Gemeinwohlorientierte Umgestaltung
In Nürnberg findet vom 29. November bis 1. Dezember 2024 eine Konferenz statt mit dem Titel „Vergesellschaftet Bayern - Wege in eine solidarische Gesellschaft“. Veranstalter ist ein Kollektiv mehrerer Einzelpersonen und Gruppen, darunter die Interventionistische Linke, Attac und Ende Gelände. In Workshops und Vorträgen wird diskutiert, wie verschiedene Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche demokratisch und gemeinwohlorientiert umgestaltet werden können.
ANF sprach mit Organisator:innen über Hintergründe und Intention der Veranstaltung.
Ihr ruft dazu auf, Bayern zu vergesellschaften. Warum nur Bayern?
Bayern hat es doch bitter nötig! Spaß beiseite, im Gegensatz zu den vorangegangenen Konferenzen zu dem Thema möchten wir das Einzugsgebiet verringern und idealerweise auch konkrete lokale Vernetzungen voranbringen sowie Projekte anschieben. Außerdem ist die Forderung „vergesellschaftet Bayern“ eine gewollte Provokation.
Euer Fokus liegt also auf lokalen Kämpfen. Seid ihr dennoch vernetzt mit anderen Bewegungen?
Einige der vorbereitenden Gruppen wie Attac, Ende Gelände und iL haben einen hohen bundesweiten Vernetzungsgrad in unterschiedliche Spektren wie die Klimagerechtigkeits- und Antikapitalismus-Bewegungen sowie Feminismus. Dies alles wird natürlich mit in diese Konferenz eingebracht.
Mit welchen gesellschaftlichen Bereichen wollte ihr beginnen? Wo ist eine Vergesellschaftung besonders geboten?
Unsere Schwerpunkte im Programm liegen auf Sorge und Care, Energie und Wasser sowie Kultur und Wohnen. Es brennt da überall gerade lichterloh, und die Entscheidung fällt richtig schwer. Wir wären froh, wenn am Ende der Konferenz in einem der genannten Bereiche eine konkrete lokale Kampagne starten würde. All diese Bereiche haben je alleine eine gewisse Sprengkraft und das Potenzial für eine Leuchtturmwirkung, wie die Kampagne „Deutsche Wohnen Enteignen“ gezeigt hat. Wir dürfen uns darauf nicht ausruhen, sondern müssen sehen, wo wir da weiter machen können.
Der Begriff „Vergesellschaftung“ ist ja im linken Diskurs nichts Neues. Könnt ihr trotzdem kurz umreißen, was ihr darunter versteht, auch in Abgrenzung zu Forderungen nach Verstaatlichung oder Enteignung?
Ziel ist eine auf Gemeinwohl basierende, bedürfnisorientierte und demokratische Sozial- und Wirtschaftsordnung. Dabei können Enteignungen ein Mittel zum Zweck sein. Aber das reicht nicht. Wichtig ist dabei auch die demokratische Teilhabe, also Möglichkeiten der Mitwirkung aller Beteiligten. Ein verstaatlichter Großkonzern entspricht diesem Bild nicht. Aktuell gibt es jedoch schon einige rechtliche Rahmenbedingungen, die es lohnen, sie zu unseren Gunsten auszuloten und auszunutzen. Hier müssen die Möglichkeiten erkannt und das Wissen darüber weitergegeben werden. Welche Mittel wir wählen, müssen wir uns dann themenspezifisch ansehen und diskutieren.
Es geht also um den legalen Weg eines allmählichen Zurückdrängens des Staates. Die demokratische Gesellschaft soll in wichtigen Bereichen der Daseinsfürsorge Verantwortung übernehmen und eigene Strukturen aufbauen. Wie werden die ersten Schritte aussehen?
Es geht nicht (nur) um die Zurückdrängung des Staates, sondern vor allem darum, die Profitorientierung unserer elementaren Lebensbereiche wie Care, Energie, Wohnen etc. zu beenden. Und wir müssen nicht nur eigene Strukturen aufbauen, sondern eben die, die es schon gibt, so umwandeln, dass sie uns dienen und nicht wir dem Profit. Klar ist das Konzept der sorgenden Stadt etwas völlig Neues, aber kommunale Energieversorgungsunternehmen müssen unter demokratische Kontrolle gebracht werden. Wie schon erwähnt, werden wir uns die rechtlichen Möglichkeiten ansehen und diese dann je nach Bedarf nutzen, um Schritt für Schritt von öffentlichen Kampagnen bis hin zu Enteignungsprozessen und Bürger:innenentscheiden die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Das gilt es während der Konferenz auszuloten.
Eine der wichtigsten Kampagnen war sicher der erfolgreiche Volksentscheid in Berlin zur Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne, den die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ vor drei Jahren initiiert hat, und dessen Umsetzung seitdem vom Senat blockiert wird. Welche Schlüsse zieht ihr daraus?
Aus DWE haben wir gelernt, dass das Thema Vergesellschaftung sehr viele in der Gesellschaft ansprechen kann – das macht uns Mut. Wir können damit den Diskurs verschieben, was heute gar nicht so einfach ist. Es zeigt, dass wir mit der Forderung nach Umverteilung sehr viel Unterstützung erhalten können, wenn wir an einem Punkt ansetzen, mit dem sich die meisten identifizieren können, wie zum Beispiel zu hohe Mieten. Andererseits haben wir gelernt, dass uns das Ganze auf die Füße fallen kann, wenn wir die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht 100 Prozent berücksichtigen. Und der Widerstand aus der Politik zeigt uns auch, dass wir was richtig machen. Sie haben große Angst vor dem Erfolg von Kampagnen zur Vergesellschaftung. Das hätte eine immense Auswirkung auf die neoliberale Wirtschaftsordnung, die auf Profite der Konzerne ausgerichtet ist. Schließlich wissen wir von unseren Mitstreiter:innen in Berlin, dass eine solche Kampagne richtig viel Arbeit macht, aber auch die daran Beteiligten politisieren und aktivieren kann.
Dort, wo die kurdische Freiheitsbewegung aktiv ist, ist Vergesellschaftung zentrales Anliegen und wird unter dem Begriff Demokratischer Konföderalismus zum Beispiel in Rojava konsequent umgesetzt und in einem Gesellschaftsvertrag festgeschrieben. Auch wenn die Bedingungen in den Metropolen anders sind, ist das Konzept des Demokratischen Konföderalismus für euch Inspiration?
Auf jeden Fall! Die kurdische Bewegung ist immer mit eine Antriebsfeder: Seht her, die haben es trotz Krieg und Faschismus geschafft, etwas aufzubauen, dann werden wir es doch wohl auch schaffen. Das ist wie ein Funke der Hoffnung. Jetzt brauchen wir nur noch eine Scheune voll Stroh und der Kapitalismus brennt lichterloh.
Vielen Dank, warten wir also auf das große Feuer. Euch viel Erfolg für die Konferenz!
Mehr Infos zur Konferenz und Anmeldung: https://vergesellschaftet.bayern/de