Die AKP-Regierung nutzte den Putschversuch vom 15. Juli 2016 als Vorwand, um den Ausnahmezustand auszurufen. In diesem Rahmen stieg die Zahl der Menschenrechtsverletzungen deutlich an und insbesondere inhaftierte Personen wurden gefoltert. Eine der Provinzen mit den meisten Fällen von Folter ist die nordkurdische Provinz Riha (Urfa). Dort wurden Tausende inhaftiert, von denen Hunderte Foltervorwürfe vorbrachten.
Die Anwälte der Betroffenen berichten, dass es bisher keinerlei Erfolg mit den Klagen wegen der durchgeführten Folter gab. In der Region gäbe es eine Struktur, die über der Justiz stehe. In Folge der Bombenanschläge vom 10. und 17. Dezember 2016 in Istanbul, Beşiktaş und Kayseri, zu denen sich die TAK (Teyrêbazên Azadîya Kurdistan - Freiheitsfalken Kurdistans) bekannt hatten, ergaben Ermittlungen, dass die mit Sprengstoff beladenen Fahrzeuge aus Riha gekommen seien. Quellen aus dem Sicherheitsapparat berichten, dass daraufhin bei der Polizeidirektion von Riha geheime Ermittlungen auf Anordnung des Innenministeriums durchgeführt wurden und dass es in diesem Zusammenhang zu einigen Veränderungen in der Direktion gekommen sei.
Ein 40-köpfiges Team mit Spezialausbildung wurde entsandt
Nach dem Bericht eines zu dieser Zeit in Riha aktiven Antiterrorpolizisten wurden vom Innenministerium Vorwürfe gegen die Polizeidirektion in Riha erhoben, sie habe qualitativ nicht ausreichend gut gearbeitet. Daraufhin wurde ein 40-köpfiges Team zusammen mit vier Staatsanwälten in die Region entsandt. Dieses Team soll im Geheimen agiert haben und anstelle von Klarnamen Codenamen benutzt haben. Der Polizist fährt in seinem Bericht fort: „In der Polizeidirektion von Urfa hat sich eine Parallelstruktur gebildet. Keiner aus dem 40-köpfige Team kam aus irgendeiner Einheit der Polizei. Es waren keine Polizisten oder Soldaten. Das Team war ausschließlich für Spezialaufgaben ausgebildet.“
Die Personen hätten alle vorher in den kurdischen Städten gearbeitet und Kontraaktivitäten durchgeführt und seien in die Söldnerfirma International Defense Consulting (SADAT) des Hauptverantwortlichen für Erdoğans Sicherheit, Adnan Tanrıverdi, eingebunden.
Das Team sei weniger in den ländlichen Regionen oder den Dörfern stationiert, sondern in den Städten, wo seine Mitglieder oft in den bewachten Siedlungen der Polizei untergebracht seien. So zum Beispiel in den Villas am TOKI-Weg im Maşuk-Viertel im Kreis Karaköprü, in den TOKI-Wohnungen neben dem Evren-Industriegebiet und den Wohnungen der Polizeidirektion.
„Niemand hat die Befugnis, gegen dieses Team zu intervenieren“
Der Polizist hebt hervor, dass diese Struktur direkt ans Präsidialamt und ans Innenministerium angebunden agiert: „Diese Struktur steht in direkter Verbindung zum Präsidialamt und zum Innenministerium. Sie agieren in klar abgegrenzten Gruppen. Sie haben sich in Arbeitsbereiche in Bezug auf Anhänger von Fethullah Gülen und PKK-Anhänger aufgeteilt. In ihren Arbeitsbereichen sind sie keinerlei Rechenschaft pflichtig. Sie haben die Befugnis, jegliche Willkürbehandlung, jegliche Foltermethode und ähnliche Verhörtechnik anzuwenden. Die Polizeidirektion hat keine Befugnis, sich in die Aktivitäten dieses Teams einzumischen. Sie arbeiten allen Polizeieinheiten übergeordnet. Diese Struktur ist eine Version von JITEM, aber ob sie einen Namen hat, ist unbekannt.“
Verbindungen des Teams in die Justiz
Der 40-köpfigen Gruppe sind nach Angaben des Polizisten vier Staatsanwälte beigeordnet, der Polizist kann die Namen von dreien der Staatsanwälte im Sonderauftrag, Ruşen Güneş, Fatih Çakır und Selman Eskiler, nennen. „Diese Staatsanwälte beschäftigen sich nicht mit Routineermittlungen. Sie intervenieren nur bei Akten im organisierten Kontext und bei kritischen Namen und beschäftigen sich mit der juristischen Dimension im Rahmen der Arbeit des entsandten Sonderteams.“
„Sie haben Dutzende gefoltert“
Nach Angaben des Polizisten befand sich innerhalb des Teams eine 15-köpfige Gruppe, die mit der Folter bei Verhören beauftragt seien. Dieses Team kenne jede Foltermethode und habe Dutzende Personen, unter ihnen Führungspersonen und Mitglieder der HDP gefoltert, um Aussagen zu erpressen.
„Sie haben während des Ausnahmezustands die Festnahme von Hunderten verursacht“, erklärt er und fährt fort: „Sie haben in den Landkreisen Viranşehir, Suruç, Halfeti, Bozova, Siverek und Hilvan in der Provinz Urfa Dutzende junge HDP-Mitglieder und Führungspersönlichkeiten tagelang gefoltert, um sie dazu zu bringen, Aussagen zu machen. Diese unter Folter entstandenen Aussagen werden dann von den Staatsanwälten als Anzeige akzeptiert. Dutzende Mitglieder der HDP wurden festgenommen. Die Mehrheit dieser Personen ist weiterhin inhaftiert.“