Erdogan‘sche Propaganda in deutscher Berichterstattung

Die Rhetorik so mancher Türkei-Korrespondenten zum Angriff der türkischen Armee im kurdischen Autonomiegebiet des Nordirak geht einher mit der Ausdrucksweise Erdogans selbst. Faktische und ideologische Proportionen dieser Invasion sucht man vergebens.

Seit einer Woche bombardiert der (Noch-)NATO-Partner Türkei das kurdische Autonomiegebiet im Nordirak. Man möchte meinen, dies würde zumindest ein paar Sorgenfalten ins Gesicht der Regierungsverantwortlichen graben. Wer jedoch auf ein Statement oder gar eine Verurteilung der türkischen Annexion von immer mehr Gebieten außerhalb der eingenen Landesgrenzen gewartet hat, wurde enttäuscht. Auch die Reaktionen der deutschen Medienwelt sind bestenfalls verhalten. Wenn dann doch berichtet wird, geraten sie zur Spiegelung türkischer Propaganda – man kennt dies, aber trotzdem beweist die Berichterstattung zum Thema „Türkei“ in diesen Tagen, dass es immer noch ein bisschen abstoßender geht.

Die Schlagzeilen werden zunächst beherrscht von der Sorge um deutsche Touristen. Alles rankt sich um die Frage: Wird trotz Pandemie ein Billigurlaub in Antalya möglich sein? Während sich die türkische Tourismusindustrie aufrüstet mit Zertifikaten (ausgestellt übrigens vom deutschen TÜV-Süd), steigen die Infektionszahlen – selbst jene, die öffentlich zugänglich sind. Dennoch sind sich deutsche Korrespondent*innen einig, dass Urlaub mit Abstandsregeln durchaus möglich ist. Man will ja den „gastfreundlichen Menschen in der Türkei“ nur helfen, die schließlich auf Devisen angewiesen sind. Dass damit die Kriegskasse des Herrn Erdogan gefüllt wird, der gerade seine Nachbarn bombardiert, muss keinen Urlauber interessieren.

Karin Senz vom ARD-Studio Istanbul wirbt für einen „exklusiven Urlaub - mit Maske“ mit freier Liegenauswahl am Pool und zitiert einen Urlauber „Man kommt sich vor, wie in einem Film, weil man quasi alles für sich alleine hat.“ Falls es doch zu Infektionen mit Covid-19 kommen sollte, soll die neue Krankenversicherung von Tourismusminister Mehmet Ersoy beruhigen, die – natürlich nur – den Touristen angeboten wird.

Mit dem Beitrag von ARD-Kollegin Marion Sendker findet es die „Tagesschau“ doch noch richtig, auf die jüngste Luft- und Bodeninvasion der türkischen Armee einzugehen und versucht zu erklären, „Warum Ankara gerade jetzt die PKK bekämpft“. Allein dieser Titel steckt voller Implikationen. Die als „Militäroperation“ beschriebene Aggression im Nordirak gelte „der als Terrororganisation gelisteten kurdischen PKK“. Damit wird gleich im ersten Abschnitt das gewünschte Framing hergestellt. Zur nachgeschobenen Rechtfertigung zitiert man A-Haber mit der bekannten AKP-Propaganda: „Die Türkei verteidigt … im Irak ihre nationale Sicherheit“. Also scheint das Bombardement irgendwie schon richtig zu sein.

Dass die Bomben auf das unter dem Schutz der Vereinten Nationen (UN) stehende Flüchtlingslager Mexmûr, das ezidische Siedlungsgebiet in Şengal und die Medya-Verteidigungsgebiete fielen, dass damit das einzige Krankenhaus getroffen und zerstört wurde, dass der türkische Staat immer mehr Gebiete seiner Nachbarländer annektiert, das sind Details, die dem Leser deutscher Nachrichten besser erspart bleiben sollen. Unerwähnt bleibt der türkische Luftangriff Ende Mai, bei dem das PKK-Zentralratsmitglied Kasim Engin in der autonomen Region Südkurdistan getötet wurde. Kein Thema sind die seit Jahren stattfindenden grenzüberschreitenden militärischen und geheimdienstlichen Operationen und die sukzessive Besatzung mit Duldung der vom Barzanî-Clan beherrschten Autonomieregierung.

Stattdessen zitiert man Kristian Brakel von der Heinrich-Böll-Stiftung, der spekuliert, dass die jüngsten innerkurdischen Friedensverhandlungen dem türkischen Staat nicht passen. Soll dies etwa als Rechtfertigung der Angriffe dienen? Auch versäumt es Brakel nicht, gleich noch die türkische Sichtweise von der „PYD beziehungsweise YPG als PKK-Ableger“ anzuführen. Mit einem Schwenk auf die türkische Innenpolitik und die Rolle der Demokratischen Partei der Völker (HDP), die er als „kurdisch-stämmig“ beschreibt, greift er auch hier die türkischen Agitation auf. „(...) die HDP [wird] sich positionieren und zumindest andeuten müssen, auf welcher Seite sie steht: auf der der PKK oder des türkischen Staates. Insider berichten, dass die PKK in der Partei maßgeblich das Sagen habe.“ Auf welche Insider-Quellen Brakel sich beruft, bleibt selbstverständlich unerwähnt. Kein Wort zum Mandatsklau von HDP-Abgeordneten und die Einsetzung von Zwangsverwaltungen in 45 Städten und Bezirken anstelle der gewählten Volksvertreter*innen, kein Wort zur Polizeigewalt gegen den „Demokratiemarsch" der HDP.

Dafür lässt man am Ende des Beitrags noch Verteidigungsminister Hulusi Akar zu Wort kommen, der mit den völkerrechtswidrigen Angriffen ein „goldenes Kapitel“ herbei fantasiert. Und allen Ernstes wird die steile These in den Raum gestellt, die PKK gerate zum „beliebten Staatsfeind“, weil sie sich instrumentalisieren lasse, „um zu zeigen, wie stark der Staatsapparat ist.“ In mehr als 40 Jahren ist es dem türkischen Staat nicht gelungen, die PKK zu besiegen. Dies deutet also nicht unbedingt auf Stärke hin. Vielleicht kann die PKK deshalb nicht besiegt werden, weil sich der monolithische Block des „Türkentums“ in der Erdogan‘schen Ausprägung nur durch Staatsterrorismus behaupten kann und der Wunsch in der Bevölkerung nach einer freien, demokratischen Gesellschaft mit ethnischer Vielfalt groß ist und weiter wächst?

Beim Konsumieren der ARD-Meldungen zum Thema Türkei fragt man sich, wo das journalistische Gebot zur Quelle aus erster Hand geblieben ist. Sowohl die HDP als auch die PKK sind in der Lage, für sich selbst zu sprechen. Auch ARD-Korrespondenten dürfte es nicht schwer fallen, geeignete Interviewpartner zu finden. Eine derartige, nur der türkischen Propaganda dienende Berichterstattung mutet an, als werde zur ökologischen Mobilitätswende der VW-Konzern befragt, garniert mit einem Statement des ADAC. Der Redaktion der ARD sei empfohlen, die Berichte ihrer unter dem Druck des türkischen Regimes arbeitenden Auslandskorrespondenten in Istanbul zumindest zu ergänzen mit Quellen, die sich nicht nur auf türkische Propaganda stützen – zum Beispiel Civaka Azad, das Kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V. mit Sitz in Berlin, das als Anlaufstelle auch Interviewpartner organisiert und regelmäßig Dossiers und Pressemitteilungen veröffentlicht.