Wegen Appell „Die Kinder sollen nicht sterben“ verhaftet

Ayşe Çelik, die im Angesicht der Massaker des türkischen Staates in Farqîn einen verzweifelten Appell in einer türkischen Fernsehshow abgab, wurde gestern zum Vollzug ihrer Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten wegen „Terrorpropaganda“ inhaftiert.

Am 8. Januar 2016 hatte die Lehrerin Ayşe Çelik in einer Liveübertragung der Unterhaltungssendung Beyaz Show einen verzweifelten Appell ob der Zerstörung ihrer Stadt und der Morde durch den türkischen Staat abgegeben. Ayşe Çelik wohnte damals in Farqîn (Silvan) in der Provinz Amed (Diyarbakir). Scharfschützen von Polizei und Militär erschossen diejenigen, die sich nicht an die absolute Ausgangssperre hielten. Insbesondere Kinder waren von den Morden betroffen. Erst wenige Tage vor ihrem Anruf bei der Fernsehsendung war das drei Monate alte Baby Miray von Sicherheitskräften auf dem Arm seiner Tante erschossen worden. Diese grausame Realität in den kurdischen Regionen wurde im Westen der Türkei totgeschwiegen. Während im Osten Kinder starben, liefen die Unterhaltungsshows im Westen so weiter, als ob nicht dort ganze Städte den Erdboden gleich gemacht würden. Ayşe Çelik durchbrach dieses Schweigen für einen Moment, indem sie bei der Unterhaltungssendung Beyaz Show anrief.

Die „Lehrerin Ayşe aus Diyarbakır“ sagte damals bei ihrem Anruf: „Wissen Sie eigentlich, was gerade im Osten und Südosten dieses Landes passiert? Hier werden ungeborene Kinder, Mütter, Menschen getötet. Alles, was hier geschieht, wird in den Medien verzerrt dargestellt. Schweigen Sie nicht. Erheben Sie ihre Stimme, zeigen Sie Empathie. Schauen Sie hin. Reichen Sie uns die Hand. Das ist doch erbärmlich. Menschen sollen nicht sterben, Kinder sollen nicht mehr sterben, Mütter sollten nicht mehr weinen.“

Dieser Appell führte zur eiligen Distanzierung des Veranstaltungsmoderators und zu einem Verfahren gegen „Lehrerin Ayşe“ wegen „Terrorpropaganda“. Sie wurde zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Im April 2018 kam sie erstmals ins Gefängnis, einen Monat später wurde ihr Antraf auf Haftanschub bewilligt. Vor ihrem gestrigen Haftantritt sprach sie mit der türkischen Zeitung Cumhuriyet. Zuvor hatte sie ihre eineinhalbjährige Tochter Deran ihrer Mutter anvertraut. „Meinem Baby geht es schlecht. Die Bedingungen im Gefängnis sind für sie nicht angemessen. Ich habe darüber nachgedacht und entschieden, sie bei meiner Mutter zu lassen. Es ist unmöglich, meine Gefühle zu beschreiben. Ich bin sehr traurig“, erklärt sie.

Sie hat ihr Vertrauen in die Justiz noch nicht verloren: „Ich bin davon überzeugt, dass dieses Unrecht aufgehoben wird. Ich denke, es wird nicht zugelassen werden, dass eine Mutter von ihrem Baby getrennt wird.“

Çelik hatte sich an den Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung der Meinungsfreiheit und des Rechts auf ein gerechtes Verfahren gewandt, ihre Akte wurde allerdings vom Gerichtshof nicht behandelt.