Was hat die Türkei der HTS angeboten und warum wurde abgelehnt?

Der türkische Staat hat der in Idlib in Bedrängnis geratenen Terrororganisation HTS angeboten, sich aufzulösen und die Führungsriege in der türkischen Besatzungszone in Efrîn unterzubringen.

Die syrischen Streitkräfte rücken mit russischer und iranischer Unterstützung weiter Richtung Idlib vor und haben mehrere Gebiete, die unter das Sotschi-Abkommen fallen, von den von der Türkei unterstützten Dschihadistengruppen befreit. Am Sonntag hat das syrische Regime ohne Widerstand den Westen von Aleppo eingenommen.

In den vergangenen beiden Tagen hat der türkische Staat Gespräche mit der Gruppierung Hayat Tahrir al-Sham (HTS) geführt, die von al-Nusra angeführt wird. Diese Gespräche finden in einer Zeit statt, in der Beziehungen zwischen den Sotschi-Garantiemächten Russland und Türkei wegen der Situation in Idlib äußerst angespannt sind.

An den Treffen nahmen Verantwortliche des türkischen Geheimdienstes MIT, der HTS und der sogenannten „Freien Syrischen Armee“ (FSA) teil. Beraten wurde über eine Auflösung der HTS und eine Eingliederung ihrer Mitglieder in die FSA. Der türkische Staat wollte damit Russland das Argument des Antiterrorkampfes nehmen und sich den Anschein geben, dass die Verpflichtung aus dem Sotschi-Abkommen, die Dschihadisten in Idlib in „Radikale“ und „Gemäßigte“ einzuteilen, erfüllt wird.

Nach Angaben von Beobachtern der diplomatischen und militärischen Bewegungen in der Region hat der türkische Staat der HTS vorgeschlagen, sich aufzulösen und ihre Mitglieder als viertes Korps der FSA anzuschließen. Der HTS-Befehlshaber Abu Mohammad al-Julani (in den deutschsprachigen Medien auch Abu Muhammad al-Dschaulani), weitere Schura-Mitglieder und hochrangige Emire sollten laut türkischem Vorschlag nach Efrîn gehen, um dort weiterhin unter der Ägide der Türkei zu bleiben.

Nach den zweitägigen Gesprächen haben al-Qaida und HTS diesen Vorschlag abgelehnt. Die HTS veröffentlichte eine Erklärung, dass sie sich nicht auflösen und ihren Weg fortsetzen wird. Neuzugängen stünden die Türen offen, so die HTS-Erklärung.

Ein Beobachter aus der Region erklärte dazu: „Die HTS hat bereits mehrfach ihren Namen geändert. Dass sie sich dieses Mal nicht auflöst und einen anderen Namen annimmt, liegt in dem Misstrauen der Türkei gegenüber begründet. Der IS-Emir Baghdadi ist unter dem Schutz der Türkei getötet worden. Für al-Julani und seine Mannschaft wäre es eine Dummheit, auf den Schutz des türkischen Staates zu vertrauen. Al-Qaida hat die Al-Nusra-Front, also die HTS, bereits in früheren Erklärungen beschuldigt, sich zu sehr auf die Türkei zu verlassen.“

Rückzug aus Muslimbrüder-Hochburg

Unmittelbar vor der HTS-Erklärung haben sich die bewaffneten Gruppen aus Gebieten im Westen Aleppos zurückgezogen, wodurch die Kräfte des syrischen Regimes dort die Kontrolle übernommen haben. Hinter dem kampflosen Rückzug aus diesem als Hochburg der Muslimbruderschaft bekannten Gebiet soll der türkische Staat stehen.

Die syrische Armee ist mit iranischer und russischer Unterstützung seit Anfang Februar in dieses Gebiet vorgerückt. Die von der Türkei gesteuerte FSA hat der HTS Verstärkung geschickt. Nachdem die HTS die eigene Auflösung abgelehnt hat, sind die in die Region verlegten FSA-Gruppen auf türkischen Befehl abgezogen worden.

Auffällig ist, dass die Schritte gegen die HTS nach Erklärungen türkischer Politiker stattgefunden haben. So hat der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar Maßnahmen gegen alle Gruppen angekündigt, die sich nicht an den Waffenstillstand halten. Auch Erdoğan hatte sich ähnlich geäußert.

Türkische Delegation in Moskau

Eine türkische Delegation hält sich heute zu Gesprächen mit russischen Verantwortlichen in Moskau auf. Unterdessen hat das syrische Regime einen großen Teil des im Sotschi-Abkommen festgelegten Gebiets zurückerobert. Das am 17. September 2018 zwischen Russland und der Türkei geschlossene Abkommen sah eine waffenfreie Zone in Idlib, eine Übergabe der Verkehrswege M4 zwischen Aleppo und Latakia sowie der M5 zwischen Aleppo und Homs an das syrische Regime sowie eine Aufteilung der bewaffneten Gruppen in „Radikale“ und „Gemäßigte“ vor.

Bis auf die vollständige Öffnung der M4 hat Russland die Bestimmungen des Abkommens trotz des Widerstands des türkischen Staates zu einem Großteil praktisch umgesetzt. Die Türkei hat sich im Vorfeld des heutigen Treffens in Moskau mit der Transformation der Terrororganisation HTS um eine Erweiterung des politischen Spielraums bemüht.

Al-Qaida ist in Syrien erstmalig unter dem Namen Al-Nusra-Front aufgetreten. 2015 wurden weitere Organisationen in die Struktur aufgenommen und der Name in Fatih al-Sham geändert. Am 28. Januar 2017 wurden weitere kleine Gruppen angeschlossen und es entstand der Name Hayat Tahrir al-Sham (HTS).