Öcalan-Anwalt fordert Ende der Isolation und freie Meinungsäußerung

Faik Özgür Erol, Anwalt Abdullah Öcalans, gibt detaillierte Einblicke in das Treffen am 27. Februar auf Imrali. Dabei geht er auf konkrete Inhalte und Probleme ein, aber auch auf die mentale Situation des 75-Jährigen, die ihn beeindruckt habe.

Einblicke in das Treffen mit Abdullah Öcalan

In einer potenziell bahnbrechenden Entwicklung hat Abdullah Öcalan, der seit Jahrzehnten auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftiert ist, einen öffentlichen Aufruf an die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zur Niederlegung der Waffen gerichtet. Diese gewichtige Botschaft wurde durch eine Delegation der Partei für Gleichheit und Demokratie der Völker (DEM) übermittelt, die Ende Februar eine seltene Audienz bei Öcalan erhielt.

Der Appell kommt inmitten einer komplexen Gemengelage aus politischen Spannungen und festgefahrenen Konfliktlinien, was die Frage aufwirft, ob dies ein entscheidender Moment für eine mögliche Deeskalation des seit langem schwelenden türkisch-kurdischen Konflikts sein könnte.

Hoffnung auf das Ende eines lang anhaltenden Konflikts

Faik Özgür Erol, einer der Rechtsanwält:innen Öcalans und Teil der Abordnung, die Öcalan vor einer Woche auf Imrali besucht hatte, betont die absolute Notwendigkeit, die Arbeits- und Kommunikationsrechte seines Mandanten umfassend zu gewährleisten. Erol beschrieb die Begegnung als einen „unglaublich wertvollen und beeindruckenden“ Augenblick, insbesondere angesichts der jahrelangen, oft frustrierenden Bemühungen, einen direkten Zugang zu Öcalan zu erlangen. Die Tatsache, dass dieser Besuch überhaupt zustande kam, könnte auf eine subtile, aber bedeutsame Veränderung in der Haltung der türkischen Regierung hindeuten. Die genauen Motive und Hintergründe für diese Entwicklung lägen derzeit allerdings noch im Dunkeln. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Schritt als Zeichen eines echten Umdenkens oder lediglich als taktisches Manöver zu interpretieren sei.

Rechtsanwalt Faik Özgür Erol © privat

Detaillierte Einblicke in das Treffen auf Imrali: Öcalans Friedensappell im Fokus

Der unbestrittene Fokus des Treffens habe auf Öcalans Aufruf zum Frieden gelegen, den er der Delegation in Form eines handschriftlichen Dokuments überreichte. Laut Erol analysierte Öcalan das Dokument in akribischer Detailtiefe, indem er es der Delegation zunächst laut vorlas und anschließend jeden einzelnen Abschnitt ausführlich erläuterte und mit Kontextinformationen versah. Dabei habe er mit einem umfassenden historischen Abriss der komplexen und oft von Konflikten geprägten Beziehungen zwischen Kurd:innen und Türk:innen begonnen. Im weiteren Verlauf seien frühere Initiativen und Versuche, eine friedliche Beilegung des Konflikts herbeizuführen, von ihm beleuchtet worden, wobei er insbesondere auf die Ära von Turgut Özal verwiesen habe. Öcalan habe in diesem Zusammenhang auch auf die wiederholten und gezielten Interventionen von Putschisten hingewiesen, die diese Bemühungen in der Vergangenheit systematisch untergraben und zunichte gemacht hätten. Dieser methodische Ansatz unterstreiche sein tiefgreifendes Verständnis der Materie und sein aufrichtiges Bestreben, eine solide und fundierte Basis für einen zukünftigen Friedensprozess zu schaffen.

Die Kernforderung: Ungehinderte und direkte Kommunikation als Schlüssel zum Erfolg

Ein zentraler Aspekt, den Anwalt Erol im Nachgang des Treffens wiederholt hervorhob, war seine deutliche Kritik an den Versuchen verschiedener Medienorgane und politischer Akteur:innen, Öcalans Botschaft lediglich auf der Grundlage des eineinhalbseitigen Dokuments zu interpretieren und zu analysieren. Er argumentierte entschieden, dass Öcalan selbst die unbestreitbare Möglichkeit haben müsse, seine komplexen Gedankengänge und seine eigentlichen Intentionen umfassend, detailliert und vor allem ungehindert zu erläutern. „Der Vermittler muss ausgeschaltet werden, und die Hauptstimme muss direkt sprechen können“, forderte Erol eindringlich. Nur auf diese Weise könne zweifelsfrei sichergestellt werden, dass seine Botschaft nicht durch unvollständige Informationen verfälscht, durch fehlerhafte Interpretationen entstellt oder gar bewusst in ihrem Sinngehalt verändert werde.

Die schwierigen Haftbedingungen und Öcalans Zustand in der Isolation

Trotz seiner langjährigen Inhaftierung unter den Bedingungen strikter Isolation schilderte Erol Öcalan als erstaunlich energiegeladen und willensstark. Er betonte nachdrücklich, dass Öcalan nunmehr seit 26 Jahren mit extrem eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten leben muss. Diese außerordentlich lange Zeit der Isolation habe zweifellos tiefe Spuren hinterlassen, doch Öcalans mentale Stärke, seine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit und sein ungebrochener Wille, einen konstruktiven und positiven Beitrag zur Lösung des Konflikts zu leisten, seien schlichtweg bemerkenswert. Erol thematisierte auch die prekäre Situation der Mitgefangenen auf Imrali, die seit 2015 dort inhaftiert sind, seitdem keinen Rechtsbeistand mehr in Anspruch nehmen konnten und in den letzten fünf Jahren jeglichen Kontakt zu ihren Familienangehörigen verloren haben.

Öcalans Intellekt, seine Quellen und seine Fähigkeit zur Analyse

Erol hob zudem die bemerkenswerten intellektuellen Fähigkeiten des kurdischen Vordenkers hervor, auch unter den widrigsten Haftbedingungen weiterhin zu denken, komplexe Zusammenhänge zu analysieren und innovative Lösungsansätze zu entwickeln. Er erwähnte in diesem Kontext Öcalans tiefgreifende und differenzierte Analysen zur Geschichte der Frau, seine kritische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Strömungen des Sozialismus und seine differenzierte historische Perspektive auf die vielschichtigen türkisch-kurdischen Beziehungen. Besonders beeindruckend sei auch die scheinbare Mühelosigkeit, mit der er sich an detaillierte Daten, historische Termini und komplexe Zahlen erinnere, welche er auf präzise und überzeugende Weise präsentieren könne.

Die dringende Notwendigkeit, die Isolation zu beenden und das „Recht auf Hoffnung“ zu gewährleisten

Als langjähriger Rechtsbeistand Öcalans unterstrich Erol die dringende Notwendigkeit, die Isolation auf der Gefängnisinsel Imrali unverzüglich zu beenden und eine offene und ehrliche Diskussion über das sogenannte „Recht auf Hoffnung“ zu ermöglichen. Er forderte die uneingeschränkte Wiederherstellung von Öcalans Anrecht, sich frei zu äußern und seine Gedanken und Lösungsvorschläge öffentlich zu artikulieren. Erol wies in diesem Zusammenhang auch auf die zahlreichen Gegner des Friedensprozesses hin, die gezielt Desinformationen und Propaganda verbreiteten, um den gesamten Prozess von vornherein zu untergraben. Umso wichtiger sei es, dass Öcalan selbst die Möglichkeit erhalte, diesen Falschinformationen entgegenzutreten, seine Position klar und unmissverständlich darzulegen und seine Vision einer friedlichen Zukunft zu erläutern.

Dazu hier noch einmal die Antwort aus der Pressekonferenz von Erol zu der Frage:

Was macht es so dringend und notwendig, die Isolation in Imrali zu durchbrechen?

„Erstens hat Herr Öcalan in dieser Frage einen sehr weiten Rahmen abgesteckt. Es ist weder realistisch noch akzeptabel, diesen Rahmen auf ein eineinhalbseitiges Dokument zu beschränken. Er muss ihn vollständig erklären können. Er muss in der Lage sein, ihn seinen Kollegen zu vermitteln. Er muss ihn direkt an die Öffentlichkeit richten und artikulieren können. Dazu muss er frei und direkt sprechen können. Deshalb müssen die Kommunikationskanäle erweitert werden. Die Diskussion darf sich nicht mehr um die Frage drehen, ob es Isolation geben sollte, denn das sollte es nicht. Es sollte auch nicht mehr um die üblichen Haftbedingungen gehen. Seine Fähigkeit, sich zu äußern, muss vollständig wiederhergestellt werden.

Zweitens gibt es viele Gegner dieses Prozesses, sei es in der Türkei, in der kurdischen Gemeinschaft oder bei ausländischen Mächten. Wir erleben eine Flut von Propaganda, voll von Kritik und Anschuldigungen von Leuten, die sich nicht einmal die Zeit genommen haben, den Text zu lesen oder zu verstehen. Ohne sich die Mühe zu machen, die Erklärung zu analysieren oder sich mit ihr auseinanderzusetzen, sind sie schnell dabei, alle möglichen Geschichten gegen sie zu entwickeln. Um diesen Prozess zu schützen und zu sichern, muss Öcalan selbst direkt antworten können. Natürlich werden wir uns als Delegation dafür einsetzen und für die Notwendigkeit einer solchen Erklärung eintreten. Daran haben wir keinen Zweifel. Aber diese Frage darf nicht durch Stellvertreter geklärt werden. Die Hauptstimme muss für sich selbst sprechen können.“