Al-Qaida-Familien aus Idlib in Efrîn angesiedelt

Nach der Umzingelung von acht der zwölf türkischen Beobachtungsposten in Idlib durch syrische Regimetruppen werden die Familien von Dschihadisten des Al-Qaida-Ablegers HTS inzwischen in Efrîn angesiedelt.

Die Kämpfe zwischen dem syrischen Regime und dem von al-Nusra dominierten Dschihadistenbündnis Hayat Tahrir al-Sham (HTS) in Aleppo und Idlib dauern an. Die von der Türkei in der sogenannten Deeskalationszone in der Provinz Idlib betriebenen Beobachtungsposten stellen einen Ort der Reorganisierung und Neubewaffnung der Dschihadisten dar. Allein am Sonntag wurden zwei dieser türkischen Versorgungspunkte umzingelt. Damit sind nun acht von insgesamt zwölf der Beobachtungsposten eingeschlossen. Auch in der Umgebung von Aleppo übernahm das Regime die Kontrolle über viele Stellungen der Dschihadisten und ihrer türkischen Verbündeten. Die Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) sprach mit dem Mittelostexperten und Journalisten Ferhad Şami über die aktuellen Entwicklungen in der Region.

Dschihadisten nach neun Jahren aus Umgebung von Aleppo vertrieben

Şami weist darauf hin, dass die Gefechte in Aleppo genauso schwer sind wie die in Idlib und das Regime deutliche Gebietsgewinne verzeichnen konnte. Wichtige Orte und Hochburgen der Muslimbruderschaft in Syrien wie Anadan, Haratan, Beyanun und die symbolisch höchst bedeutsame Stadt Kafr Hamra sind vom Regime zurückerobert worden. „Erstmals seit neun Jahren wurden die Dschihadisten aus der gesamten Umgebung von Aleppo vertrieben. Al-Nusra und die anderen dschihadistischen Gruppen waren gezwungen, sich zurückzuziehen. Bereits am Sonntag sind sie schlagartig abgezogen.“ Beim Vormarsch des Regimes habe insbesondere die russische Luftwaffe eine Schlüsselrolle gespielt.

Ziel ist Bab al-Hawa

Şami äußerte zu den Entwicklungen in Idlib: „Das Regime hatte zuerst Saraqib eingenommen. Saraqib und Maaret al-Numan stellten quasi die Stützpunkte von al-Nusra dar. Die Dschihadisten wurden von dort vertrieben. Diese Orte liegen am strategisch wichtigen Verkehrsweg M5. Das Regime versuchte das Zentrum von Idlib und die Grenze zu erreichen. Dort liegen die Dörfer Sarmin und Masoma. Diese Linie ist die Verteidigungslinie von Idlib. Aber das Regime musste sich von dort aufgrund türkischer Angriffe zurückziehen. Die Türkei hat hunderte Panzer und schwere Artillerie in der Region zusammengezogen. Nach dieser Linie beginnt das gebirgige Gebiet, das bis Idlib reicht. Das Regime wartet hier, um keine Niederlage zu erleiden. Die Regierungstruppen versuchten außerdem nach Atarbe und bis nach Bab al-Hawa vorzurücken. Aber die Türkei hat in Atarbe eine große Militärbasis angelegt. Sollte die syrische Armee in Atarbe einmarschieren, bleiben bis Bab al-Hawa nur noch neun Kilometer.“

Der Grenzübergang Bab al-Hawa an der Grenze zwischen Syrien und der Türkei liegt an der Hauptverbindungsstraße von Aleppo nach Antakya. „Wenn dieser Ort eingenommen wird, wäre Idlib de facto zweigeteilt. Der Grenzübergang ist Zugang für die Dschihadisten“, fügt Şami hinzu.

Regime will ganz Idlib kontrollieren

Das Regime in Damaskus, Russland und der Iran seien jedoch entschlossen, ganz Idlib einzunehmen, erklärt der Journalist. „Sie sind in dieser Hinsicht sehr entschieden. Allerdings sind die Regimetruppen unerfahren im Gebirge. Deswegen sieht es im Moment schwierig aus, was den Einmarsch in Idlib betrifft. Zudem befinden sich noch immer sehr viele Zivilisten dort. Da Russland die Provinz aber schnell unter Kontrolle bringen möchte, hat die russische Armee einen zivilen Korridor eingerichtet und die Bevölkerung aufgerufen, über den Korridor in Gebiete unter Regimekontrolle zu gelangen.“ Russland versuche so, der Türkei die Flüchtlingskarte aus der Hand zu nehmen, erklärt Şami.

„Dschihadistenfamilien werden in Efrîn angesiedelt“

Laut türkischen Regierungsangaben halten sich aktuell allein im Zentrum von Idlib rund vier Millionen Menschen auf. Şami hält diese Angaben für stark überzogen. Auch nach UN-Schätzungen leben in der gesamten Provinz rund drei Millionen Menschen. Seit Anfang Dezember ist fast ein Drittel davon auf der Flucht.

„Zuletzt lebten in Idlib etwa 150.000 bis 200.000 Angehörige von Dschihadisten. Inzwischen siedeln die Islamisten ihre Familien - teilweise auch mit Gewalt - nach Efrîn um. Auch solche aus Damaskus werden aus Idlib ausquartiert und in den seit März 2018 von der Türkei besetzten Kanton geschickt. Wiederum andere Angehörige von Milizen werden nach Azaz und al-Bab verlegt.“ Bei allen Regionen handelt es sich um Orte in der türkischen Besatzungszone Nordsyriens.