Elif Ronahî: Selbst wenn nur ein Mensch übrig bleibt

Selbst wenn nur ein Mensch in den Bergen übrig bleibt, wird der Kampf nicht enden und die PKK weiter bestehen. Hinter dem Widerstand der Guerilla steht eine große gedankliche Kraft. Der Kampf beruht auf Überzeugung und dem Glauben an die Freiheit.

Elif Ronahî, Mitglied im Präsidialrat der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans), hat sich im TV-Sender Medya Haber zu aktuellen Themen geäußert und ist dabei unter anderem auf den Widerstand der Guerilla gegen die türkische Invasion in Südkurdistan eingegangen. Ronahî erinnerte daran, dass der türkische Staat seit Jahren das baldige Ende der PKK ankündigt: „Manchmal ist es ein Monat, manchmal sechs Monate. 2017 wurde gesagt, dass die PKK innerhalb eines Jahres zerschlagen sein wird. Wenn sie sich die letzten fünfzig Jahre ansehen würden, könnten sie sehen, mit welch einer Niederlage sie konfrontiert sind. Vor einigen Tagen wurde erklärt, dass der türkische Staat in dem gegen uns geführten Krieg drei Trillionen Dollar ausgegeben hat. Hätte er dieses Geld statt in den Krieg in eine Lösung investiert, wäre die Türkei heute eine wichtige Macht im Mittleren Osten. Alles wäre anders für die Türkei, wenn die kurdische Frage auf demokratischem Wege gelöst worden und Rêber Apo [Abdullah Öcalan] nicht isoliert wäre. Es wäre im positiven Sinne anders.“

Trotz NATO-Unterstützung: Der türkische Plan ist gescheitert

Zum Kampf der Guerilla in den letzten zwei Jahren in Südkurdistan erklärte Elif Ronahî: „Anfang 2020 hat die Guerillaoffensive Cenga Heftanînê begonnen. Der Feind konnte seinen Vernichtungsplan in Heftanîn nicht umsetzen. Der dortige Widerstand war großartig und stellte einen Höhepunkt dar. Im Februar 2021 wollte der Feind Gare angreifen. Dort hat er einen schweren Schlag kassiert und musste seine Niederlage eingestehen. Nach diesem Misserfolg hat er im April in den Regionen Zap, Metîna und Avaşîn eine umfassende Operation gestartet, die auf die gesamten Medya-Verteidigungsgebiete ausgerichtet ist. Dagegen wurden die revolutionären Offensiven Cenga Xabûrê und Bazên Zagrosê eingeleitet. Dieser Widerstand dauert inzwischen seit über sechs Monaten an. Der Plan des Feindes sah vor, die gesamte Gegend hier innerhalb von zwei bis drei Monaten zu erobern und die Guerilla komplett zu vernichten. Das ist ihm nicht gelungen, obwohl er jede Form der Unterstützung von der NATO hat. Als er das gemerkt hat, hat er die PDK eingeschaltet, damit diese die Guerillagebiete von der anderen Seite aus belagert.

Ein Höhepunkt in der revolutionären Geschichte“

Dass die Guerilla einen derartig opferbereiten Widerstand leistet, liegt an der gedanklichen Kraft, die dahinter steht. Wenn es diese Kraft der Gedanken nicht gäbe, wäre ein Widerstand in diesem Ausmaß angesichts der Waffentechnologie des Feindes und Hunderten Chemiewaffeneinsätzen nicht möglich. Der Widerstand beruht auf geistiger Stärke. Jede einzelne Kämpferin und jeder einzelne Kämpfer stellt ein Monument dar. Man kann nicht alle einzeln beschreiben, aber ihr Widerstand könnte Bücher füllen. Es handelt sich um einen der niederträchtigsten und ehrlosesten Angriffe in der Geschichte unseres Kampfes und auch hinsichtlich der revolutionären Bewegungen weltweit. Der Widerstand dagegen stellt einen einmaligen Höhepunkt dar. Ich spreche nicht nur vom 21. Jahrhundert, sondern von einem Höhepunkt in der revolutionären Geschichte insgesamt. Deshalb ist dieser Widerstand so wichtig und bedeutungsvoll.

Der dahinter stehende große Gedanke soll vernichtet werden“

Den Feind macht es wütend, dass er nicht innerhalb der gewünschten Zeit erreicht hat, was er sich vorgenommen hatte. Einhergehend mit dieser Wut erlebt der türkische Staat auch im Inland einen Zerfall. Er setzt seine gesamte Existenz ein, um die sich befreienden Kurdinnen und Kurden und den dahinter stehenden großen Gedanken zu vernichten. Das ist ihm bisher nicht gelungen und das wird es auch in Zukunft nicht, obwohl die Kollaborateure der PDK und die gesamte Macht der NATO hinter ihm stehen.

Die Türkei wird dem Machterhalt der Regierung geopfert“

Auf dem letzten NATO-Gipfel ist in Zweiergesprächen die Genehmigung für Chemiewaffeneinsätze gegen die Guerilla eingeholt worden. Die Mächte, die dem zugestimmt haben, werden eines Tages auch gegen den türkischen Staat ganz andere Methoden anwenden. Sie erleben im Mittleren Osten Schritt für Schritt Niederlagen und erreichen nicht das, was sie sich vorgenommen haben. Das gilt auch für den Kampf gegen die PKK. Was in den vergangenen fünfzig Jahren nicht gelungen ist, wird auch künftig nicht funktionieren. Das wissen auch die PDK und der türkische Staat. Für die aktuelle MHP/AKP-Regierung ist der letzte Trumpf für den eigenen Machterhalt der Krieg gegen die ständig Widerstand leistenden Kurdinnen und Kurden gewesen. Dieser Trumpf ist verbraucht. Was der türkische Staat jetzt tun muss, ist erstens das Eingeständnis seiner Niederlage gegen uns und zweitens die Erarbeitung einer Lösung. Er hat die Kampfkraft dieser Bewegung und der Guerilla gesehen und kann sich nicht den Luxus leisten, die Türkei dem eigenen Machterhalt zu opfern. Das ist auch der Opposition und der Bevölkerung bewusst. Der Staat verheimlicht Hunderte Soldaten, die in diesem Krieg ums Leben kommen. Die Türkei befindet sich im rasanten Abwärtstrend und der Staat muss eine Niederlage endlich eingestehen. Eine andere Lösung gibt es nicht.

Die Guerilla kämpft aus Überzeugung“

Selbst wenn nur ein Mensch von uns in diesen Bergen übrig bleibt, wird der Kampf nicht enden und die PKK weiter bestehen. Das weiß der türkische Staat genau. Wenn eine von uns fällt, nehmen Dutzende ihren Platz ein. Dem türkischen Staat ist es nicht gelungen, zu gewünschter Zeit die gewünschten Gebiete zu erobern. Die PDK hat ihr Ansehen innerhalb des kurdischen Volkes verloren. Sie sollte sich darum kümmern, wie sie ihre Ehre zurückgewinnen kann. Hinter dem Widerstand der Guerilla steht eine große gedankliche Kraft. Der Kampf beruht auf Überzeugung und dem Glauben an die Freiheit und das Volk. Die Überzeugung, dass dieses Volk befreit werden und ein würdevolles Leben führen kann, lässt die Guerilla einen derartig opferbereiten Kampf führen. Ich verneige mich voller Respekt vor den in diesem Widerstand gefallenen Genossinnen und Genossen.“