Während im Patriarchat Verteidigung und Schutz generell mit Männern assoziiert wird und zur Legitimation der gesellschaftlichen Machtposition von Männern herangezogen wird, wurde dieser Diskurs von den Frauen in Rojava Lügen gestraft. Die Frauenverteidigungseinheiten YPJ haben klar gemacht, dass sie auch in Konflikten und Kriegen nicht länger „Objekte“ sind, die von Männern beschützt werden müssen. Sie haben das patriarchale System auf den Kopf gestellt und Frauen die Botschaft vermittelt, dass eine andere Welt möglich ist. Die Frauen, die seit Jahrzehnten gegen den Staat und seine Systeme kämpfen, wurden zu den effektivsten Gegnerinnen der Miliz „Islamischer Staat" (IS) und mit dem Widerstand von Kobanê weltweit bekannt. Sie zerstörten mit dem IS das Bild des Kriegermannes. Die Frauen der YPJ kämpfen heute an vorderster Front gegen die Söldnergruppen und die Staaten, die versuchen, Rojava zu vernichten. Dabei geht es nicht nur um den bewaffneten Kampf, sondern um die Gleichstellung der Geschlechter und echte Frauenbefreiung.
Die YPJ wurden als autonome Frauenverteidigungseinheiten offiziell am 4. April 2013 gegründet. Sie sind eine Verteidigungskraft, die Frauen kurdischer, assyrischer, armenischer und arabischer Identität vereint. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Mezopotamya hat sich die YPJ-Sprecherin Ruksen Mihemed über die Bedeutung des 8. März und den Frauenkampf geäußert.
„Die YPJ sind ein Erbe des Frauenfreiheitskampfes“
Die YPJ sehen sich selbst in einer langen freiheitskämpferischen Tradition. Mihemed erklärte, dass versucht werde, das Erbe dieser Tradition in Rojava „zum Blühen zu bringen“. Im Hinblick auf die Angriffe auf die Revolution von Rojava, die Ermordung von politisch aktiven Frauen durch türkische Drohnen oder Killerkommandos und all die anderen Angriffe bildete sich die Vorläuferorganisation der Volksverteidigungseinheiten YPG, die Selbstverteidigungseinheiten YXG, denen sich bereits Frauen anschlossen und die teilweise von Frauen organisiert wurden. Mihemed erinnerte sich: „Wir Frauen sahen wie versucht wurde, unsere Existenz und unser Wesen zu vernichten. Unsere Identität wurde nicht anerkannt, unser Anliegen wurde nicht wahrgenommen. In diesem Prozess bildeten sich kleine Frauengruppen in den unter dem Namen Yekitiya Xwe Parastina Gel (YXG) gegründeten Verteidigungseinheiten, aber es wurde schließlich die Notwendigkeit gesehen, die YPJ zu gründen.“
„Wenn Frauen an sich selbst glauben, sind sie erfolgreich“
Mihemed beschrieb die YPJ als Vorreiterinnen des Prinzips einer demokratischen Gesellschaft und erklärte: „In der Gesellschaft, in der wir lebten, fand eine Politik des permanenten Femizids, der Assimilation, der Demoralisierung und Auflösung der Identität statt. Als Frauen haben wir uns zum Ziel gesetzt, diese Mentalität und Idee zu zerstören und als solche diese Politik zunichte zu machen. Aus diesem Grund stützen sich die YPJ vom Tag ihrer Gründung an auf das Prinzip einer Mentalitätsrevolution. Selbst inmitten von Krieg und Konflikten stellte der Frauenkampf die Grundlage dar. Die Frauen kämpften darum, selbst im Krieg zu wachsen. Sie verteidigten sowohl ihr Volk als auch sich selbst. Im ausbrechenden Kobanê-Krieg zeigten sich ihre Identität als Avantgarde, ihr Wille und ihr Mut. Mit den YPJ haben die Frauen erkannt, dass sie in der Lage sind, zu siegen, wenn sie im Glauben an ein freies Leben für sich und ihr Volk kämpfen.“
Auf der Grundlage von „Jin, Jiyan, Azadî“
Mihemed hob insbesondere hervor, dass die Siege der YPJ eine Hoffnung für alle Frauen darstellten. Gleichzeitig wurde durch die Schaffung von Akademien die Bildung und die Mentalitätsrevolution gestärkt. In den Akademien ging es vor allem darum, dass Frauen ihre Identität und ihre Geschichte kennenlernen. Mihemed erklärte: „Diese Akademien gibt es seit dem ersten Gründungstag. Das zeigt uns, dass die Frauenrevolution bewusst nicht nur mit Waffen, sondern auch auf einer ideellen Grundlage gewonnen wurde. Mit der YPJ machten die Kämpferinnen Fortschritte im militärischen Bereich und vertieften ihr Bewusstsein im ideologischen Bereich. Im Kampf an vorderster Front haben sie dieses Bewusstsein bewiesen.“
„Die kapitalistische Moderne versuchte, die kämpfenden Frauen zu entleeren“
Mihemed kritisierte auch die internationale Rezeption der YPJ: „Mihemed stellte fest, dass der Kampf der Frauen weltweit von den Medien auf die Körperlichkeit der Frauen reduziert und ihre Radikalität ignoriert wurde: „Die kapitalistische Moderne versucht, die Wahrheit von innen auszuhöhlen, indem sie die kämpfenden Frauen nur als Kriegerinnen darstellt. Die internationale Medienlandschaft versucht, das Gleiche auch mit uns zu machen. Man thematisiert uns als Kriegerinnen sogar in Kleidungskollektionen und präsentiert unsere äußeren Formen. So wird aber versucht, die Wahrheit hinter uns unsichtbar zu machen. Die YPJ sind jedoch eine Armee, die ihre Identität als freie Frauen erkannt hat. Sie vertreten die Idee von ‚Jin, Jiyan, Azadî‘, das war von Anfang an ihre Philosophie. Wir haben allen gezeigt, dass die Philosophie von ‚Jin, Jiyan, Azadî‘ nicht nur ein Slogan ist. Inmitten des Angriffs und des Krieges wurde nach Antworten auf die Fragen nach der Beziehung zwischen Frauen und Leben gesucht. Auf die Frage, wer eine Frau auf Suche nach Freiheit sein kann, sind die Frauen der YPJ die Antwort.“
Auch nach dem Sieg der YPJ über den IS gehe der Kampf weiter, so Mihemed und führte aus: „Die YPJ-Kämpferinnen haben die Gesellschaft geprägt, nicht nur als kämpfende Frauen in Militäruniformen, denn sie haben allen gezeigt, dass die Frauen, die man versucht in ihren Häusern einzusperren, keine Sklavinnen sind.“
„Kein Schritt zurück“
Mihemed sprach auch über den Spezialkrieg, der in den letzten Jahren mit besonderer Schärfe gegen die Frauen in Rojava geführt wird. Sie erklärte: „Die Frauen der YPJ haben bewiesen, dass sie sich selbst, ihr Volk und alle, die nach Freiheit streben, anführen können. Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass der Frauenkampf sowohl gegen die Kolonialisten als auch gegen das patriarchale System geführt wird. Mit den Morden an Frauen wird eine Politik des Völkermords betrieben. Denn wie ich eingangs sagte, sind die Frauen der Eckpfeiler und die Vorreiterinnen des sich hier entwickelnden Systems. Man versucht, durch die Ermordung von Frauen, die Revolution zu zerstören und will, dass sich die Frauen der Folter und Gewalt unterwerfen. Aber eines ist klar: Egal wie zahlreich und massiv die Angriffe sind, wir sind auch vorbereitet. Natürlich sage ich nicht, dass das ausreicht, wir erneuern uns ständig. Wir setzen unsere ideologische Ausbildung regelmäßig und systematisch fort, und wir rüsten im militärischen Bereich weiter auf. Wir werden diesen Krieg sowohl im militärischen Bereich als auch im gesellschaftlichen Bereich zusammen mit unserem Volk fortsetzen. Die größte Inspiration für diesen Widerstand ist der Widerstand unseres Wegweisenden Abdullah Öcalan in Imralı. Unser Ziel ist es auch, mit unserem Krieg das Isolationssystem zu durchbrechen. Als Frauen werden wir ihnen einmal mehr zeigen, dass wir nicht nachgeben werden.“
Botschaft zum 8. März
Mihemed schloss mit einer Grußbotschaft zum 8. März: „Ich beglückwünsche zum 8. März zu aller erst Rêber Apo, denn er hat uns zu kämpfen gelehrt und damit den Weg zu einem freien Leben eröffnet. Ich grüße alle Frauen, die für Freiheit kämpfen, auf der ganzen Welt und die Frauen von YJA-Star, die der ganzen Welt den Willen der Frau beweisen, anlässlich des 8. März. Ich gratuliere allen Frauen zum 8. März.“