Im Verfahren gegen die inhaftierte und abgesetzte Ko-Bürgermeisterin des kurdischen Stadtbezirks Payas (Kayapınar, Provinz Amed/Diyarbakir), Keziban Yılmaz, will der 9. Schwurgerichtshof Diyarbakir am Montag ein Urteil verkünden. In dem Prozess drohen der Politikerin wegen „Terrorvorwürfen“ bis zu 15 Jahre Freiheitsstrafe.
Keziban Yılmaz wurde am 22. Oktober 2019 zeitgleich mit ihren Amtskolleginnen Yıldız Çetin aus Erdîş (Erciş) und Rojda Nazlıer aus Karaz (Kocaköy) inhaftiert. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ vor und stützt ihre Anklage größtenteils auf die Aussagen der Kronzeugin Hicran Berna Ayverdi, die vom türkischen Reuegesetz profitiert und inzwischen aus der Haft entlassen worden ist. Ayverdi behauptet, Yılmaz handelte in ihrem Amt als Bürgermeisterin auf „Anweisung der Organisation“ (gemeint ist die kurdische Arbeiterpartei PKK), sei „Delegierte der KCK“ und säße im „Exekutivrat der KJB“. Die Staatsanwaltschaft will zudem wissen, dass Yılmaz Mitglied der Mesopotamischen Anwaltsvereinigung MHD und des Kongresses der Freien Frauen (KJA) gewesen sei. Beide Organisationen wurden 2016 im Rahmen des Ausnahmezustands per staatlichem Notstandsdekret verboten.
Desweiteren soll die HDP-Politikerin zu verschiedenen Zeitpunkten an Aktionen und Demonstrationen teilgenommen haben, bei denen „Terrorpropaganda“ betrieben worden sei. Auch mit Beiträgen in sozialen Netzwerken soll sie laut Auffassung der Behörde ihre „terroristische Gesinnung“ zum Ausdruck gebracht haben.
Aufgrund der Aussagen von Ayverdi wurde bereits der Oberbürgermeister von Amed, Adnan Selçuk Mızraklı, zu neun Jahren und viereinhalb Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Die vermeintliche Kronzeugin hat Dutzende weitere kurdische Politiker*innen mit falschen Verdächtigungen belastet.
38 Bürgermeister*innen inzwischen abgesetzt
Seit dem politischen Putsch gegen HDP-geführte Kommunen in kurdischen Städten sind bereits 38 Ko-Bürgermeister*innen ihres Amtes enthoben worden. Gegen 27 von ihnen erging Haftbefehl, 25 Bürgermeister*innen sitzen im Gefängnis. In sechs Kommunen konnten die im vergangenen März gewählten Bürgermeister*innen ihr Amt gar nicht erst antreten, weil der Wahlausschuss ihnen die Anerkennung verweigerte. An ihrer Stelle wurden die unterlegenen AKP-Kandidaten ins Amt gehievt.