Zur Bedeutung der Guerillaoffensive vom 1. Juni 2004
Şerda Mazlum Gabar aus dem Hauptquartier der kurdischen Frauenguerilla YJA-Star hat sich im ANF-Interview über die Bedeutung der historischen Guerillaoffensive am 1. Juni 2004 geäußert.
Şerda Mazlum Gabar aus dem Hauptquartier der kurdischen Frauenguerilla YJA-Star hat sich im ANF-Interview über die Bedeutung der historischen Guerillaoffensive am 1. Juni 2004 geäußert.
Nach der Verschleppung Abdullah Öcalans 1999 und den Versuchen, die kurdische Befreiungsbewegung von innen wie von außen zu vernichten, stellte die Offensive der Guerilla vom 1. Juni 2004 einen wichtigen Befreiungsschlag dar. Şerda Mazlum Gabar ist eine der Kommandantinnen im Hauptquartier der Frauenguerilla YJA-Star. Sie misst dem 1. Juni 2004 eine ähnliche Bedeutung wie dem Beginn des bewaffneten Kampfes am 15. August 1984 bei.
Die Vernichtung der PKK aus dem Inneren
Şerda Mazlum Gabar erinnert an die damaligen Versuche der Zerstörung der kurdischen Freiheitsbewegung von innen durch Personen wie Osman Öcalan: „Die Offensive vom 1. Juni fand im Kontext des internationalen Komplotts gegen Rêber Apo [Abdullah Öcalan] statt. Damals versuchten verschiedene Kreise unsere Bewegung zu vernichten, indem sie alles daran setzten, sie auf die Linie der imperialistischen Staaten zu bringen. Sie wussten, dass unsere Bewegung nicht nur gegen den türkischen Staat, sondern gegen alle imperialistischen Kräfte kämpft. Die USA hatten geplant, durch diese Kreise ihre liberale Linie bei uns durchzusetzen und unsere Bewegung vollständig zu vernichten.“
Als einen der ersten Schritte versuchte der Kreis um Osman Öcalan, die Ehe in der Guerilla einzuführen und die Frauenarmee aufzulösen. Unter anderem in Anspielung auf diese Angriffe erklärt Gabar: „Sie versuchten uns von Abdullah Öcalan und seiner Ideologie abzubringen und die von ihm geschaffenen moralischen Maßstäbe zu schwächen und die Art des Kampfes ihren Interessen anzupassen. Als Abdullah Öcalan gefangen genommen wurde, versuchten sie sich als neue Führer der Bewegung zu gerieren. Aber die Guerilla und das ganze Volk sind für Öcalans Ideologie eingetreten und haben deutlich gemacht, dass ihr Unterfangen zum Scheitern verurteilt ist.“
Die Niederlage der inneren Angreifer
Die Guerillakommandantin fährt fort: „Die USA versuchten, unserer Bewegung durch diese inneren Angreifer Schaden zuzufügen. Als uns jedoch die Verteidigungsschriften Öcalans, insbesondere ‚Ein Volk verteidigen‘ erreichten, stellte dies für uns ein Gegengift dar. In seiner Verteidigungsschrift hatte Öcalan uns mitgeteilt, dass ‚diejenigen, welche die Ideologie des Apoismus verteidigen, welche im Krieg die richtige Form des Guerillakampfes annehmen und mit dem richtigen Verständnis kämpfen und niemals aufgeben, die wahren Guerillakämpfer*innen Kurdistans‘ seien. Die Guerilla ist nicht nur verantwortlich für den bewaffneten Kampf, sondern auch dafür, auf richtige Weise für die Ideologie einzutreten und sie zu leben. Sie ist auch für die Verteidigung der Linie gegenüber inneren Angreifern verantwortlich. Die Offensive vom 1. Juni 2004 stellte die deutlichste Antwort auf die Vernichtungsversuche durch die inneren Angreifer dar. Wenn es den 1. Juni nicht gegeben hätte, wäre nichts mehr von der PKK oder dem kurdischen Volk geblieben, sie wären aus der Geschichte getilgt worden. Die Offensive vom 1. Juni ist sowohl ideologisch als auch militärisch eine der wichtigsten Offensiven seit dem 15. August 1984 gewesen. Mit dieser Offensive haben sich unsere Kräfte erneut an der Front in Nordkurdistan festgesetzt. In diesem Sinne stellt sie den Sieg über den inneren Angriff dar. Der 1. Juni steht für das Festhalten an der Linie Abdullah Öcalans und dem freien Leben. Diese Offensive zeigte, dass wir entschlossen und inspiriert das neue Paradigma des Apoismus umsetzen würden.
Kendal Baz – Vorkämpfer der Offensive
Die Offensive vom 1. Juni wurde von Kendal Baz (Yusuf Saruhan) angeführt. Er fiel 2004 in der Region Gabar. Kendals Rolle ist vergleichbar mit der Egîds (Mahsum Korkmaz), der die Offensive am 15. August 1984 in Dih (Eruh) eröffnet hatte. Kendal ging mit zwei Genoss*innen an den selben Ort und zerstörte ein Fahrzeug, in dem sich mehre türkische Militärkommandanten befanden. Silav führte alleine im Zentrum von Sêrt (Siirt) eine Aktion durch und fügte dem Feind schwere Verluste zu. Aufgrund einer Denunziation wurde sie vom Feind umstellt und weigerte sich, ganz im Geiste Bêrîtans, aufzugeben. Sie fiel in Würde. In Dersim kämpften Heval Têkoşin und Seyit Riza bis zur letzten Kugel und fielen. Şehîd Sorxwîn, Adar, Yıldız Gülbahar und Adil fielen in mutigem Kampf. Die legendäre Haltung von Reşît und Rojîn als Kommandant*innen war richtungsweisend für den Kampf im Jahr 2012. Auch Alî Piling, Çîçek Botan, Şêvîn Bingöl und Têkoşin Amanos können als heutige Gefallene des 1. Juni 2004 betrachtet werden.
Der Kampf heute beruht auf den Errungenschaften des 1. Juni
Obwohl der Feind die Guerilla mit seiner Technologie und seinem Geheimdienst zu vernichten versucht, geht der Guerillakrieg mit wirksamen Taktiken weiter. Die Kämpfer*innen bestehen auch weiterhin darauf, ein freies Leben zu führen. Şehîd Hawar ist ein Beispiel dafür. Er fiel in Xakurke, und obwohl er Öcalan nie persönlich kennengelernt hatte, war er mit seiner Ideologie, dem Volk und dem Land tief verbunden. Heval Hawar hatte viele Aktionen im Geiste von Reşit Serdar angeführt. Aber auch Arin ist ein Beispiel. An der Front im Norden wurde sie verletzt. Der Feind dachte, sie wäre tot, doch als sich die Soldaten näherten, sprengte sie sich selbst in die Luft, um nicht in die Hände des Feindes zu geraten.
Das Projekt der Neustrukturierung
Im Rahmen des Projekts der Neustrukturierung haben wir Änderungen in Form und Taktik des Guerillakriegs eingeführt. Es ging nicht nur um die Frage, wie sich die Guerilla verteidigen kann, es ging gleichzeitig konkret darum, wie die Guerilla Krieg führen soll. Eigentlich wurde diese Neustrukturierung schon von Abdullah Öcalan im Jahr 1996, direkt nach der Aktion von Heval Zîlan, ins Werk gesetzt. Aber wir hatten das damals nicht ausreichend begriffen. Bei der Offensive vom 1. Juni haben wir die Guerillataktiken wirksamer eingesetzt, aber aufgrund der entwickelten Technologie haben wir die Guerilla im Rahmen diese Projektes mit neuen Aktionsformen und Taktiken bereichert. Wir beschränken uns nicht mehr auf den Widerstand alleine, es geht darum, dass unser Volk den Sieg erlebt.
Neustrukturierung spiegelt sich in Aktionen wieder
Bei den Guerillaaktionen im Jahr 2020 konnten wir beobachten, dass das Restrukturierungsprojekt bei den Aktionen Resultate bringt. Es geht darum, den Feind mit einer geringeren Anzahl von Kräften an Orten, an denen er es nicht erwartet, anzugreifen. Klandestinität, tiefgehende Planung und Freiheit sind charakteristisch. Was die Guerilla wann und wo tut, darf erst einmal niemand wissen.“
Die Aktion von Sema Koçer am 31. März, bei der sich die Kämpferin selbst opferte und mindesten 30 Soldaten der türkischen Armee getötet und eine strategisch wichtige Pipeline bei Agirî (Ağrı) beschädigt wurden, stellte eine der aufsehenerregendsten Aktionen der Guerilla in diesem Jahr dar. Gabar sagt dazu: „Sema Koçers Fedai-Aktion hat der Guerilla eine große Perspektive eröffnet. Und mit den Aktionen von Garzan bis Dersim hat ein wichtiger Aufbruch stattgefunden, der uns große Moral gibt. Die schmutzige Politik des Feindes ist gescheitert. Die Aktionen in den Provinzen Avaşin, Xakurke und Gever waren ebenfalls wirksam.
Autonome Aktionen der YJA-Star
Die YJA-Star hat mit eigenen Aktionen dem Feind schwere Schläge versetzt. Das hat uns ebenfalls Moral gegeben und die Entschlossenheit bei Aktionen gesteigert. Auch auf taktischer Ebene fanden kreative Aufbrüche statt. Die YJA-Star ist der konkreteste Ausdruck der freien Kommandantin und des Guerillakampfs. Sie kämpft nicht allein für die Frauen und Völker in Kurdistan und dem Mittleren Osten, sie kämpft für alle Frauen der Welt. Sie sind die Selbstverteidigungskraft der Frauen, sowohl gegen das herrschende System als auch gegen die Vergewaltigermentalität des Patriarchats. Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Frauenrevolution. Es herrscht die Entschlossenheit unter den Frauen, Selbstverteidigungsnetzwerke von Lateinamerika bis Indien aufzubauen.
Der Feind kennt keine Werte
Wir werden das Vernichtungskonzept des Feindes im Jahr 2020 mit wirksamen, überraschenden und erschreckenden Aktionen scheitern lassen und dem internationalen Komplott eine Niederlage beibringen. Wir müssen unseren Kampf ausweiten, damit unser Volk freie Lebensbedingungen erreichen kann. Wenn wir den Widerstand nicht ausweiten, wird der Feind all unsere Werte brutal angreifen. Der Feind fürchtet sogar die Leichen unserer Freund*innen und greift unsere Friedhöfe, unsere Würde an. Es ist an der Zeit, für unsere Würde und unsere Werte einzutreten.“