42 Jahre Massaker am Taksim-Platz

Der 1. Mai 1977 stellt eine Zäsur in der Geschichte der Arbeiterbewegung in der Türkei dar. Mindestens 37 Protestierende wurden damals von Scharfschützen am Taksim-Platz ermordet.

An den Feierlichkeiten zum 1. Mai auf dem Taksim-Platz im Jahr 1977 nahmen weit über 500.000 Arbeiter*innen und Aktivist*innen teil. Viele von ihnen hatten den Platz noch nicht einmal betreten, als bereits Schüsse zu hören waren. Die Schüsse fielen aus dem Gebäude der Wasserversorgungsgesellschaft und dem Intercontinental Hotel (heute The Marmara). Anschließend griffen die Sicherheitskräfte mit gepanzerten Fahrzeugen an. Sie feuerten Gasgranaten ab und setzten Wasserwerfer ein. Panik brach aus. Die Zahl der Opfer ist immer noch ein umstrittenes Thema; nach offiziellen Angaben wurden 37 Menschen getötet und 200 verletzt. Einem Autopsiebericht zu Folge sind nur vier Personen direkt durch Schüsse gestorben, bei dreien ist der Befund unklar und die übrigen wurden in der resultierenden Panik tödlich verletzt. Mindestens eine Aktivistin wurde von einem Panzerfahrzeug überfahren und getötet.

Nach dem Angriff wurden über 500 Demonstrant*innen festgenommen und 98 von ihnen angeklagt. Von den 17 Angeklagten, die in Untersuchungshaft genommen worden waren, wurden drei vor der ersten Anhörung freigelassen. Die übrigen Gefangenen wurden kurz darauf freigelassen.

Das Verfahren endete am 20. Oktober 1989 mit Freispruch. Verschiedene Quellen gaben an, dass vom Dach der Wasserversorgungsgesellschaft aus etwa 20 Scharfschützen von der Jandarma gestellt und an die Polizei übergeben wurden. Nach Angaben des ermittelnden Sstaatsanwalts Çetin Yetkin taucht allerdings keiner von ihnen in den Polizeiprotokollen auf. Der Staatsanwalt sagte, Leutnant Abdullah Erim habe die Festnahmen durchgeführt und die Festgenommenen den Polizeibeamten Muhsin Bodur und Mete Altan übergeben. Die beiden Polizisten arbeiteten nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 in der politischen Abteilung der Polizei von Istanbul. Die Beamten dementierten ihre Beteiligung an dem Konterguerilla-Angriff. Auch Filmaufnahmen, welche die Scharfschützen zeigen sollen, sind bei der Polizei verschwunden.

Der Taksim-Platz hat durch dieses Massaker eine hohe symbolische Bedeutung für die Linke in der Türkei erhalten. Jedes Jahr versuchen Gewerkschaften und linke Bewegungen, 1.-Mai-Kundgebungen am Taksim durchzusetzen. Die Gewerkschaftsverbände DISK, KESK, TMMOB und TTB hatten auch dieses Jahr beim Gouverneur von Istanbul eine 1.-Mai-Kundgebung dort angemeldet. Der Gouverneur verbot die Kundgebung wie fast jedes Jahr seit 1977.

Der Taksim-Platz hat auch eine hohe Bedeutung für soziale Kämpfe in der Türkei der jüngeren Vergangenheit. 2013 kam es im an den Taksim-Platz angrenzenden Gezi-Park zu einer massiven Protestwelle gegen das Erdoğan-Regime, die ebenfalls gewaltsam niedergeschlagen wurde.