Die kurdische Politikerin Aysel Tuğluk ist zu einer weiteren Haftstrafe verurteilt worden. Ein türkisches Gericht in Wan verhängte zwanzig Monate Gefängnis gegen die frühere Parlamentsabgeordnete wegen angeblicher PKK-Propaganda in den Jahren 2012 und 2013. Tuğluk, die nicht persönlich im Gerichtssaal anwesend war, sondern über ein Videokonferenzsystem aus dem Hochsicherheitsgefängnis Kandıra-Kocaeli in die Verhandlung eingebunden wurde, wies die Anschuldigungen gegen sie zurück. Bei ihren inkriminierten Äußerungen habe es sich lediglich um Friedensaufrufe gehandelt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Aysel Tuğluk befindet sich bereits seit Ende 2016 in Haft. In mehreren Verfahren wurde die Rechtsanwältin, die unter anderem auch Abdullah Öcalan vertrat, bereits verurteilt, andere Prozesse sind noch anhängig. Im Februar 2020 bestätigte der türkische Berufungsgerichtshof die bislang höchste Freiheitsstrafe gegen Tuğluk über zehn Jahre Haft. Verurteilt wurde die 56-Jährige aufgrund ihrer Funktion als Ko-Vorsitzende des Graswurzelbündnisses „Demokratischer Gesellschaftskongress” (KCD) wegen „Leitung einer Terrororganisation“. Im sogenannten Kobanê-Prozess in Ankara droht ihr erschwerte lebenslange Freiheitsstrafe.
Aysel Tuğluk ist Gründerin mehrerer Nichtregierungsorganisationen wie der Forschungsstiftung für Sozialrecht (Toplumsal Hukuk Araştırmaları Vakfı), dem Menschenrechtsverein IHD (İnsan Hakları Derneği) und dem Verein der patriotischen Frauen (Yurtsever Kadınlar Derneği). Außerdem zählt Tuğluk zu den Mitbegründer:innen der prokurdischen Partei der demokratischen Gesellschaft DTP (Demokratik Toplum Partisi), deren Parteivorsitzende sie eine Zeitlang war. Die DTP wurde 2009 durch Entscheid des Verfassungsgerichts verboten. Zuletzt saß sie für die HDP im Parlament und war bis zu ihrer Verhaftung vor knapp fünf Jahren stellvertretende Parteivorsitzende.
Im September 2017 löste ein Angriff eines türkischen Mobs auf die Beerdigung von Hatun Tuğluk, der Mutter Aysel Tuğluks, weltweit Empörung aus. Hunderte Rassisten und Nationalisten hatten in Ankara die Beerdigung mit Steinen attackiert und Hassparolen gegen die Minderheiten der Armenier und Aleviten gerufen. Der Leichnam musste daraufhin exhumiert werden, weil der Mob angedroht hatte, die Leiche zu schänden. Wenige Tage später wurde Tuğluk in Dersim beigesetzt. Ihre Tochter durfte sich nicht verabschieden. Die Gefängnisleitung hatte ihr keine zweite Sondererlaubnis erteilt.