Söldnerfirma SADAT verübte Folter und extralegale Hinrichtungen

Wir sprechen mit einem Anwalt über die Verbrechen der Söldnerfirma des türkischen Staates SADAT A.Ş. in Riha. Er berichtet von Hunderten Fällen von Folter und Dutzenden extralegalen Hinrichtungen an Nordsyrer*innen.

Die Existenz eines 40-köpfiges Spezialteams des vom für die Sicherheit Erdoğans verantwortlichen ehemaligen General Adnan Tanrıverdi gegründeten Söldnerunternehmens SADAT A.Ş., wird von einem Anwalt bestätigt.

Der Anwalt, dessen Name aus Sicherheitsgründen nicht genannt wird, berichtet, dass das Team nicht nur mit Folter beauftragt sei, sondern auch die Aufgabe habe, die Opposition – und dabei insbesondere die kurdische – in der Region permanent zu observieren. Die Gruppe sei in drei Einheiten aufgeteilt, die erste Einheit besteht aus 15 Personen, deren Aufgabe es ist, die Liste der festzunehmenden und zu verhörenden Personen vorzubereiten. Die zweite Einheit besteht ebenfalls aus 15 Personen und ist insbesondere in den Landkreisen mit starken kurdischen politischen Strukturen wie Pîrsus (Suruç), Siwêreg (Siverek), Çîkan (Bozova), Wêranşar (Viranşehir), Serêkaniyê (Ceylanpınar), Xelfetî (Halfeti) und Curnê Reş (Hilvan) aktiv. Das dritte Team besteht aus zehn Personen. Dieses Team ist für die Anwerbung und Führung von Agenten innerhalb der kurdischen Jugend verantwortlich.

Die 15-köpfige Foltereinheit ist wiederum zweigeteilt. Das erste Team besteht aus acht Personen und ist für Verhör und Folter zuständig, während sich das siebenköpfige zweite Team mehr mit Festnahmeoperationen befasst und die Listen vorbereitete, wer festgenommen werden sollte.

Der Anwalt berichtet, dass diese Listen nicht an die Sicherheitsbehörden oder die Staatsanwaltschaft gingen, sondern direkt beim Innenministerium eingereicht würden. Im Falle einer Bestätigung durch das Innenministerium würde dann eine Festnahmeoperation eingeleitet. Die Teams arbeiteten sehr eng zusammen. Ein zweites Team im Feld übergibt demnach dem ersten Team die entsprechenden Festnahmelisten.

Die Verbindungen des Teams in die Politik

Nach Angaben des Anwalts ist dieses zweite Team ebenfalls zweigeteilt. Das erste Team aus fünf Personen ist aktiv im Zentrum von Riha und den Landkreisen Pîrsus, Serêkaniyê, Xelfetî und Wêranşar. Der Anwalt zählt die Verbindungen dieses Teams auf: „Mit ihnen stehen der Bürgermeister von Ceylanpınar, Menderes Atilla, der Bruder des Bürgermeisters, Mehmet Sait Atilla, und die Chefs der Dorfschützer in Verbindung. In Bozova sind es die Verantwortlichen des Staates und einige AKP-Mitglieder. In Suruç handelt es sich bei den Unterstützern des Teams um die Familien Yıldız und Şimşek, den AKP-Kreisverband und die AKP-Stadtratsmitglieder. In Wêranşar sind es Lokman Beyaz, der Transportaufgaben für Militär und Dorfschützer erledigt, der Stellvertreter des Treuhänders Halef Kete (ehemaliges MHP-Stadtratsmitglied, jetzt für die AKP im Stadtrat) und der AKP-Kreisverband. Die Aufgabe dieses Teams ist es, die politische kurdische Bewegung in der Region zu schwächen und Druck auf sie aufzubauen.“

Die Kontraaktivitäten des Teams

Die übrigen zehn Personen bilden das zweite Team. Dieses Team führt Kontraaktivitäten in der ländlichen Umgebung zwischen Pîrsus, Serêkaniyê, Kaniya Xezalan (Akçakale), Xelfetî und Çîkan durch. In den vergangenen zwei Jahren haben sie in den Dörfern in diesen Landkreisen Hunderte Agenten stationiert und alleine in Pîrsus ein bewaffnetes Team aus 300 Personen gebildet. Der Anwalt fuhr folgendermaßen fort: „In den vergangenen zwei Jahren wurden 300 Personen unter dem Label Dorfschützer in Pîrsus bewaffnet. Diese Bewaffneten sehen offiziell wie Dorfschützer aus, aber sie arbeiten in Wirklichkeit angebunden an das Team. In jedem Dorf gibt es einen oder zwei Agenten. In Dörfern, in denen es keine Agenten gibt, platzieren sie welche.“

Agententätigkeiten

Dieses zehnköpfige Team ist auch dafür zuständig, Agenten insbesondere innerhalb der kurdischen Jugend anzuwerben. Es ist in Siwêreg, Wêranşar, Serêkaniyê, Xelfetî, Kaniya Xezalan und Curnê Reş (Hilvan) aktiv. Der Anwalt sagt, dass dieses Team dort im Geheimen arbeitet, sich unter die kurdischen Jugendlichen zu mischen versuche und es insbesondere auf drogenabhängige Jugendliche abgesehen habe.

Sie verfolgen Jugendliche, die unter der Anschuldigung der Mitgliedschaft im Gefängnis gesessen haben und wieder freigekommen sind. Nach Angaben des Anwalts stehen diese Jugendlichen bei den Operationen ganz oben auf der Liste. Die Struktur habe mit Beginn ihrer Aufgabe gleich 297 Personen, vor allem Jugendliche in Riha, festgenommen.

Entführungen ohne juristisches Nachspiel

Diese Struktur ist in viele Entführungen in Riha verwickelt. Laut dem Anwalt sei aber nur ein Fall jemals vor Gericht gelandet. Am 26. März 2018 gegen 9.00 Uhr morgens wurde E.Ç., als er sein Haus verließ, von einem grauen und einem weißen Fahrzeug gestoppt und mit Gewalt in das graue Fahrzeug gebracht. Der Anwalt weiter: „Dies wird von seiner Ehefrau F.Ç. beobachtet. Sie sagt ihrem Schwiegervater Bescheid. F.Ç. geht zur Polizeidirektion und zeigt die Entführung ihres Mannes an. Von 9.00 Uhr morgens bis um 18.00 abends wendet sie sich an alle Abteilungen, die Antiterrorabteilung eingeschlossen, aber sie erhält keine Nachricht über den Verbleib ihres Mannes. Gegen 18.00 Uhr abends ruft sie eine als Antiterrorpolizist bekannte Person an und sagt, ihr Ehemann befinde sich in der Antiterrorabteilung in Haft.“

In den inzwischen vergangenen neun Stunden war E.Ç. an einem unbekannten Aufenthaltsort. Zunächst hatte die Antiterrorpolizei behauptet, er sei nicht bei ihnen, nach neun Stunden haben sie es dann eingeräumt. Der Anwalt berichtet über den Fortgang des Falls: „E.Ç. bleibt 30 Tage in Haft und wird schwer gefoltert. 15 Tage nach seiner Festnahme wird er der Staatsanwaltschaft vorgeführt. Als E.Ç. sagte, dass er gefoltert worden ist, wurde er wieder zurück zur Antiterrorpolizei geschickt. Daraufhin drohten ihm die Polizisten, die E.Ç. erneut folterten: ‚Wenn du sagst, du wurdest entführt und gefoltert, dann nehmen wir diesmal deine Familie und foltern sie zu Tode.‘ Nach dreißig Tagen machte er dann die von der Polizei gewünschte Aussage und wurde vom Gericht unter der Beschuldigung der Mitgliedschaft in einer [verbotenen] Organisation inhaftiert und ins Gefängnis gesteckt.“

In der Anklageschrift steht nichts von Entführung

Der Anwalt berichtet, dass in der Anklage von E.Ç. nichts von seiner Entführung gestanden habe. Dort heißt es, E.Ç. sei um 18.00 Uhr abends an seinem Arbeitsplatz festgenommen worden. Die Aussage von E.Ç. und die Anzeigeprotokolle der Familie gingen in die Gerichtsprotokolle ein. Der Anwalt gibt die Aussage von E.Ç. vor Gericht wie folgt wieder: „Am Morgen gegen neun Uhr wurde ich vor meinem Haus ergriffen. Ich wurde gezwungen, in ein Auto einzusteigen und mir wurde ein Sack über den Kopf gestülpt. Als ich keine Luft mehr bekam, wurde der Sack gelockert. Ich komme aus Şanlıurfa, ich kenne die Straßen hier. Nachdem sie mich ins Auto gezwungen hatten, brachten sie mich in das Akabe-Viertel im Kreis Eyübiye. Auf der einen Seite war ein Militärboot zu sehen. Es waren auch die Wurzeln von Kiefern zu sehen. Dann brachten sie mich drei oder vier Treppen nach unten. Nachdem sie mich nach rechts und links geführt hatten, brachten sie mich in einen Raum. Dann haben sie mir die Augen unter dem Sack mit einem Stoffstreifen verbunden und ich sah nichts mehr. Ich wurde splitternackt ausgezogen und dort gefoltert. Nach neun Stunden wurde ich zur Antiterrorpolizei gebracht.“

Dutzende Syrer haben sie verschwinden lassen“

Der Anwalt erzählte von noch tiefer gehenden Verbindungen der Gruppe und sagte: „Die Tiefe dieser Struktur konnte ich anhand eigener Erfahrungen sehen. Das, was erzählt wird, ist nur das sichtbare Stück der Struktur. Sie hat aber auch ein unbekanntes Gesicht. Sie ist in den vergangenen zwei Jahren verantwortlich für Hunderte Fälle von Folter gewesen. Dutzende Personen, die aus Nordsyrien nach Riha gebracht worden sind, befinden sich an einem unbekannten Ort. Ich bin der Überzeugung, dass die Mehrheit von ihnen verschwunden gelassen worden ist."