1. Mai in Istanbul beginnt mit Polizeiübergriffen

Der 1. Mai in Istanbul beginnt mit Repressalien und Widerstand. Die Teilnehmer:innen sind nicht bereit, das Versammlungsverbot am Taksim zu akzeptieren.

Versammlungsverbot am Taksim

Wie jedes Jahr sind Kundgebungen am 1. Mai auf dem Taksim-Platz in Istanbul verboten. Am 1. Mai 1977 hatten regimetreue Paramilitärs dort ein Massaker verübt. Sie feuerten mit automatischen Waffen auf die etwa 500.000 Demonstrierenden, die damals dem Aufruf des Gewerkschaftsverbandes DISK gefolgt waren. Anschließend griff die Polizei an. Viele Demonstrierende wurden von Polizeipanzern überrollt und ermordet. Seitdem ist jede Kundgebung an diesem zentralen Platz verboten worden. Daher ist der Taksim ein symbolischer Kampfplatz, denn die Versammlungsverbote entspringen für viele derselben staatlichen Haltung, die auch für das Massaker damals verantwortlich war. Obwohl das Verfassungsgericht eine Verletzung des Versammlungsrechts festgestellt hatte, wurde der Taksim auch in diesem Jahr für Demonstrationen gesperrt.


Opposition, Gewerkschaften, linke und revolutionäre Organisationen akzeptieren dieses offensichtlich auch verfassungswidrige Verbot nicht und begannen sich bereits in den frühen Morgenstunden in Saraçhane zu versammeln, um zum Taksim zu marschieren. Alle Wege zum Taksim und sämtliche Verkehrsmittel zu Wasser, auf der Schiene oder auf der Straße sind von der Polizei gesperrt. Fahrzeuge wurden weiträumig entfernt. Auch die berühmte Istiklal Caddesi ist mit Polizeigittern blockiert.


Erster Polizeiangriff auf Jugendliche am frühen Morgen

Bereits in den frühen Morgenstunden gab es einen Übergriff auf eine Abordnung von Jugendkomitees, die durch Seitenstraßen der Istiklal Caddesi zum Taksim zogen und „Es lebe der 1. Mai" riefen. Die jungen Aktivist:innen wurden von der Polizei verprügelt und festgenommen. Es kommt weiterhin zu Festnahmen von einzelnen Menschen, die am Taksim demonstrieren.

Arbeiter:innen versammeln sich zum Marsch auf den Taksim

Auch die Gewerkschaften mobilisieren zum Marsch auf den Taksim. Der große Verband der Revolutionären Arbeitergewerkschaften (DISK), die Konföderation der Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes (KESK), die Union der Ingenieurs- und Architektenkammern in der Türkei (TMMOB), die Union der Zahnärzte in der Türkei und die Ärztekammer in der Türkei (TTB) führten die Mobilisierung zum Versammlungsort im Saraçhane-Park an.

Parolen auf Kurdisch und Türkisch

Aufgrund einer Verbotsentscheidung der Gouverneurs hat die Polizei den Park umstellt. Dennoch versammeln sich die Arbeiter:innen an mehreren Punkten, um gen Taksim zu ziehen. Der 1. Mai in Istanbul steht im Zeichen der Solidarität im Kampf um Freiheit und Emanzipation. Die kurdische Parole „Bijî yek Gûlan“ hallt ebenso wie das türkische „Yaşasın 1 Mayıs“ über den Versammlungsplatz. Feministische Parolen wie „Soll der Ehemann kommen, soll der Knüppel kommen, trotz allem Aufstand“ sind ebenfalls lautstark zu hören. Eine weitere Zubringerdemonstration der DEM-Partei, von feministischen Organisationen und Umweltorganisationen läuft von Marmaray in Yenikapı zum Saraçhane Park, um von dort gemeinsam mit den Arbeiter:innen zum Taksim zu gelangen.