Gewerkschaften gedenken der Toten vom 1. Mai

In Istanbul haben Gewerkschaften und Berufsverbände den Opfern blutiger Angriffe türkischer Sicherheitskräfte an Kampftagen der Arbeiterklasse gedacht. Allein beim Taksim-Massaker am 1. Mai 1977 kamen mindestens 37 Menschen ums Leben.

Anlässlich des bevorstehenden 1. Mai haben türkische Gewerkschaften und Berufsverbände in Istanbul an die Opfer blutiger Angriffe auf Demonstrationen vergangener Kampftage der Arbeiterklasse erinnert. Aufgerufen zu dem Gedenken hatten der Bund der revolutionären Arbeitergewerkschaften (DISK), die Konföderation der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes (KESK), die Architekten- und Ingenieurskammer (TMMOB), die Türkische Zahnärztekammer (TDB) und der Türkische Ärztebund (TTB). Unter den zahlreichen Teilnehmenden waren auch Verterer:innen der politischen Opposition, darunter die HDP-Abgeordneten Sezai Temelli, Ali Kenanoğlu, Oya Ersoy, Züleyha Gülüm und Musa Piroğlu.

Die Zusammenkunft begann am Taksim-Platz im zentralen Stadtteil Beyoğlu. Dort kam es am 1. Mai 1977 zu einem Massaker. An der von DISK organisierten Demonstration zum Tag der Arbeit nahmen damals weit über 500.000 Menschen aus verschiedenen Provinzen des Landes teil. Viele von ihnen hatten den Platz noch nicht einmal betreten, als die ersten Schüsse fielen. Anschließend griffen die Sicherheitskräfte mit gepanzerten Fahrzeugen an. Sie feuerten Gasgranaten ab und setzten Wasserwerfer ein. Panik brach aus. Die Zahl der Opfer ist immer noch ein umstrittenes Thema; nach offiziellen Angaben wurden 34 Menschen getötet und etwa 200 verletzt, linke Organisationen sprechen von 37 Toten. Manche Menschen blieben auf der Stelle liegen, andere liefen weg, wurden in Ecken zusammengedrängt und von den gepanzerten Fahrzeugen überrollt. Über 500 Personen wurden festgenommen.


Feindschaft der arbeitenden Klasse gegenüber dauert an

„Am 1. Mai 1977 versammelten sich an diesem Platz Menschen, die der gemeinsame Wille einer werktätigen Türkei einte“, sagte die DISK-Präsidentin Arzu Çerkezoğlu nach einer Schweigeminute. „Junge und alte Menschen aus den verschiedenen Berufen und Ständen waren gekommen, um zum Ausdruck zu bringen, dass es mit der damals gegenwärtigen Ordnung nicht weitergehen kann. Aber auch die Attentäter des unterdrückerischen Systems waren unter uns. Sie nahmen unsere Hoffnung auf eine lebenswerte und freie Zukunft jenseits von Ausbeutung. Diese Feindschaft der arbeitenden Klasse gegenüber hält seitdem ununterbrochen an“, so Çerkezoğlu.

Die Gewerkschafterin kritisierte, dass auch die diesjährigen Massenveranstaltungen zum 1. Mai von den türkischen Behörden verboten worden sind. „Dennoch werden wir an unserem Tag auf dem Maltepe-Platz für unsere Rechte kämpfen“, sagte Çerkezoğlu. „Wir rufen alle Werktägigen auf, sich zu beteiligen. Weder unser Kampf noch unsere Stimme lassen sich nicht verbieten.“

Gedenken an Mehmet Akif Dalcı, Hasan Albayrak, Yalçın Levent und Dursun Adabaş

Nach der Rede wurden rote Nelken am Platz niedergelegt, bevor sich die Menschenmenge Richtung Şişhane in Bewegung setzte. Dort wurde an den 17-jährigen Arbeiter Mehmet Akif Dalcı erinnert, der am 1. Mai 1989 gezielt von einem Polizisten erschossen wurde. Auch für ihn legten die Anwesenden rote Nelken nieder. Während der Strecke über die Einkaufsmeile Istiklal Caddesi wurden Flugblätter verteilt. Die Polizei unterbrach die Demonstration mehrmals, konnte das Rufen von Parolen wie „Es lebe der 1. Mai“ und „Gegen die ausbeutenden Konzernchefs auf die Barrikaden“ nicht unterbinden. Von Şişhane aus ging es weiter auf die andere Seite des Bosporus, in den asiatischen Stadtteil Kadıköy. Hier erinnerten die Gewerkschaften an Hasan Albayrak, Yalçın Levent und Dursun Adabaş. Die drei Arbeiter waren am 1. Mai 1996 während Feierlichkeiten von der Polizei ermordet worden.