Faris Herbo, Verantwortlicher für auswärtige Angelegenheiten der Autonomieverwaltung von Şengal, hat sich gegenüber ANF zu den jüngsten Entwicklungen in dem ezidischen Hauptsiedlungsgebiet in Südkurdistan geäußert.
Herbo verweist auf die Pläne der irakischen Regierung zur Autonomieverwaltung und der ezidischen Gesellschaft und sagt: „Die Leitung des Irak will die Krise in Şengal nicht über einen Dialog lösen. Die kurdische und die internationale Öffentlichkeit müssen dringend intervenieren.“
Zu den Newrozfeiern erklärt Faris Herbo, die Autonomieverwaltung wünsche sich, dass Newroz in diesem Jahr Anlass für Frieden, Zusammenleben und Ruhe werde. In den vergangenen Jahren sei das Neujahrsfest in Şengal mit großer Begeisterung gefeiert worden: „Leider beginnt Newroz in diesem Jahr in bedrückter Stimmung, weil die irakische Regierung uns Hindernisse in den Weg legt. Die irakische Armee hat die Hauptstraßen abgeriegelt, daher können wir Newroz nicht mit dem üblichen Enthusiasmus feiern.“
Herbo erinnert an die Entwicklungen seit Inkrafttreten des im Oktober vergangenen Jahres zwischen der PDK und der irakischen Regierung unter Premierminister Mustafa al-Kadhimi geschlossenen Abkommens zu Şengal und erklärt: „Vor diesem Abkommen hat die Bevölkerung in Şengal in Ruhe und Sicherheit gelebt. Vor allem im März und April ist unser Volk nach Şengal geströmt und hat der Region Lebendigkeit verliehen.“
„Seit dem Abkommen ist die Ruhe in Şengal gestört“
Nach der Unterzeichnung des Şengal-Abkommens habe sich die Lage verändert, sagt Faris Herbo. Die ruhige Atmosphäre in Şengal sei gestört worden: „Mit dem am 9. Oktober 2020 zwischen der irakischen Zentralregierung und der südkurdischen Regionalregierung geschlossenen Abkommen sollte unsere Leitung zerrissen werden. In Şengal besteht inzwischen ein ernstes Sicherheitsproblem. Dabei wurde das Abkommen als Initiative für eine Verbesserung der Lage in Şengal und eine Lösung der bestehenden Probleme lanciert. Wenn das tatsächlich der Zweck gewesen wäre, hätte eine solches Abkommen in erster Linie mit uns getroffen werden müssen.“
Herbo verweist auf die Sicherheitskräfte, die zur Autonomieverwaltung gehören, und erklärt: „Es gab in Şengal kein Problem hinsichtlich der Sicherheit, aber seit das Abkommen getroffen wurde, bestehen ernste Probleme. Das Abkommen ist im Grunde genommen der Plan, das Geschehen von 2014 in anderer Form umzusetzen.“
In den letzten fünf Monaten haben zahlreiche Gespräche zwischen der Autonomieverwaltung und ausländischen Botschaftern sowie verschiedenen politischen Kreisen stattgefunden, sagt Herbo: „Alle Kreise, mit denen wir geredet haben, haben sich gegen das Abkommen geäußert und erklärt, dass sie die Forderungen des ezidischen Volkes unterstützen. Und unser Volk ist seit der Unterzeichnung des Abkommens bis heute im Widerstand und fordert mit demokratischen Aktionen und friedlichen Methoden, dass sein Willen anerkannt und seine Forderungen akzeptiert werden.“
„Militäroperationen können keine Lösung bewirken“
Laut Herbo hat sich die Autonomieverwaltung bei den Gesprächen mit der irakischen Regierung und anderen Kreisen immer dafür ausgesprochen, die Probleme in Şengal über einen Dialog zu lösen. „Das wiederholen wir: Wir sind für einen Dialog. Die Probleme in Şengal lassen sich nicht mit Militäroperationen lösen. Wir haben der irakischen Regierung mitgeteilt, dass das Projekt, an dem wir arbeiten, der Verfassung des Irak entspricht und in keiner Weise illegal ist. Laut der irakischen Verfassung hat jede Gemeinschaft das Recht, sich zu organisieren und zu verteidigen. Wir haben ein Projekt entsprechend der Gesetzgebung erarbeitet und der irakischen Regierung vorgelegt. Es sieht jedoch danach aus, dass der Irak nicht beabsichtigt, die Probleme über einen Dialog und einen Meinungsaustausch zu lösen.“
Die Absicht des Irak
Die Absicht der irakischen Führung beschreibt Herbo wie folgt: „Der Irak will uns sagen: ,Ihr habt Widerstand geleistet und Şengal verteidigt, vielen Dank für alles, inzwischen sind wir hier und ihr habt ab sofort keine Funktion mehr.' Er missachtet die Errungenschaften unseres Volkes und unsere Gefallenen. Auf diese Weise ist es sehr schwer, die Probleme zu lösen.“
Bei den bisherigen Gesprächen sei ein gewissen Niveau erreicht worden, sagt Herbo. Es habe eine wichtige Arbeit stattgefunden. Zu den Entwicklungen seit dem 7. März sagt er: „Seit dem 7. März ist an einigen Stellen die Anzahl der Militärposten erhöht und der Druck auf die Bevölkerung von Şengal verstärkt worden. Wir haben Kontakt mit den militärischen Verantwortlichen sowohl in Şengal als auch im Osten von Mosul aufgenommen und bis zum 13. März viele Gespräche geführt. Die Zuständigen haben jedoch die Einschüchterung unseres Volkes mit Methoden wie Bedrohung, Ermordung und Gewaltanwendung auf die Agenda gebracht.“
„Mit uns haben nur militärische Verantwortliche gesprochen“
Nach dem Widerstand, den die Bevölkerung von Şengal angesichts der Drohungen und Erpressung geleistet habe, hat eine Reihe von Gesprächen mit hochrangigen irakischen Militärs stattgefunden, teilt Herbo weiter mit. „Auffällig war dabei, dass alle unsere Gesprächspartner vom Militär waren und kein politischer Vertreter in der irakischen Abordnung war. Ohnehin hat sich herausgestellt, dass nicht die geringste Absicht besteht, die Probleme über einen Dialog zu lösen. Wäre es wirklich um eine Lösung gegangen, wären zumindest einige politische Vertreter dabei gewesen und hätten die Krise, in der wir stecken, und unsere Forderungen an den Premierminister weitergeleitet.“
Nicht einmal eine Woche nach dem Gespräch mit der irakischen Seite habe die irakische Armee weitere Truppen in die Region verlegt, so Faris Herbo: „Jeden Tag werden in Şengal weitere Straßen abgesperrt, das beunruhigt die Bevölkerung von Şengal noch mehr. Es sieht so aus, dass der Irak nicht beabsichtigt, unsere Existenz, unsere legitimen Rechte und unsere Forderungen anzuerkennen. Es mag sein, dass das, was einige Kräfte der unter der Kontrolle von al-Kadhimi stehenden Armee in Şengal tun, nicht der allgemeinen Politik der irakischen Regierung entspricht.“
„Es muss dringend Druck auf al-Kadhimi ausgeübt werden“
Bestimmte Kreise würden aus Eigeninteressen den Druck auf Şengal derartig erhöhen, erklärt der Verantwortliche für auswärtige Angelegenheiten der Autonomieverwaltung von Şengal. „Unser Volk wird den Druck und die Pläne für Şengal nicht hinnehmen“, so Faris Herbo. Dem kurdischen Volk und seinen Freundinnen und Freunden, der kurdischen Öffentlichkeit und den internationalen Einrichtungen teilt er mit: „Wir wollen nicht, dass sich die Krise in Şengal verschärft. Wir erklären, dass sich die Probleme nicht mit militärischen Mitteln lösen lassen.“
Die Kräfte von Mustafa al-Kadhimi stellten für Şengal eine ernste Bedrohung dar und übten Druck aus, so Herbo, der seine Ausführungen mit einem Appell beendet: „Wir möchten unser gesamtes Volk und alle demokratischen Kreise hinsichtlich der Gefahr für Şengal warnen. Damit die Drohungen gegen Şengal eingestellt werden, muss dringend Druck auf al-Kadhimi ausgeübt werden. Krieg würde dem Irak und der Region keinen Vorteil bringen.“