Während das Interesse der deutschen Öffentlichkeit am türkischen Angriffskrieg gegen Nordsyrien nachgelassen hat, verschlechtert sich die humanitäre Lage dort für Hunderttausende Menschen zunehmend. Aus den seit Oktober besetzten Städten Serêkaniyê (Ras al-Ain) und Girê Spî (Tall Abyad) sind weit mehr als 300.000 Frauen, Männer und Kinder geflohen – die meisten von ihnen sind Kurdinnen und Kurden. Viele der Vertriebenen sind in Zeltlagern untergekommen, die von der autonomen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens und dem Kurdischen Roten Halbmond (Heyva Sor a Kurdistanê) eingerichtet wurden. Doch nach wie vor suchen unzählige Vertriebene Schutz in Schulen und öffentlichen Gebäuden, die zu Notunterkünften umfunktioniert wurden.
Währenddessen setzt die Türkei ihre Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten fort. Nachdem vor einer Woche bereits 1500 Familien von Angehörigen der dschihadistischen Milizen „Sultan-Murad-Brigade“ und „Liwa al-Sham“ über die türkische Grenze nach Serêkaniyê gebracht wurden, haben nun 25 weitere Familien türkeitreuer Islamisten die Stadt erreicht. Nach Recherchen der in Rojava ansässigen Nachrichtenagentur ANHA (Hawarnews) handelt es sich bei ihnen um Angehörige von Dschihadisten aus Idlib und Homs.
Zwei Dörfer, die verwaltungstechnisch zur Kleinstadt Til Temir (Tell Tamer) gehören, die vorwiegend von christlichen Suryoye bewohnt ist, sind ebenfalls mit Angehörigen von Dschihadisten der „Sultan-Murad-Brigade“ besiedelt worden. Til Temir liegt außerhalb der Region, die für die sogenannte „Sicherheitszone” vorgesehen ist, wird aber immer wieder von der türkischen Armee und ihren Proxy-Truppen der sogenannten „Syrischen Nationalarmee“ (SNA) angegriffen. Ankara will seine Besatzungszone auf alle Städte im Grenzstreifen ausdehnen und hat bereits mehr als 80 christliche Siedlungen in und um Til Temir besetzt. Im Dorf Xirbet Cimo sind nun fünf Dschihadistenfamilien angesiedelt worden, in Hiras sind es sogar 20. Auch hier soll es sich ausschließlich um Bewohner*innen aus Idlib und Homs handeln.