Bilmez: Abdullah Öcalan galt als Gefahr

Die kompromisslose Haltung von Abdullah Öcalan hat das für die Neugestaltung des Nahen Ostens vorgesehene System scheitern lassen. „Im Grunde genommen ist auch seine Isolation gescheitert“, sagt sein Rechtsanwalt Ibrahim Bilmez.

Vor 25 Jahren musste der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan Syrien auf internationalen Druck verlassen. Das internationale Komplott gegen den Anführer der kurdischen Befreiungsbewegung mündete in seine Verschleppung in die Türkei am 15. Februar 1999. Ibrahim Bilmez, einer von Abdullah Öcalans Anwälten, schildert im ANF-Gespräch die damaligen Entwicklungen und erläutert die Interessenpolitik der involvierten Staaten.

Bilmez sagt, dass es verschiedene Gründe gab, warum die Türkei von Anfang an bei ihren Kriegsdrohungen gegen Syrien von Hegemonialmächten und regionalen Kräften unterstützt wurde. Das Paradigma von Abdullah Öcalan habe das Potenzial gehabt, Probleme mit friedlichen Mitteln zu lösen. Das sei nicht im Interesse der Regional- und Hegemonialmächte gewesen, so der Rechtsanwalt:

„Abdullah Öcalan und die PKK stellten eine Gefahr für sie dar und mussten liquidiert werden. Das ist der Grund, warum der Prozess, der zu Öcalans erzwungener Ausreise am 9. Oktober 1998 führte, begann. Und die Bedingungen für diesen Zeitraum wurden entsprechend vorbereitet. Diese Länder haben bei der Entfernung von Abdullah Öcalan aus Syrien zusammengearbeitet. Die NATO und die USA hatten eine große Seestreitmacht in das östliche Mittelmeer verlegt. Die Türkei hatte an der syrischen Grenze militärisch aufgerüstet. Auf der anderen Seite gab es Bemühungen Israels. Wir können es wie folgt zusammenfassen: Alle diese Kräfte waren vereint und versuchten, Abdullah Öcalan zu liquidieren, den sie als gefährlich für sich selbst ansahen."

Europäische Zivilisation“

Bilmez betont, dass Abdullah Öcalan eine friedliche Lösung für die kurdische Frage vorgeschlagen hat: „Auf der anderen Seite gab es Kräfte, die bis heute in allen Errungenschaften der Kurdinnen und Kurden eine Gefahr sehen. Vor allem die Position der Türkei ist so. Es gab regionale Mächte, die den Krieg fortsetzen und das Problem mit Gewalt lösen wollten. Als Ergebnis dieser Zusammenarbeit verließ Abdullah Öcalan am 9. Oktober aus Loyalität Syrien und ging nach Europa.“

Weshalb Öcalan sich für Europa als neuen Wirkungsort entschieden habe, sei von ihm deutlich erklärt worden, sagt Bilmez und zitiert seinen Mandanten: „Der Grund, warum ich nach Europa gegangen bin, war, Bedingungen für eine demokratische und friedliche Lösung der kurdischen Frage zu schaffen. Damals dachte ich, dass die ,europäische Zivilisation' ein besserer Ort sein könnte, um zivilisierte Lösungen für gesellschaftliche und politische Probleme anzubieten."

Damit habe Öcalan auch erklärt, warum er auf die Option verzichtete, ins Zagros-Gebirge zu gehen, „wovon er seit Jahren geträumt hat“, so Ibrahim Bilmez: „Er ging damit einen persönlichen Kompromiss ein, aber er handelte verantwortungsbewusst und wählte den Weg nach Europa, um zu zeigen, wie ernst es ihm mit einer friedlichen Lösung der Angelegenheit war. Er bemühte sich, das Problem mit diplomatischen Mitteln zu lösen. Das tat er während des gesamten Prozesses in allen Ländern, die er besuchte. Bei den Gesprächen in Athen, Moskau und Rom und gegenüber den Vertretern und Delegationen, die im Namen der Staaten dorthin reisten, rief er immer wieder dazu auf. Er sagte, er sei bereit, das Problem zu lösen. Aber interessanterweise und leider, obwohl Abdullah Öcalan diese Aufrufe machte und die PKK einen Waffenstillstand erklärte, wurden seine Friedensbemühungen von den europäischen Staaten und den USA nicht erwidert, im Gegenteil, die PKK wurde auf die ,Terrorliste' gesetzt. All diese Bemühungen waren vergeblich. Das zeigt sehr deutlich, wie schlecht die Absichten der Hegemonialmächte, der Mächte, die in diesem Komplott eine Rolle spielten, waren.

Am Ende dieses ganzen Prozesses wurde Abdullah Öcalan in Europa, der vermeintlichen Wiege der Zivilisation und der Menschenrechte, kein Asyl gewährt. Er beantragte Asyl in Athen, Moskau und Rom, aber dieses Recht, das Hunderttausenden Kurdinnen und Kurden gewährt wird, wurde Abdullah Öcalan, den Hunderttausende Menschen als ihren Repräsentanten bezeichnen, nicht gegeben. Das zeigt sehr deutlich das Ziel des Komplotts, nämlich dass die kurdische Frage nicht gelöst wird und weitergeht. Der Konflikt soll sowohl die Türkei als auch die Regionalstaaten und andere Länder mit kurdischer Bevölkerung schwächen und sie von den Hegemonialmächten abhängig machen. Deswegen wird eine politische Lösung, eine demokratische und friedliche Lösung, verhindert. Das war das Ziel dieses Prozesses.

Hätte man in diesem Prozess auf das Leben von Abdullah Öcalan gezielt, wäre der Weg für einen größeren Konflikt geebnet worden. Ein langer, jahrelanger kurdisch-türkischer Konflikt hätte angestrebt werden können. Aber Abdullah Öcalan, der all dies sah, verhinderte und vereitelte es. Er vereitelte diese Bemühungen durch seine Haltung und sein aufrichtiges Beharren auf Frieden. Schließlich wurde er am 15. Februar 1999 in die Türkei und in das Gefängnis auf der Insel Imrali gebracht. Aber damit war nichts wirklich zu Ende. Der Prozess begann von neuem. Auch auf Imrali ist Abdullah Öcalan nie von seiner friedlichen Linie abgerückt. Er hat mit seiner Haltung einen kurdisch-türkischen Krieg verhindert."

Schmutzige Deals auf internationaler Ebene

Bilmez sagt, dass vor und nach dem 9. Oktober 1998 viele schmutzige Abmachungen auf internationaler Ebene getroffen wurden: „Wir haben gesehen, dass sowohl die USA als auch Russland, Deutschland, andere europäische Länder und Israel involviert waren. In der Zeit, in der Abdullah Öcalan in Moskau war, erhöhten die USA den diplomatischen und wirtschaftlichen Druck auf Russland. Sie setzen die Wirtschaft sozusagen als Waffe ein. Russland ging es wirtschaftlich zu dieser Zeit schlecht. In den Verhandlungen zwischen den USA, Russland und der Türkei wurde offiziell eine Abmachung getroffen. Die USA erklärten sich bereit, die Hähne des IWF unter der Bedingung zu öffnen, dass Abdullah Öcalan aus Russland herausgeholt wird. Damals hieß es, man werde einen Kredit von acht Milliarden Dollar gewähren. Außerdem machte die Türkei Russland Zusagen im Zusammenhang mit dem Projekt Blue Stream [Pipeline für den Transport von russischem Erdgas durch das Schwarze Meer in die Türkei]. Es wurden 800 Millionen Dollar an Hilfe versprochen.

Obwohl beispielsweise der untere Flügel des russischen Parlaments Duma, der Teil des Parlaments, in dem wichtige Entscheidungen getroffen werden, Abdullah Öcalan mit 298 gegen 1 Stimme politisches Asyl gewährte, überwogen letztendlich diese wirtschaftlichen Interessen und Verhandlungen. Abdullah Öcalan wurde gezwungen, Russland zu verlassen. Während dieser Zeit haben die USA einerseits den Anschein erweckt, der Türkei zu helfen, indem sie sich für die Auslieferung von Abdullah Öcalan an die Türkei einsetzten und sowohl in Athen als auch in Russland und später in Rom Druck ausübten. Andererseits haben sie dafür gesorgt, dass die kurdische Frage ungelöst blieb, und im Gegenzug für diese Hilfen Forderungen an die Türkei gestellt. Zum Beispiel gab es damals verschiedene militärische Forderungen an die Türkei, einschließlich Bodentruppen, für den Sturz von Saddam Hussein. Es gab viele derartige Verhandlungen.

Leider wollten weder die Türkei noch die internationalen Mächte damals daran denken oder in Betracht ziehen, dass eine demokratische Lösung der kurdischen Frage für alle von Vorteil wäre. Als Abdullah Öcalan in Rom war, verhängte die Türkei ein großes Embargo gegen Italien. Damals waren die USA, Deutschland und Italien die drei wichtigsten Handelspartner der Türkei. Nach einiger Zeit musste Italien diesem wirtschaftlichen Druck nachgeben. Der Druck der Türkei, Deutschlands und der USA führte dazu, dass sich alle Türen schlossen. Für Deutschland wiederum ist die Türkei ein großer Waffenmarkt. Daher ist es im Interesse dieser Länder, den Krieg fortsetzen.

An dem Punkt, an dem wir heute, 25 Jahre nach diesen Ereignissen, angelangt sind, lässt sich Folgendes sagen: Das Komplott, das damals stattgefunden hat, setzt sich mit der Isolation von Abdullah Öcalan auf Imrali fort. Darauf zielte bereits das System ab, das am 15. Februar 1999 auf Imrali eingerichtet wurde. Die kompromisslose Haltung von Abdullah Öcalan zugunsten des Friedens und sein Beharren auf einer demokratischen Lösung haben dieses System jedoch scheitern lassen. Im Grunde genommen ist auch seine Isolation gescheitert.“