Der Drohnenangriff des türkischen Staates auf eine Einrichtung der Föderation der Kriegsversehrten am Sonntag in Qamişlo hat neben mehreren Verletzten auch zum Tod von zwei ranghohen Mitgliedern der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) geführt. Das gab die Kommandantur der YPJ am Montag in einer Mitteilung bekannt. Bei den getöteten Frauen handelt es sich demnach um Sorxwîn Rojhilat und Azadî Dêrik, die zu den Kommandantinnen des Frauenkampfverbands von Nord- und Ostsyriens gehörten. Die YPJ verurteilten ihre Tötung mit scharfen Worten und kündigten Vergeltung an. Den Angehörigen der Gefallenen, den Völkern Nord- und Ostsyriens sowie allen „revolutionären Frauen und Kämpferinnen” sprach der Verband sein Mitgefühl aus.
Zur Biografie der getöteten Frauen machten die YPJ folgende Angaben:
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Codename: Sorxwîn Rojhilat
Vor- und Nachname: Fatma Sakan
Namen der Eltern: Gozel – Ibrahim
Todestag und -ort: 11. Februar 2024, Qamişlo
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Aus Makû nach Kobanê
Sorxwîn Rojhilat war eine von mehr als 20.000 Kriegsversehrten, die der Kampf gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) in Nord- und Ostsyrien forderte. Sie wurde 1985 in Makû, einer Stadt in Ostkurdistan (Westiran) geboren, ihre Familie gehört dem Stamm der Celalî an – eine Familienkonföderation, die nach den Worten der YPJ seit jeher „unter der Fahne des Widerstands gegen die Besatzer rebelliert und an Kapitulation nicht einen Gedanken verschwendet“. Sorxwîn Rojhilat habe damit von Haus aus in der Tradition von Frauen wie Shirin Alamhouli und Zeynab Jalalian gestanden. Letztere sitzt seit 16 Jahren in den Kerkern des iranischen Regimes und ist die einzige Gefangene im Land, die mit einer lebenslänglichen Haftstrafe belegt ist. Alamhouli war Aktivistin der kurdischen Frauenbewegung, als sie 2010 nach mehr als zwei Jahren im Gefängnis hingerichtet wurde.
Bei IS-Angriff Augenlicht verloren
Nach Rojava kam Sorxwîn Rojhilat 2014. Damals strömten tausende Menschen aus vielen verschiedenen Ländern nach Kobanê, um sich an der Verteidigung der vom IS belagerten Stadt zu beteiligen. Im Verlauf der Offensive wurde sie Teil der Kommandoebene der YPJ und nahm eine wichtige Rolle im Kobanê-Widerstand ein. Bei einem Angriff der Dschihadistenmiliz wurde sie schwer verletzt und verlor einen Großteil ihres Augenlichts. Nach einer langen Genesungsphase wirkte sie am Aufbau der Strukturen für Kriegsversehrte mit und war auch Mitbegründerin der Föderation der Kriegsversehrten. Ihre Arbeit beschränkte Sorxwîn Rojhilat laut den YPJ aber nicht nur auf die Arbeit für die Kriegsbeschädigten, sondern widmete sich auch den Lösungen gesellschaftlicher Probleme und wirkte an Projekten zur Förderung der gleichberechtigten Teilhabe und Entwicklung von Frauen und Mädchen mit.
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Codename: Azadî Dêrik
Vor- und Nachname: Emine Seyid Ehmed
Namen der Eltern: Alya – Yusif
Todestag und -ort: 11. Februar 2024, Qamişlo
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Azadî Dêrik wurde 1982 in Dêrika Hemko in Rojava geboren. Sie wuchs in einer dem kurdischen Befreiungskampf nahestenenden Familie auf und schloss sich den YPJ mit dem Aufkommen der Rojava-Revolution an. „Vom ersten Moment der Revolution bis zum letzten Augenblick ihres Lebens nahm Azadî Dêrik die Linie der Selbstverteidigung zur Grundlage des Kampfes, dem sie sich nach den Prinzipien des revolutionären Volkskriegs widmete. Sie war eine Kämpferin der Freiheit und eine wegweisende Pionierin auf Kommandoebene. Mit ihrer bescheidenen Haltung und ihrer Hingabe für die Revolution galt sie vielen als Beispiel für die Militanz einer freien Frau”, erklären die YPJ.
Im Zentrum der Kriegsversehrten war Azadî Dêrik auf eigenen Wunsch hin im Einsatz. Sie kümmerte sich darum, dass die Kriegsbeschädigten mit physiotherapeutischen Behandlungen, Rollstühlen oder Prothesen versorgt werden und Menschen mit Amputationen nachhaltige Hilfe bekommen. „Sie verbesserte die Lebensbedingungen ihrer Freundinnen und Freundeund koordinierte die Öffentlichkeitsarbeit der Föderation, die sie mitbegründet hatte. Darüber hinaus war sie zuständig für die Koordinierung von internationalen Hilfsprojekten, die den Verwundeten und Geschädigten des Krieges in Nord- und Ostsyrien zugute kommen.”
YPJ: Internationale Gemeinschaft muss ihr Schweigen brechen
Die YPJ betonen, dass Angriffe des türkischen Staates wie der vom Sonntag in Qamişlo der Unterstützung des IS dienen würden. Mit der Bombardierung der Einrichtung habe sich die Türkei eines weiteren Kriegsverbrechens schuldig gemacht, erklärte der Verband und forderte die internationale Gemeinschaft auf, ihr Schweigen angesichts der „genozidal motivierten Verbrechen“ Ankaras zu brechen. „Sorxwîn Rojhilat und Azadî Dêrik leisteten ihren Widerstand gegen den IS-Terror nicht nur für unsere Völker, sondern für alle Nationen dieser Welt, in erster Linie jedoch für alle Frauen. Daher richtet sich unser Appell vor allem an die Frauenbefreiungsbewegungen. Sie sind gefordert, eine eindeutige politische Haltung gegen die Angriffe des türkischen Staates zu beziehen.” Die Botschaft der YPJ an die Menschen Nord- und Ostsyriens lautet: „Wir versprechen unserem Volk und allen emanzipierten Frauen Rache. Der AKP/MHP-Faschismus sollte wissen, dass die YPJ eine Kraft der Vergeltung sind. Wir werden das Feuer der Freiheit, das die Genossinnen Sorxwîn und Azadî mit der Losung ‚Jin Jiyan Azadî‘ entfacht haben, solange brennend erhalten, bis wir die Hegemonie der männlichen Herrschaft überall zerstört haben. Wir bekräftigen unsere Verbundenheit zu den Gefallenen und versprechen, ihre Ideale zu verwirklichen.“