Es war der 20. Oktober 2000, als 1.150 politische Gefangene in 48 Gefängnissen der Türkei einen Hungerstreik starteten, um die Einführung von Typ-F-Gefängnissen zu verhindern. Bis zur Eröffnung dieser Hochsicherheitsgefängnisse mit einem Zellensystem mit Einzel- und kleineren Gemeinschaftszellen wurden Strafgefangene in der Türkei in kasernenähnlichen Hafträumen mit 20 bis 100 Personen untergebracht. Dies bot in erster Linie politischen und vor allem linken Bewegungen die Möglichkeit, ihren organisatorischen Zusammenhalt auch im Gefängnis aufrechtzuerhalten.
Nach 45 Tagen entschlossen sich die Gefangenen, den Hungerstreik in ein Todesfasten umzuwandeln, da die Regierung ihre Forderungen ablehnte – und bereits Pläne machte, den organisierten Widerstand hinter den Gefängnismauern zu zerschlagen. In der Nacht vom 18. auf den 19. Dezember 2000 stürmten schließlich 8.500 schwerbewaffnete Soldaten und Beamte der türkischen Militärpolizei, darunter auch speziell ausgebildete Spezialbataillone und Eliteeinheiten der Geheimdienste, insgesamt 20 türkische Gefängnisse. Das Massaker sollte drei Tage dauern.
Mindestens 30 Gefangene und zwei Soldaten, die ihren Wehrdienst in Haftanstalten leisteten, wurden bei der Erstürmung der Haftanstalten getötet, mehrere hundert zum Teil schwerverletzt. Insgesamt 34 Menschen gelten bis heute als offiziell „verschwunden“. „Wir waren zu sechst, als das Feuer gelegt wurde. Sechs Frauen. Sie haben uns bei lebendigem Leib verbrannt“, waren die Worte einer Überlebenden, die sich tief in das kollektive Bewusstsein der Linken in der Türkei eingebrannt haben. Während diesem militärischen Großangriff, der unter dem zynischen Namen „Operation Rückkehr ins Leben“ mit Präzisionsgewehren, Nachtsichtgeräten, Flammenwerfern, Panzern, Hubschraubern, Nerven-, Rauch- und Gasbomben, Bulldozern, Baggern, Vorschlaghämmern, Schweiß- und Bohrmaschinen verübt wurde, wurden etwa 20.000 Tränengas-, Nerven-, Pfeffer- und Rauchbomben in die Gefängnisse geworfen.
Eine ausgebrannte Gemeinschaftszelle nach der Operation Rückkehr ins Leben
Die parallel dazu in Metropolen protestierenden Angehörigen der Gefangenen wurden brutal in Einsatzbusse geprügelt und festgenommen. In einem Gefängnis in Çanakkale landeten allein mehr als 5.000 verschiedene Bomben. Dort sowie im Gefängnis von Ümraniye schafften es die Angreifer erst Tage später, zu den Gefangenen vorzudringen, die sich mit Barrikaden wehrten. Einen Tag zuvor waren Journalist:innen vor den Gefängnissen vertrieben und die Gefängnisse hermetisch abgeriegelt worden. Die Krankenhäuser wies man an, Betten freizuhalten. Um Mitternacht wurden sogar die Mobilfunkverbindungen von Turkcell und Telsim außer Betrieb genommen.
Eingerissene Wand einer Haftanstalt
Die türkische Regierung hatte seinerzeit die Hochsicherheitsgefängnisse als „auf der Höhe europäischen Standards“ angepriesen. Nach der Erstürmung wurde der Großteil der Gefangenen in Typ-F-Gefängnisse verlegt, wo sie ihren Hungerstreik über sieben Jahre fortsetzten. Sie erreichten nur geringfügige Verbesserungen wie etwa das Recht auf einen kollektiven Hofgang von zehn Stunden pro Woche. Etwa 300 Gefangene wurden zwangsweise in Krankenhäuser eingeliefert, verweigerten jedoch die Aufnahme von Nahrung und medizinische Behandlung. Derweil lobte die türkische Regierung unter Bülent Ecevit den „großen Erfolg“ der „Operation Rückkehr ins Leben“. Aufgeklärt wurde das Massaker bis heute nicht.