Rûken Ehmed: Für uns ist jeder Mord an einer Frau ein Anschlag auf uns selbst

Zelal Zagros hat für Frauenbefreiung gekämpft und ist in diesem Kampf gefallen, sie wurde vom türkischen Staat ermordet. „Die Herrschenden sehen organisierte und freie Frauen als gefährlich an", sagt Rûken Ehmed.

Zelal Zagros ist am 18. Januar in Kerkûk erschossen worden. Sie hieß mit bürgerlichem Namen Firyal Silêman Xalid und war führendes Mitglied der kurdischen Freiheits- und Frauenbewegung. Verantwortlich für den Mord ist der türkische Staat. Rûken Ehmed, Ko-Vorsitzende von TEV-DEM (Bewegung für eine demokratische Gesellschaft), hat sich in Hesekê gegenüber ANF zu der gezielten Ermordung von Pionierinnen der Frauenbewegung geäußert.

Wie bewerten Sie die gezielten Anschläge auf Frauen?

Wenn wir uns Heval Saras Biographie „Mein ganze Leben war ein Kampf" und die Geschichte und die Kämpfe von Frauen ansehen, oder wenn wir von den Kämpferinnen der YPJ sprechen, die den IS besiegt haben, oder darüber, dass die Revolution in Nordostsyrien eine Frauenrevolution ist, können wir verstehen, warum Angriffe auf Frauen verübt werden. Die Angriffe werden durchgeführt, um den Widerstand der Frauen zu brechen. Rêber Apo [Abdullah Öcalan] sagte, das 21. Jahrhundert werde das Jahrhundert der Frauen sein. Die herrschende Mentalität wird zunehmend von organisierten Frauen in die Ecke gedrängt. So wurde auch die Völkermordpolitik in Şengal im Jahr 2014 durch den Widerstand von Frauen gebrochen. Auch die zeitgleichen Angriffe auf Nord- und Ostsyrien wurden maßgeblich unter der Führung von Frauen zurückgeschlagen. Es wurden frauenspezifische und frauenzentrierte Organisationen für den Wandel und die Transformation der Gesellschaft gegründet. Wenn eine Frau einmal die Freiheit erlangt hat, ist es ihr nicht mehr möglich, sich erneut für die Sklaverei zu entscheiden. Frauen, die sich für den Weg der Freiheit entscheiden, werden als gefährlich für die Herrschenden angesehen. So wie eine Sklavin eine Gefahr für die Freiheit darstellt, stellt eine freie Frau eine Gefahr für die Macht dar. Die Herrschenden sehen organisierte und freie Frauen als gefährlich an.


Was für eine Gesellschaft will die männerdominierte Mentalität schaffen?

Wenn ich ein Beispiel aus den Kriegen gebe, die geführt werden: Im Krieg zwischen Israel und Hamas oder zwischen Russland und der Ukraine sind es die Gesellschaft, die Frauen und Kinder, die Opfer sind und Flucht und Vertreibung ausgesetzt werden. Die männerdominierte Mentalität will eine Sklavengesellschaft schaffen, eine Gesellschaft ohne Kampf, ohne Haltung und ohne Leben. Das System, das Frauen organisieren wollen, richtet sich gegen das System männlicher Herrschaft. Frauen lehnen sich gegen dieses System auf. Sie machen deutlich, dass sie die männerdominierte Mentalität nicht akzeptieren und das seit fünftausend Jahren aufgezwungene System ablehnen. Sie durchbrechen die Kette der Sklaverei und streben nach Freiheit. Frauen kämpfen für ein gesellschaftliches System, in dem es Demokratie, Gleichheit und Freiheit gibt. Ein Beispiel für das herrschende System ist der türkische Staat. Er greift die Infrastruktur in Nord- und Ostsyrien an, um sein eigenes System durchzusetzen. Die Antwort der Gesellschaft und der Frauen darauf ist Organisation und Rebellion. Der heutige Krieg ist ein Kampf zwischen den Herrschenden und denen, die eine freie Gesellschaft erschaffen wollen. Und es sind die Frauen, die die Gesellschaft anführen.

Sie kannten Zelal Zagros seit vielen Jahren, sie gehörte zu den Pionierinnen der Frauenbefreiungsbewegung. Was für ein Mensch war sie?

Heval Zelal hat sich 31 Jahre lang im kurdischen Freiheitskampf engagiert. Sie war eine kurdische Revolutionärin, die unerbittlich kämpfte. Ich kannte sie seit langem. Wir arbeiteten 2016 in Minbic zusammen, während der Befreiung von Minbic. Die Stadt war vier Jahre lang vom IS besetzt. Um an einem solchen Ort aktiv zu sein, muss man über viele Jahre hinweg stark und widerstandsfähig sein, damit man die Gesellschaft davor bewahren kann, Teil des Systems zu werden. Minbic brauchte eine Persönlichkeit wie Heval Zelal. Sie war so klar wie ihr Name und äußerte ihre Meinung und Kritik nicht indirekt, sondern mutig, unbekümmert, ohne Ambivalenz und einfach. Außerdem war sie eine aufopferungsvolle Persönlichkeit. Wo immer es Schwierigkeiten gab, war Heval Zelal zur Stelle. Sie orientierte sich am Bedarf der Bewegung und äußerte keine Sonderwünsche. Sie sagte auch nie, dass sie zu müde ist oder etwas nicht kann. Viele Frauen, um die sie sich damals kümmerte, die sie organisierte und die ihre Genossinnen waren, nehmen immer noch am Kampf teil. Angesichts der Angriffe auf die Gesellschaft stand sie aufrecht und zeigte eindeutiges Verhalten. Sie nahm an den Aktivitäten aller Institutionen und Organisationen teil und war eine Pionierin in den befreiten Gebieten. Ihre Genossinnen waren ihr sehr wichtig. Wo Heval Zelal war, war ein unerbittlicher Kampf spürbar. 31 Jahre militärischer, politischer und organisatorischer Kampf und der Aufbau der Demokratischen Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien nach der Revolution von Rojava mögen einfach klingen, aber Heval Zelals Kampf war ein atemloser Weg. Sie war eine der Vorreiterinnen, die für die Vertretung von Frauen beim Aufbau der Autonomieverwaltung kämpften. Sie kannte die Soziologie der Frauen und kämpfte hart dafür, dass Frauen ihr Wesen wiedererlangen. Sie hatte eine bescheidene Persönlichkeit und machte keinen Unterschied zwischen kleiner und großer Arbeit. Für Heval Zelal war jede Arbeit ein Dienst an der Revolution.

Warum Zelal Zagros und warum in Kerkûk?

Die Frauenorganisation in Nord- und Ostsyrien ist zum Vorbild für die Frauen in Başûrê Kurdistanê (Südkurdistan) geworden. In Kerkûk wird eine schmutzige Politik betrieben. Die kurdische, arabische und turkmenische Bevölkerung der Region ist Opfer des Machtsystems der irakischen Regierung, des türkischen Staates und der PDK. Kerkûk ist eine Stadt, in der die Völker zusammenleben. Der türkische Staat will eine türkische Stadt daraus machen. Es sind die Frauen, die sich dem System widersetzen, das die Völker gegeneinander ausspielt, sie vereinheitlichen will und das Chaos und die Krise vertieft. Das Ende der Widersprüche und Kriege zwischen den Völkern kann nur durch die Organisation der Frauen erreicht werden. Heval Zelal hat mit ihrer Haltung die Frauenorganisation in Kerkûk gestärkt und die Menschen sensibilisiert und aufgeklärt. Mit der Ermordung von Heval Zelal sollten die Widersprüche in Kerkûk vertieft werden.

Wie wirkt sich die gezielte Tötung von Frauen auf die Gesellschaft aus?

In Rojhilat (Ostkurdistan) sind nach den Aufständen Dutzende Frauen verhaftet worden, und es wurden Todesurteile gegen Frauen verhängt. In Bakur (Nordkurdistan) werden politisch aktive Frauen ins Gefängnis gesteckt. Der Widerstand von Frauen organisiert die Gesellschaft. Die Frauen, die ermordet wurden, haben gegen das Herrschaftssystem gekämpft, und die Frauen im Gefängnis leisten weiter Widerstand. Frauen sind überall im Widerstand. Der Kampf von Heval Sara ist gewachsen und hat die heutige Zeit erreicht, er ist die Stimme der Gesellschaft geworden und trägt zur Organisation der Gesellschaft bei. Der Widerstand von Frauen ist ein Kampf zur Schaffung eines Systems der Völker. Frauen kämpfen gegen das System des Völkermords und beharren darauf, obwohl sie dadurch zum Angriffsziel werden. Sie sind Pionierinnen und Vorbilder für die Gesellschaft. Das Herrschaftssystem hat Mauern aus Stahl gebaut, damit seine Macht nicht zusammenbricht, aber der Kampf für Freiheit bringt den Stahl zum Schmelzen.

Hunderte von Pionierinnen wie Zelal Zagros, Jiyan Tolhildan und Hevrîn Xelef wurden ermordet. Welche Haltung sollte die Frauenbewegung gegenüber diesen Massakern einnehmen?

Heval Jiyan kämpfte nicht nur für kurdische Frauen, sondern auch für Frauen in Syrien und im Nahen Osten. Der IS wollte die Welt erobern, und Heval Jiyan Tolhildan kämpfte gegen die islamistische Mentalität. Sie war eine führende Kommandantin der YPJ und eine Hoffnung für alle Frauen. Aus diesem Grund sollten Feministinnen und Frauen aus aller Welt sich ihrer annehmen und gegen das plündernde, mordende und männerdominierte System in ihren Ländern kämpfen. Hevrîn Xelef war eine junge Kurdin, die sich für die Geschwisterlichkeit und Einheit der Völker einsetzte und nicht nur für Rojava und Syrien kämpfte. Sie wurde von den Banden des türkischen Staates ermordet. Heval Zelal war Vertreterin von Kongra Star und ging nach Kerkûk, um Frauen gegen das herrschende System zu organisieren. Ihr Kampf war nicht nur für arabische, kurdische und turkmenische Frauen, sondern für alle Frauen. Die globalen Frauenbewegungen müssen Widerstand gegen die patriarchalische Mentalität leisten. Zelal, Hevrîn und Jiyan haben für Frauenbefreiung gekämpft und sind in diesem Kampf gefallen, sie wurden ermordet. Für uns ist jeder Mord an einer Frau auf dieser Welt wie ein Anschlag auf uns selbst. Wir betrachten die Ermordung von Heval Zelal als Angriff auf alle Frauen und verstärken unseren Kampf in diesem Sinne. Alle Frauenbewegungen sollten in dieser Richtung denken. Heval Zelal wurde mit acht Kugeln ermordet. Sollen nur kurdische und arabische Frauen ihre Verantwortung wahrnehmen und gegen dieses Verbrechen kämpfen? Alle Frauen müssen kämpfen.