkeit immer weiter ausartend verletzt und demokratische Grenzen stetig überschreitet. Dieser gefährlichen Tendenz stehen nicht nur die Kurd:innen, sondern alle gesellschaftlichen Gruppen, die Gesellschaft als Ganzes, gegenüber. Bei aller Kritik und Vorsicht bei der Analyse des Charakters von Nationalstaaten in einem kapitalistischem Weltsystems war zumindest in westlichen Staaten ein gewisser Standard an Rechtsstaatlichkeit und (repräsentativer) Demokratie gegeben. Nach den Entwicklungen vor und nach den beiden Weltkriegen formte sich die wesentlich gleichbleibende politische Ordnung neu, und auf einer bestimmten Ebene bildeten die Schlagworte Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit das diskursive legitimatorische Fundament der neuen Ordnung um die US-amerikanische Vormachtstellung. Auch das Grundgesetz und die rechtsstaatliche Ordnung der BRD sind das Ergebnis der Phase nach Kolonialismus, zerstörerischen Weltkriegen und ihrer unmenschlichen Entgrenzungen. Die Menschenrechtscharta war eine Reaktion auf die schrecklichen Verbrechen der Staaten gegen die Menschlichkeit.
Demokratische Mechanismen werden missachtet und missbraucht
Anhand der Politik des deutschen Staates bezüglich des Themenkomplexes Kurdistan können wir beobachten, wie diese Standards, das Grundgesetz und die demokratischen Mechanismen, von staatlichen Institutionen missachtet und missbraucht werden. Ich spreche hier nicht von der Außenpolitik des deutschen Staates, die Demokratie und Menschenrechte vorgaukelt und gleichzeitig ihre geopolitischen Interessen und Profite auf Kosten von Menschenleben und durch die Vertreibung und Ausbeutung von Menschen und ganzer Regionen eiskalt zu durchsetzen bemüht ist. Auch nicht von einer deutschen Außenpolitik, die zusammen mit islamistischen Regierungen und Organisationen auf indirekte Weise gegen demokratische Kräfte vorgeht, oder einer Außenpolitik, die Steuergelder in Projekte von dschihadistisch-islamistischen Kräften im syrischen Idlib „investiert“. Für die hier im Raum stehende Frage ist insbesondere die Innenpolitik von Relevanz.
Kurdische Frage im Mittleren Osten soll bestehen bleiben
Als wesentliche Ursachen für das PKK-Verbot werden heute noch Autobahnblockaden, verzweifelte Gewaltausbrüche von frisch vor türkischen Militärs in deutschen Panzern aus Kurdistan nach Deutschland geflohenen Kurd:innen, etwa gegenüber türkischen Konsulaten und Reisebüros, oder Selbstverbrennungen in den 1990er Jahren vorgebracht. Auch ohne Diskussion und Debatte, ob das alles richtig oder falsch war: Um gegen diese Taten vorzugehen, hätte sowohl damals wie heute auch das deutsche Strafrecht ausgereicht. Die Befreiungsbewegung und -organisation eines unterdrückten Volkes zu verbieten, ist jedoch eine ganz andere Angelegenheit. Um die Menschenrechte und das Völkerrecht zu umgehen, die die kurdische Frage und Befreiungsbewegung rechtlich legitimieren, sind das PKK-Verbot und die Auflistung der PKK als Terrororganisation gut greifende Instrumente. Dieser Mechanismus um das rechtliche Terrorkonstrukt, was das PKK-Verbot und das Terrorstigma ermöglichen, ist die eigentliche Intention der westlich-internationalen Staatspolitik der kurdischen Befreiungsbewegung gegenüber. Die von ihr selbst geschaffene nationalstaatliche Ordnung und kurdische Frage im Mittleren Osten sollen bestehen bleiben. Damit verbunden soll soweit wie möglich auch der demokratische und öffentlichkeitswirksame Kampf der kurdischen Bürger:innen in der Diaspora, zum Beispiel in der deutschen Gesellschaft, unterbunden oder zumindest begrenzt werden.
Beispiellose Repression
Parallel zum intensiver werdenden Krieg in Kurdistan ist auch die Repression staatlicher Institutionen in Deutschland gegenüber politisch aktiven Kurd:innen und solidarischen Menschen und Gruppen in den letzten Jahren immer weiter ausgeartet. Zum Beispiel wurden Wohnungen von Menschen durchsucht, nur weil sie in sozialen Netzwerken eine YPG/YPJ-Flagge gepostet haben - ein Symbol, das gar nicht unter das PKK-Verbotskonstrukt fällt. Kurd:innen werden verfolgt, weil sie auf Demonstrationen „Es lebe Öcalan“ rufen. Es kommt auch sehr oft vor, dass die Polizei den Rahmen ihrer Rolle als Exekutive verlässt, beispielsweise indem sie bei Organisator:innen kurdisch-kultureller Veranstaltungen telefonisch anruft und sie mittels falscher Aussagen und ohne rechtliche Grundlage zur Absage der Veranstaltung drängt. Der Verfassungsschutz beobachtet Menschen, die sich für Demokratie und Frieden einsetzen, darüber berichten oder dazu forschen. Eine Aneinanderreihung verschiedenster Beispiele undemokratischen und verfassungsrechtlich fragwürdigen Vorgehens der Staatsorgane und Sicherheitsbehörden ließe sich problemlos weiter ausführen. Insgesamt wird eine Politik verfolgt, die den eigenen kurdischen Bürger:innen, vor allem den politisch aktiven, ihre im Grundgesetz garantierten Rechte zu verwehren bemüht ist.
„Solange es aber deutsche Interessen und ,nur' die Kurd:innen betrifft, wird das schon seinen Grund haben“, denken sich möglicherweise viele Menschen in Deutschland, vor allem aus der Mitte und dem liberalen Milieu, wenn man sie mit der deutschen Kurdenpolitik konfrontiert. Obwohl das Gewissen ein wenig gestört wird, ermöglicht vielleicht diese ethisch fragwürdige Kurzsicht eine Passivität und stillschweigende Akzeptanz der Verfolgung und Entrechtung der politisch engagierten Kurd:innen auch hier in Deutschland.
Grundgesetz auch vor dem Staat schützen
Das kann man machen. Man kann aber auch fragen, was dieses Vorgehen des Staates mit der Demokratie hier macht? Was bedeutet das für die hiesige gesamtdeutsche Gesellschaft, wenn der Staat die Prinzipien des Grundgesetzes nicht respektiert und seinen legalen Handlungsrahmen verlässt und dabei gegen demokratische Werte und Handlungen vorgeht? Das Grundgesetz und die demokratischen Errungenschaften gehören nicht dem Staat und den staatlichen Institutionen, selbst wenn sie sich als ihre Repräsentanten und Verfechter präsentieren. Vielmehr ist es so, dass die demokratische Verfassung das Verhältnis von Staat und Bürger:innen definiert, wozu Beschränkungen und Freiheiten für beide Seiten gehören. Es ist also auch die Aufgabe der demokratischen Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit, das Grundgesetz und die demokratischen Errungenschaften zu schützen, selbst vor dem Staat. Die Aufhebung des illegitimen PKK-Verbots würde die undemokratische Entgrenzung des Staates in Deutschland wieder zurückdrängen und damit die Demokratie allgemein stärken. Nur eine in dieser Hinsicht wachsame, aktive und organisierte Zivilgesellschaft kann der gegenwärtig bei vielen, auch europäischen Regierungen beobachteten Politik, der Erhöhung von Repression, Straffung der Kontrolle und Überwachung sowie der Militarisierung etwas wirksam entgegensetzen. Die Beendigung des PKK-Verbots, also die rechtliche und politische Gleichbehandlung von Kurd:innen und die Anerkennung ihrer Rechte, wäre dabei ein großer Erfolg.